Sie hat der veganen Küche in der Schweiz zu Glanz verholfen: die Erfolgsgeschichte der Zizi Hattab.

Vorsicht, dieser Lebensweg könnte alle inspirieren, in denen eine berufliche Leidenschaft schlummert, die es noch zu wecken gilt. Es ist die Geschichte einer Unerschrockenen, die sich innert zehn Jahren vom Laienstand in die Spitzengruppe einer umkämpften Branche hochgearbeitet hat. Und bevor man sich das zu märchenhaft vorstellt, sei gleich klargestellt: Es ist ein Weg mit Schweiss und Tränen in einem Knochenjob, der ihr auch körperlich alles abverlangt.

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Im Jahr 2012 wandert Zineb «Zizi» Hattab aus Spanien, dessen kriselnde Wirtschaft ihr kaum berufliche Perspektiven bietet, in die Schweiz aus. Die gebürtige Katalanin zieht mit ihrem Mann ins Appenzellische, arbeitet als Softwareentwicklerin, verliebt sich in die Berge und dieses Land, das sie an Katalonien erinnert, «wenngleich es hier teurer ist und etwas mehr Regeln gibt». Bald gibt sie ihre sichere Stelle auf, um ihrem frisch erwachten Berufstraum zu folgen, mit sehr unsicherem Ausgang. Sie lernt in Praktika von den besten Köchen, ehe sie selbst nach den Sternen greift: In einem 200-jährigen Haus in Zürich Wiedikon gründet sie das «Kle».

Genau fünf Jahre ist das nun her, das Restaurant ist somit den Startup-Schuhen entwachsen. Es ist mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet, und Hattab hat die Stadt um zwei weitere Lokale bereichert: das «Dar» und das «Cor». Als die «Süddeutsche Zeitung» Zürich vor einigen Monaten zum «vielleicht spannendsten Ort für veganes Fine-Dining in Europa» kürt, krönt sie Zizi Hattab sozusagen zur Königin dieses Reichs. Sie sei «Zürichs derzeit interessanteste Köchin»; die weibliche Form schliesst in diesem Fall wohl die Berufskollegen mit ein.

Eine Frau in Männerdomänen

Zizi Hattab wuchs an der Costa Brava als Kind marokkanischer Einwanderer auf. Als sie sich an der Universität in Barcelona einschrieb, gab sie als ersten Studienwunsch das Ingenieurwesen an, dann Medizin, dann Philosophie. Es wurde schliesslich das klassische Männerfach Maschinenbau, und nun mischt sie die Spitzengastronomie auf. Fühlt sie sich wohl in männerdominierten Umfeldern?

Sie überlegt lange, ihre Antwort reift druckfertig heran, ihr Englisch ist von leicht rauchiger Stimme gefärbt: «Manche mögen denken, ich sei als Tochter einer muslimischen Familie nicht dazu ermutigt worden, meinen eigenen Weg zu gehen. Doch genau das taten meine Eltern. Das Gefühl, stets alles erreichen zu können, vermittelte mir vor allem meine Mutter, eine starke Frau.» Diese führt an der Costa Brava einen Touristenladen, sie eröffnete ihn einst mit dem Vater, der vor der Auswanderung in Marokko Mathematik unterrichtet hatte.

Eine klare Mehrheit der Belegschaft ihrer drei Betriebe sei weiblich, in den Küchen sei der Anteil etwa hälftig, erklärt die 32-jährige Chefin im Gespräch in der Wohnung über dem «Kle»: Sie hat diese gleich mitgemietet, auch um Lärmklagen vorzubeugen. «Meines Wissens ist nur etwa jede zwanzigste Sterneküche auf dieser Welt von einer Frau geführt, in Teams war ich oft das einzige weibliche Mitglied. Wenn ich heute zu Symposien eingeladen werde, gehe ich auch hin, um Frauen zu repräsentieren – und People of Color, zu denen ich in manchen Umfeldern gezählt werde.»

