Freitag, April 25

Auf einer Bühne in einem Konferenzhotel beim Flughafen Bangkok sitzen ein amerikanischer Arzt und eine thailändische Ärztin. Sie wurden eingeladen, um über die Gesundheit von Transmenschen zu sprechen, ihr Publikum sind Politiker und Aktivisten. Der amerikanische Arzt erzählt, unter der Trump-Regierung sei die Finanzierung seiner Studien mit Transmenschen zusammengestrichen worden.

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Die thailändische Ärztin erzählt von einem neugegründeten Netzwerk von Ärzten, das Thailands Regierung wissenschaftlich berät, wenn es um die Abgabe von Hormonen zur Geschlechtsanpassung geht.

In den USA scheint für Transmenschen gerade alles rückwärtszugehen. In Thailand geht alles vorwärts. Natthineethiti Phinyapincha, von allen nur Nikki genannt, hört den Rednern konzentriert zu. Und sagt leise: «Wir werden hier langsam zum sicheren Hafen für Transmenschen.»

Anfang des Jahres hat die thailändische Regierung angekündigt, fast 4 Millionen Franken zu investieren, um die Hormonbehandlung für Tausende Transmenschen gratis zu machen. Das ist eine bemerkenswerte Entscheidung, denn Thailands Regierung ist ausgesprochen konservativ – liberale Kräfte werden regelmässig von den alteingesessenen Königstreuen ausmanövriert. Vielleicht noch bemerkenswerter: Niemand schien sich an dieser neuen Verordnung zu stören, sie ist fast unbemerkt geblieben.

Wer aus Europa kommt und die unerbittlichen Debatten um Transmenschen der vergangenen Jahre kennt, fragt sich unweigerlich: Wieso ist das so?

Transmenschen in Firmen fördern

Nikki wurde als Junge und in sehr einfachen Verhältnissen geboren, sie teilte sich einen Raum mit ihrer ganzen Familie in einem Armenviertel in Bangkok. Heute ist sie 37 Jahre alt und lebt als Frau. «Vergleicht man es mit vor zehn Jahren, akzeptiert die Gesellschaft Transmenschen viel besser», sagt sie. Es ist natürlich ein Klischee: Thailand und die Ladyboys. Aber tatsächlich bewegen sich Transmenschen in der Hauptstadt Bangkok viel selbstverständlicher durchs Leben als in europäischen Städten. Sie ernten keine Blicke, Anfeindungen oder Komplimente. Sie sind einfach da.

«Thailand hat eine tolerante Gesellschaft», sagt Nikki. Die Uno veröffentlichte vor einigen Jahren eine Studie, in der sie Thailänder und Thailänderinnen gefragt hatte, ob sie Homosexuelle und Transmenschen akzeptierten. 88 Prozent sagten Ja. Die Zahl fiel hingegen auf 75 Prozent bei der Frage, ob die Befragten Homosexuelle und Transmenschen in der eigenen Familie akzeptieren würden.

Thailand hat eine lange kulturelle Tradition eines dritten Geschlechts, der Kathoey, jener, die sich zwischen Mann und Frau einordnen. Kathoey arbeiteten traditionell in der Filmbranche, im Beauty-Sektor oder als Sexarbeiterinnen. Ihre Rolle in Thailands beliebten Telenovelas war lange eine ähnliche: Sie waren dramatisch, intrigant und meist unglücklich verliebt.

Nikki ist den Verhältnissen, in die sie geboren wurde, entwachsen. Sie hat dank guten Noten und Stipendien bessere Schulen besucht als die Nachbarskinder. Ihren Master absolvierte sie an der Universität in Lugano, zurück in Thailand, arbeitete sie in Luxushotels. Heute führt sie ihre eigene Unternehmensberatung: Transtalents. Sie berät Firmen darin, wie sie talentierte Transpersonen für Kaderpositionen gewinnen können. Ihr Netzwerk wächst langsam: Es sind schon dreissig Transfrauen in Kaderpositionen von ganz unterschiedlichen Unternehmen, und nicht mehr nur im Beauty- und im Filmbereich.

