Donnerstag, Mai 22

Brücken, Stützmauern und Parkhäuser halten jahrzehntelang. Doch wenn der Stahl im Inneren korrodiert, ist das von aussen kaum zu sehen. Forscher setzen darum auf die Diagnose mit Messsensoren, Drohnen und künstlicher Intelligenz.

Beton hält die moderne Welt buchstäblich zusammen: Brücken überwinden Flüsse und Täler, Stützmauern und Tunnelröhren halten Erdreich und Geröll auf Abstand. Über Jahrzehnte hinweg. Doch bei manchen Bauwerken fragt man sich, wie lange sie den Job noch machen werden. Wenn Risse erkennbar sind, Material abplatzt, gar rostiges Wasser herausläuft: Hält das trotzdem?

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Die Lebensdauer hängt massgeblich davon ab, wie es um das Stahlskelett steht, die sogenannte Bewehrung im Inneren der Betonbauwerke. Dieses Skelett kann viel grösseren Zugkräften standhalten als der Beton allein. Das macht es überhaupt erst möglich, Brücken mit grossen Spannweiten zu bauen.

Ist der Stahl umschlossen von Beton, schützt ihn das einerseits vor Wasser und Umwelteinflüssen, die ihn rosten lassen. Anderseits verhindert es die Umhüllung, mögliche Korrosion frühzeitig zu erkennen. Wenn sie sich an der Oberfläche zeigt, ist die Zersetzung drinnen meist schon weit fortgeschritten und eine aufwendige Sanierung nötig. Wenn es nicht sogar zum Einsturz kommt wie bei Brücken in Genua oder Dresden. Die Schweiz ist von dem Problem nicht verschont – auch hier hat sich der Zustand vieler Bauwerke verschlechtert.

Es wäre unsinnig und unbezahlbar, alle älteren Bauwerke auf Verdacht aufzumeisseln, um den Stahl zu kontrollieren. Stattdessen arbeiten Wissenschafter an Verfahren, um den Zustand ohne Zerstörung zu ermitteln. Drohnen, Sensoren und künstliche Intelligenz versprechen hierbei grosse Fortschritte.

Beton untersuchen – gleichsam wie ein Arzt

Wie die Fachleute vorgehen, lässt sich beispielhaft an der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung in Berlin beobachten. Gino Ebell, Experte für Beton- und Spannstahlkorrosion, eilt mit wehendem weissem Kittel ins Labor. Das erinnert an eine TV-Arztserie, und tatsächlich gibt es eine Gemeinsamkeit. So ähnlich wie Mediziner mittels Ultraschall- oder Röntgenstrahlung Knochen und Gewebe untersuchen, analysiert Ebells Team Betonproben mithilfe von Elektroden. Er bestimmt auf diese Weise das sogenannte elektrochemische Potenzial. Das ist ein Mass, das angibt, wo das Material bereits korrosionsgeschädigt ist.

Mit der Handsonde fährt Ebell über einen feinen Riss im Beton. Prompt ändert sich die Anzeige auf dem Messgerät. Ebell dreht die Probe um. Auf der Rückseite ist ein rostiges Stück Bewehrungsstahl zu sehen, das den Ausschlag auf der Anzeige provoziert hat.

«Solche Messungen lassen sich auch direkt an Bauwerken vornehmen», sagt Ebell. Wo es einen Verdacht auf korrodierten Stahl gibt, wird eine Probe entnommen und genau geprüft, inwieweit der umhüllende Beton noch vor Korrosion schützt. Auch der Stahl wird eingehend untersucht, beispielsweise darauf, welcher Anteil seines Querschnitts bereits weggerostet ist.

Die Befunde entscheiden zum Beispiel darüber, ob eine Brücke noch genutzt werden kann oder gesperrt werden muss. Je nachdem, wie gross der Schaden ist, fällt die Sanierung aus. «Manchmal genügt es, den Beton an der Stelle zu erneuern oder eine Beschichtung anzubringen, die verhindert, dass weiterhin Wasser und Tausalz eindringen», sagt Ebell.

Spannstahl bereitet spezielle Probleme

Die Messung des elektrochemischen Potenzials funktioniert jedoch nicht überall. In manchen Betonbauwerken befinden sich sogenannte Spanndrähte in einem Hüllrohr aus Metall. Es bildet einen Faradaykäfig, der die Drähte für das Messverfahren unsichtbar macht. Das ist vor allem in Deutschland ein Problem. Dort wurden zwischen den fünfziger und siebziger Jahren, im Osten bis Anfang der neunziger Jahre, viele Brücken mit einer besonderen Art von Spannstählen gebaut.

Die starke Luftverschmutzung, speziell das Schwefeldioxid, habe die damals verwendeten Stähle in Kombination mit Feuchtigkeit angegriffen, ehe sie in Mörtel eingefasst worden seien, erzählt Ebell. Im Verborgenen bildeten sich an den Drähten feine Risse. Jahrzehnte später reissen sie nun durch. Sind zu viele Spanndrähte gerissen, können die verbleibenden den Zugkräften nicht mehr standhalten.

Die Carolabrücke in Dresden beispielsweise stürzte 2024 teilweise ein. Bei ähnlichen Bauwerken wurde das Schlimmste durch Sperrungen verhindert. Die Folgen für den Verkehr sind dramatisch – es kommt zu Staus und grossen Umwegen. Das zeigt das Dilemma, wenn über Sperrung oder Weiterbetrieb zu entscheiden ist: Jeder wünscht Sicherheit, aber auch eine nutzbare Infrastruktur.