Hattab wirkt bestimmt, aber nie dogmatisch, sie hat klare Vorstellungen, wohin sie will, ohne Scheuklappen zu tragen. Ihr warmes Lachen steckt an. «Wir sind kein konventionelles Restaurant, Nachhaltigkeit gilt bei uns nicht nur auf dem Teller, sondern auch im Umgang miteinander. Das senkt auch die Gefahr, dass jemand ausbrennt», erklärt sie. Mehrere Stützen ihrer Crew sind seit dem Anfang dabei. «Wir haben viel in dieses innere Wachstum unseres Teams investiert», sagt sie. Und während die Branche über Fachkräftemangel stöhnt, hält sie fest: «Ich habe keine Mühe, gute Leute zu bekommen, auch wenn das im Service seit Covid etwas schwieriger geworden ist.»

Inspiration von den Besten

Vieles in der Küche hat sich Hattab selbst beigebracht, inspiriert durch Stages bei einigen der führenden Köche Europas, von Massimo Bottura in Modena bis zu Andreas Caminada in Fürstenau, der heute in den höchsten Tönen von ihren Fähigkeiten schwärmt. Im New Yorker «Cosme» stieg sie innert Kürze zur Stellvertreterin der mexikanischen Starköchin Daniela Soto-Innes auf.

Zur Erfüllung ihres Traums vom eigenen Restaurant aber kehrte sie in das Land zurück, zu dem sie Vertrauen gefasst hatte: in die Schweiz. Sie wählte Zürich, beschaulicher als Manhattans 21st Street, wo sie zwei Jahre gelebt hatte, aber für helvetische Verhältnisse pulsierend. Gastronomisch habe sich hier in den letzten Jahren viel getan, hält sie fest, und dass auch das pflanzenbasierte Angebot gewachsen sei, mache sie glücklich.

Wirtschaftlich geht es für sie auf, reich wird sie damit nicht: «Hätte ich viel Geld verdienen wollen, hätte ich meinen Beruf nicht gewechselt», hält sie trocken fest. «Es gibt keine magische Formel, erfolgreich zu wirten, und Restaurants sind ohnehin nicht die profitabelsten Orte, erst recht nicht, wenn man auf Qualität setzt und mit lokalen Bauern zusammenarbeitet wie wir.»

Das «Kle» mit nur neun Tischen sei der einträglichste ihrer Betriebe, doch es gehe nur mit zwei Seatings auf, also Zeitfenstern für Gäste. «Ich weiss, dass das nicht alle mögen. Aber andernfalls könnten wir entweder unsere Leute nicht fair bezahlen oder müssten weit höhere Preise verlangen.» Die 109 Franken für den «Kle»-Viergänger sind für hiesige Verhältnisse wirklich wenig.

Kaum ein Prozent der Schweizer Bevölkerung isst streng vegan, doch Hattab veranstaltet kein Minderheitenprogramm. Auch Karnivoren preisen die schnörkellos-kreative Gourmetküche des charmanten «Kle» und die etwas schlichteren Gerichte des hipperen «Dar». Die «Kle Fried Mushrooms» etwa – nicht zufällig klingt «Kentucky Fried Chicken» im Namen an – sind noch unwiderstehlicher als Pendants aus Huhn. Doch meist werden zum Glück weder Fleisch- noch Fischgerichte imitiert: «Ich rechne mit den Erwartungen meiner Gäste und spiele damit», sagt Hattab. «Es liegt an ihnen, zu entscheiden, ob sie eine Ähnlichkeit zu Bekanntem feststellen. Darum sieht bei uns nichts so aus, wie es schmeckt. Ich imitiere auf dem Teller optisch keine Crevette, wenn ich im Geschmack auf sie anspiele, und nenne sie auch nicht so.»