DEI, Diversity, Equity und Inclusion – dafür setzt sich Nikki ein, für drei Worte, die unter der Trump-Regierung in den USA einen schalen Beigeschmack erhielten. Nikki glaubt, in den USA sei in den vergangenen Jahren einiges schiefgelaufen, man habe «Rainbow-Washing» betrieben und Transmenschen in Unternehmen geholt nur aufgrund ihrer Transidentität. «Ich sage in meinem Netzwerk immer: Du solltest einen Job aufgrund deiner Kompetenz bekommen.» Die Transidentität sollte allerdings auch kein Hindernis sein.

Vielleicht ist das ein Grund, wieso die Debatte in Thailand weniger vergiftet geführt wird: Identität steht nicht über allem. Nikki musste ihre ganze Schulzeit Hosen tragen, obwohl sie schon als Kind wusste, dass sie als Frau leben möchte. Einmal hat sie ein Lehrer in ein Sommercamp geschickt, das aus ihr einen richtigen Mann hätte machen sollen. «Das ging mir alles am Arsch vorbei», sagt sie, gute Dinge seien für sie oft an eine Bedingung geknüpft gewesen, eben zum Beispiel Hosen zu tragen statt Röcke. «Ich habe beschlossen, die Bedingungen zu akzeptieren, um etwas zu erreichen. Sozusagen als Opportunitätskosten.»

Transfrau im Parlament

Tanwarin Sukkhapisit, 51 Jahre alt, war 2019 die erste Transfrau im thailändischen Parlament, heute ist sie wieder Filmemacherin. Sie produziert Telenovelas, in denen auch schwule Paare und Transmenschen vorkommen – heute sind nicht mehr alle von ihnen unglücklich verliebt. Die Telenovelas und Social Media, das habe den Blick auf Transmenschen in Thailand in den letzten Jahren verändert, sagt sie. Es sei selbstverständlicher geworden, eine Transperson zu sein.

Als Sukkhapisit 2019 gewählt wurde, beobachteten sie die älteren Parlamentarierinnen genau: Wie kurz ist der Rock, wie tief ist ihr Ausschnitt? Sie habe das System erschüttert, sagt sie, und lernte doch, dieses System für sich zu nutzen. Sie lobbyierte damals für die Ehe für alle. «Irgendwann haben mich Politiker der konservativen Partei zum Mittagessen eingeladen. Ich sollte ihnen einmal diese Ehe für alle genau erklären», erzählt sie – sie ist noch heute stolz auf diesen Erfolg. 2024 winkte das Parlament die Ehe für alle durch. Damit ist Thailand neben Taiwan das einzige asiatische Land, das gleichgeschlechtliche Ehen erlaubt.

Natürlich sei nicht alles gut für Transmenschen in Thailand, sagt Sukkhapisit. Man kann in Thailand sein Geschlecht nicht legal ändern, das führt für Transmenschen gerade am Flughafen oft zu langen Kontrollen, weil im Pass Mr. steht, aber die Reisende aussieht wie eine Ms. Aber ganz grundsätzlich, sagt Sukkhapisit, werde es immer besser. Sie glaubt auch nicht, dass die Kulturkämpfe aus dem Westen bald nach Thailand kämen.

Die Kämpfe, sie werden in Thailand anders geführt. Sukkhapisit und Nikki sagen beide, manchmal gehe ihnen alles zu wenig schnell vorwärts, es sei anstrengend, sich dem konservativen thailändischen Establishment immer und immer wieder zu erklären. Und natürlich wollen Transaktivisten viel mehr, als sie bekommen, viele wünschen sich, dass die binäre Geschlechterordnung ganz abgeschafft wird.

Aber Nikki sagt auch: «Es klingt abgedroschen: Thailand, das Land des Lächelns. Aber es stimmt schon, wir streiten nicht öffentlich.» Und wer Streit verhindern will, muss Kompromisse finden. «Wir sprechen immer miteinander, wir lobbyieren, wir kompromittieren. So kommen wir zum Erfolg», sagt Nikki.