Sensoren sollen es registrieren, wenn Drähte reissen

«Es gibt viele Brücken, die geschädigt sein können», sagt Ebell. «Nicht alle lassen sich in kurzer Zeit durch einen Neubau ersetzen.» Oft bleibe kaum etwas anderes als die «palliative Begleitung», wie es der Ingenieur nennt. Die Bauwerke werden mit Sensoren versehen, die Erschütterungen messen. Sie können gleichsam «hören», ob und wo Spanndrähte reissen.

Hinzu kommen Sensoren, die kleinste Verformungen erfassen. «Anhand der Daten ist schnell zu erkennen, ob der Zustand stabil bleibt oder ob er sich verschlechtert und womöglich eine Vollsperrung nötig ist», sagt er.

Auch in der Schweiz gibt es zahlreiche Brücken und Stützmauern, die in die Jahre gekommen sind. Ueli Angst, Professor für Dauerhaftigkeit von Werkstoffen an der ETH Zürich, kennt das Problem sehr gut. «Allein in der Strasseninfrastruktur kosten Prävention und Instandsetzung korrodierender Bauwerke über eine halbe Milliarde Franken pro Jahr», sagt er. Sein Ansatz lautet: Schäden früher erkennen und bestenfalls eine Prognose erstellen, wie lange ein Bauwerk noch nutzbar ist.

Die Standardprozedur seien – meist jährlich durchgeführte – Sichtprüfungen, erläutert der Forscher. Sie hätten aber Nachteile. Erstens sieht der Prüfer aussen erst dann Anzeichen von Korrosion, wenn diese im Inneren weit fortgeschritten ist. Und zweitens braucht es für die Prüfung viel Personal. Gesperrte Spuren und Spezialgeräte wie eine Arbeitsbühne, mit der man auch die Unterseite einer Brücke inspizieren kann, treiben die Kosten zusätzlich in die Höhe.

Drohnen helfen bei der Überwachung

Ein Team um Ueli Angst hat eine zerstörungsfreie Messsensorik entwickelt, die mit Drohnen kombiniert werden kann. Sie macht es möglich, mit geringem Aufwand und ohne grosse Absperrungen Bauwerke zu inspizieren. Zum Beispiel fliegt eine Drohne an einen Brückenpfeiler heran und bestimmt mit einem Sensor in einem Raster an vorgegebenen Punkten das elektrochemische Potenzial. Damit könne Korrosion frühzeitig erkannt werden, sagt der Forscher. Das verringere den Sanierungsaufwand.

Die Inspektion mittels Drohne wird derzeit noch optimiert. Andere Methoden sind bereits auf den Markt gebracht worden. Dazu zählen Sensoren des ETH-Spin-offs Duramon. Diese werden in unterschiedlicher Tiefe in den Beton eingebaut und messen dort regelmässig Temperatur, Feuchtigkeit, Säuregrad und Salzgehalt. Anhand der Daten sehen die Fachleute, ob der Bewehrungsstahl bereits angegriffen wird oder noch von ausreichend intaktem Beton umgeben ist.

Laut Ueli Angst zahlt sich die Grundlagenforschung aus. «Wir können nun abschätzen, wie viel Zeit verbleibt, bis das Korrosionsrisiko am Bauwerk ansteigt und grössere Sanierungen nötig sind», sagt er. Das helfe beispielsweise Strassenverwaltungen, ihre Baumassnahmen zu priorisieren und die Finanzmittel effektiv einzusetzen. Die Sensoren könnten sowohl in Neu- als auch in Bestandsbauten eingesetzt werden.

In seiner Zukunftsvision werden die verschiedenen Messdaten der verbauten Sonden sowie der Drohnen miteinander verknüpft – und für einen digitalen Zwilling des jeweiligen Bauwerks genutzt. «Mit einer VR-Brille bewegen sich die Ingenieure im virtuellen Bauwerk, sie können beispielsweise sehen, wie sich die Messwerte im Lauf der Zeit ändern, und anhand dessen gefährdete Bereiche identifizieren», skizziert er. Methoden der künstlichen Intelligenz versprächen zudem, auch grosse Datenmengen effektiv auswerten zu können.

Die radikale Alternative: Stahl durch Carbon ersetzen

Theoretisch haben Bauingenieure auch noch eine ganz andere Option, wenn sie sich nicht mit Korrosion herumschlagen wollen: Sie können eine nichtrostende Bewehrung verwenden. Edelstahl ist dafür allerdings viel zu teuer. Eine mögliche Alternative sind Carbonfasern.

Wie das praktisch aussieht, ist in einer Versuchshalle der Technischen Universität Berlin bereits zu besichtigen. Dort hat ein Team um Mike Schlaich das Modell einer Strassenbrücke aufgebaut. Es ist halb so gross, wie es später einmal im Freien stehen soll. Von aussen ist Beton zu sehen, im Innern aber sind schwarze Bündel aus Carbonfasern verspannt. Der Preis für solche Konstruktionen ist laut Schlaich konkurrenzfähig, vor allem verglichen mit herkömmlichem Spannbeton.

«Zwei Millionen Lastwechsel haben wir mit tonnenschweren Gewichten simuliert und haben gemessen, wie gross die Verformung ist, ob sich das Schwingungsverhalten ändert», sagt er. Wenn es nach ihm geht, könnten schon morgen solche Brücken errichtet werden. Doch Bauherren zögerten, weil es keine Normen für diese neue Art gebe. Dann sei eine sogenannte Zustimmung im Einzelfall nötig, und die koste Zeit. Viele scheuten diesen Aufwand.

Wo und vor allem wann die schwarzen Fasern die potenziell rostenden Stahlskelette ablösen werden, ist derzeit schwer absehbar. Korrosion wird darum noch lange ein Thema der Baubranche bleiben.

Ein Artikel aus der «»

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