Ihre Faszination bringt Hattab auf eine einfache Formel: «Kochen ist etwas, worüber zu lernen ich nicht genug bekommen kann, vom Einfluss auf die Gesellschaft über Zubereitungsarten bis zur Herkunft von Produkten.» Anfangs sei der Zugang emotional gewesen und mit der Zeit intellektueller geworden, erinnert sie sich: «Die Auseinandersetzung damit half mir, zu erkennen, wer ich bin, verband mich mit meiner Identität zwischen Spanien, Marokko, der Schweiz. Ich habe die Schönheit der Fusion der Kulturen erkannt, wobei die Herkunft von etwas nicht zu vernachlässigen ist. Dabei rief ich mir Teller in Erinnerung, die ich als Kind gekannt, aber selbst nie gekocht hatte.»

Sie lässt in Gedanken den Duft gerösteter Gewürze aufsteigen, Ingwer, Paprika . . . die Harira-Suppe, die traditionell zum Fastenbrechen nach dem Ramadan gereicht wird. Ihre frühen Erinnerungen sind stark von der Küche Marokkos geprägt, der Heimat ihrer Eltern, ab der Teenager-Zeit nahmen spanische Einflüsse überhand.

Heute weiss Hattab die Essenz des Mittelmeers aus ihren Kindertagen in Gerichten einzufangen, ohne die Tiere zu behelligen, die es bevölkern. Noch immer dächten viele, ohne tierische Produkte esse man weniger gut, hält sie fest. Um den Gegenbeweis anzutreten, ruft sie dazu auf, am Herd zu spielen, Grenzen auszuloten. Besonders gerne verwendet sie Pilze, oft auch Kräuter und Gewürze, was in heimischen Küchen oft zu zurückhaltend geschehe. Die Flüssigkeit eingemachter Oliven setzt sie für Vinaigrettes ein, jene von Kichererbsen, das Aquafaba, für Mayonnaise (das praktiziert heute als Alternative selbst die Küche der altehrwürdigen «Kronenhalle»). Für Brioches nimmt sie statt Eigelb Süsskartoffeln, «die caramelisieren so schön», während die Süsse der Reismilch diese für Glace prädestiniere und Linsenprotein der beste Stellvertreter für (Schlag-)Rahm sei.

Der Kampf zu Beginn

Man liest, Hattab selbst sei über Nacht zur Veganerin geworden, es klingt wie ein Bekehrungswunder. Sie schildert es eher als organischen Prozess, an dessen Anfang der nüchterne Blick der Ingenieurin stand: «Bevor ich das ‹Kle› eröffnen wollte, rechnete ich aus, wie viele Kilos Huhn oder Butter ich pro Woche brauchen würde. Da wurde mir klar: Die schnellste Möglichkeit, Einfluss zu nehmen, war der Verzicht auf diese Produkte.» Wenn die Nahrungsindustrie sich nicht ändere, werde sich allerdings nicht viel ändern, sagt sie. Deren hochprozessierte Ersatzprodukte jedenfalls, «die wie ein Burger aussehen und sich im Mund anfühlen wie einer», hält sie nicht für zielführend.

Ihre ersten Versuche, sich selbst vegan zu ernähren, schildert sie als Kampf: «Ich hatte keine Idee, was ich essen könnte, musste viele Zutaten loslassen, die Gerichte für mich wohlschmeckend gemacht hatten: Eier, Käse, Schinken.» Sie lernte schnell, für sich und für andere. Wenn ihre Mutter mit tierischen Zutaten kocht, isst sie jedoch mit: «Es ist nicht meine Religion», betont Hattab.

So spricht sie auch von «pflanzenbasierter Küche», vermeidet das ideologisch besetzte Wort «vegan»: «Ich will mich mit Leuten verbinden. Und diesem Ziel läuft zuwider, dass manche sich durch diese Begriffe angegriffen fühlen und aggressiv werden, weil sie dabei an Tofu-Burger und Aktivismus denken. Man kann ins Schlachthaus einbrechen – ich war in Schlachthäusern und weiss, warum sie geheime Orte sind – oder es in die eigenen Hände nehmen und so eine Wirkung erzielen.»

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