Das «window of opportunity»

Der kostenlosen Hormonabgabe ging jahrelanges Lobbying voraus. Einer, der mitlobbyierte, ist Naphat Krutthai, 46 Jahre alt, genannt Jim. Er arbeitet für die Transorganisation Apcom. Jim ist ein Transmann – diese Männer gehen in Thailand manchmal fast vergessen, im Klischee existieren in Thailand nur die Ladyboys. Jim trifft regelmässig Regierungsvertreter. «In den letzten Jahren hat sich die Zusammenarbeit vertieft», sagt er.

Was Jim in Thailand sieht, ist etwas, wofür es nur einen englischen Begriff gibt: «window of opportunity». Ein Chancen-Fenster, um etwas zu bewegen.

Es begann mit einer Kampagne der thailändischen Regierung in den 2010er Jahren: «Go Thai, be free», war der Slogan, und er richtete sich an homosexuelle Paare und Transmenschen auf der ganzen Welt – komm nach Thailand in die Ferien, hier kannst du sein, wie du willst. Die Kampagne brachte neue Touristen ins Land. Und stiess auf Widerstand in Thailands queerer Bevölkerung: Sie fühlten sich nicht frei, durften zum Beispiel ihre Partner nicht heiraten. Sie schlossen sich zusammen, auch mit der Demokratiebewegung im Land.

Das «window of opportunity» entstand damals: Die thailändischen Behörden realisierten, dass queere Touristen viel Geld ins Land bringen. Und Thailands Aktivisten realisierten, dass die Regierung bereit war, ihnen dabei zuzuhören, wie man Thailand für diese Touristen attraktiv machen kann. Die Ehe für alle und die kostenlosen Hormonbehandlungen sind das Resultat.

Oder wie Jim es sagt: «Wir müssen sie in ihrer Sprache überzeugen.» Damit meint er nicht die Sprache der Aktivisten, diese wollten über Menschenrechte und Gleichberechtigung reden. Politiker wollten über Wachstum und Wirtschaft sprechen – «am Ende führt es zum Gleichen», sagt Jim.

Thailand will bald die World Pride ausrichten, so etwas wie die Olympischen Spiele der Pride-Paraden, der Umzüge, die Angehörige der LGBT-Bewegung in Städten auf der ganzen Welt organisieren. Vertreter der Bangkoker Regierung werden sich das diesjährige Spektakel in den USA anschauen. Es soll in einigen Jahren der Höhepunkt sein einer Positionierung Thailands als Destination für queere Reisende.

Jim und andere Aktivisten hoffen, dass sie bis zur allfälligen World Pride noch einige Erfolge erzielen können. Jim wird weiter Regierungsvertreter treffen, er will noch viel erreichen. «Aber ich sage ihnen auch nicht: Unser Leben ist so schlimm, bitte schenkt uns mehr Aufmerksamkeit. Es geht nicht darum, dass wir jemandem leidtun müssen.»

Verzeihen ist wichtig

Jim muss überlegen, wenn er gefragt wird, wieso der Kulturkampf aus dem Westen nicht nach Thailand übergeschwappt sei. Natürlich führe man in Thailand auch Diskussionen wie in Europa: Welche Toiletten sollen Transmenschen benutzen? Er hat auch keine finale Meinung dazu, da könne man lange debattieren. Vielleicht ist auch das ein Unterschied: dass sich in Thailand die Debatte um Transmenschen nicht in Details verliert.

Auf dem Podium im Konferenzhotel in Bangkok spricht der amerikanische Arzt über operative Geschlechtsanpassungen in New York. Man habe erst Chirurgen darin schulen müssen. Und habe dann gemerkt, dass Transmenschen die Spitäler doch nicht besuchten, also habe man das Personal im sensiblen Umgang mit Transmenschen geschult. In einem nächsten Schritt forderte man die Spitäler auf, Transmenschen einzustellen, um ein diverses Umfeld zu schaffen. Und das klingt alles etwas kompliziert und etwas überfrachtet.

Die thailändische Ärztin auf dem Podium sagt, Diversität in einem Spital sei wichtig, ohne Frage. Und sie wendet sich ans Publikum: Nicht in jedem Spital gebe es Menschen, die Erfahrungen hätten mit Transmenschen, da müsse man nachsichtig sein und dürfe nicht alles persönlich nehmen – verzeihen, das sei auch wichtig.

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