Freitag, April 18

Während europaweit über Wehrpflicht diskutiert wird, existiert in Thailand ein ziemlich einzigartiges Wehrpflichtsystem: eine Lotterie.

Jedes Jahr Anfang April findet in Thailand eine Lotterie statt. Wer Gewinner und wer Verlierer ist, ist dabei nicht so klar. Einmal im Leben müssen über 21-jährige Thailänder zur Rekrutierungslotterie antreten. Ziehen sie im Rekrutierungszentrum aus der grossen Urne eine schwarze Karte, sind sie vom Militärdienst befreit. Ziehen sie die rote Karte, müssen sie für zwei Jahre in der Armee dienen.

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In Zeiten, in denen europaweit über die Wehrpflicht diskutiert wird und darüber, wie man junge Menschen für die Armee begeistern kann, existiert in Thailand ein ziemlich einzigartiges System: Man lässt den Zufall entscheiden.

Die Chance liegt bei 50 Prozent

Die Militärlotterie in Thailand existiert seit 1954. Sie dient dazu, die riesige thailändische Armee jedes Jahr mit der nötigen Anzahl Rekruten zu versorgen. Wer sich freiwillig meldet, muss nicht zur Lotterie und nur ein Jahr lang dienen. 2023 meldeten sich rund 40 000 Rekruten freiwillig, 45 000 wurden laut der Armee von der Lotterie ausgewählt. Jene, die zur Lotterie antreten müssen, wollen tendenziell nicht dienen – sonst hätten sie sich schon vorher gemeldet.

Die Chance, eine schwarze Karte zu ziehen, also vom Dienst befreit zu werden, liegt je nach Region bei etwa 50 Prozent – in Grossstädten ist sie höher, weil sich viele bereits freiwillig gemeldet haben.

Weil heute jede Lebenslage gefilmt und für Social Media verwertet wird, gibt es von der Rekrutierungslotterie seit einigen Jahren sehr unterhaltsame und auch sehr traurige Videos. Meistens zeigen sie einen jungen Mann, der zur Urne läuft und sich danach von Soldaten bewacht die Ohren zuhält. Im Hintergrund sitzen andere junge Männer auf Plastikstühlen, ganz hinten in der Halle warten die Familien. Wenn Schwarz, also die Befreiung vom Wehrdienst, aufgerufen wird, folgt meist ein Jubelschrei.

Dieses Jahr ging das Video eines jungen Mannes viral, der seine Farbe wohl falsch verstanden hat, er verfiel in eine Starre und legte sich wie ein Brett auf den Boden. Bis ihm die Soldaten erklärten, er müsse nicht dienen – da strömte alles Leben in ihn zurück, und er fing an zu schreien.

Manche der Videos enden weniger lustig: Junge Männer, die fast in Ohnmacht fallen, als sie hören, dass sie zwei Jahre in der Armee dienen müssen.

Ernster Hintergrund

Der Hintergrund der Ausbrüche ist ein ernster. Die thailändische Armee hat einen zwiespältigen Ruf. Sie hat in Thailand bereits mehrmals eine demokratische Regierung weggeputscht, letztmals 2014. Der Militärapparat gilt als aufgeblasen, nirgendwo auf der Welt gibt es mehr Generäle relativ zur Truppenstärke. Immer wieder gibt es Berichte von grausamen Einführungsritualen für Rekruten und Gewalt in den Baracken.

Aktivisten und progressive Parteien kritisieren das System der Rekrutierungslotterie seit Jahren. Es verstärke nicht nur einen aufgeblähten Militärapparat. Sondern benachteilige auch die Ärmsten in der Gesellschaft: Wer genug Geld hat, kann sich von der Lotterie freikaufen. Derzeit fliessen diese Beträge angeblich unter der Hand an die Rekrutierer.

Die Armee selber hat dieses Jahr aber vorgeschlagen, ein System einzuführen, in dem man, statt an der Lotterie teilzunehmen, einen Geldbetrag bezahlt. Dies wird derzeit geprüft. Offiziell entschuldigt von der Lotterie ist nur, wer gesundheitlich nicht fähig ist, Dienst zu leisten. Oder wer bereits in der Sekundarschule ein Reserve-Militärtraining besucht hat.

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