Mittwoch, November 12

In Österreichs Hauptstadt ist es in den letzten Wochen zu schwerer Gewalt zwischen ethnischen Gruppen gekommen. Die Politik fordert ein Waffenverbot und Abschiebungen auch nach Syrien und Afghanistan.

Wien hat trotz erhöhter Polizeipräsenz erneut ein blutiges Wochenende erlebt. Am Sonntagabend kam es zu einer Schiesserei an einem populären Marktplatz unweit des Stadtzentrums im 16. Bezirk, bei der zwei junge Männer schwer verletzt wurden. Die Hintergründe sind immer noch unklar und die Täter nach wie vor flüchtig, obwohl es zu einem Grosseinsatz der Polizei gekommen war.

Weil in der Nähe des Tatorts ein Rucksack mit Suchtmitteln gefunden wurde, geht die Polizei derzeit von einer Auseinandersetzung im Drogenmilieu aus. Unbeteiligte seien nicht in Gefahr gewesen. Dennoch löste die Tat heftige Debatten aus, weil sie die jüngste in einer ganzen Reihe bewaffneter Auseinandersetzungen in Österreichs Hauptstadt ist. Am Wochenende zuvor waren gleich an zwei Abenden hintereinander junge Männer aufeinander losgegangen, wobei neben Stöcken und Messern ebenfalls Schusswaffen eingesetzt worden waren. Sieben Personen wurden dabei verletzt, mehrere so schwer, dass sie ins Spital gebracht wurden.

Es geht um Rache und die Vorherrschaft an bestimmten Orten

Die Gewalteskalation geht auf einen schon seit mehreren Monaten schwelenden Bandenkrieg zurück, in dem sich Tschetschenen auf der einen und Syrer sowie teilweise Afghanen auf der anderen Seite gegenüberstehen. Die Konfrontationen werden in Chat-Gruppen, etwa auf Telegram, gezielt vereinbart und finden in Parkanlagen oder an öffentlich gut erschlossenen Verkehrsknotenpunkten statt.

Die Gründe für den Konflikt sind vielfältig, laut den Behörden geht es um Rache und die Vorherrschaft in bestimmten Revieren. Bereits seit Januar kommt es in mehreren Bezirken zu gewalttätigen Auseinandersetzungen der beiden ethnischen Gruppen. Der unmittelbare Anlass für die jüngste Welle soll ein Vorfall von Anfang Juni in einem Park in Wien Favoriten sein. Damals wurde ein 30-jähriger Tschetschene niedergestochen und lebensgefährlich verletzt.

Die Täter wurden nicht gefasst, werden von den Tschetschenen aber in einer mehrheitlich von Syrern gebildeten Bande namens 505 oder 515 vermutet. Die Zahlen sollen auf Clans aus dem Nordosten Syriens verweisen und werden von den jungen Männern in den sozialen Netzwerken verwendet oder auf Wände gesprüht. Laut dem Magazin «Profil» taucht die Chiffre auch in Deutschland, Schweden und der Türkei auf.

In Österreich sollen der Gruppierung vor allem in den letzten fünf Jahren zugewanderte Jugendliche angehören, die zuvor jahrelang ohne Perspektive und Schulbildung in türkischen Flüchtlingslagern lebten. Sie sind besonders schlecht integriert, während die mit der Fluchtbewegung von 2015 ins Land gekommenen Syrer eher der bildungsnahen Mittelschicht angehörten. Letztere distanzieren sich deshalb von den Neuzuzügern, wie das Magazin schreibt.

Auf Tiktok und Telegram werfen Tschetschenen Mitgliedern der 505-Gruppe nicht nur die Tat vom Juni vor, sondern auch, dass tschetschenische Frauen von diesen belästigt würden. Zudem macht das Gerücht von einem Angriff auf eine Schwangere die Runde oder Nachrichten aus der Türkei, wo ein Syrer ein Kind missbraucht haben soll. In den Chat-Foren schwören die Tschetschenen Rache und feiern syrische Opfer, die sie als Tiere oder Huren beschimpfen.

Die Polizei sieht eine neue Qualität der Gewalt

Für die Polizei hat die Gewalt eine «andere Qualität» erreicht, worauf sie mit mehr Beamten und Schwerpunktaktionen an Hotspots reagierte. Man wisse, wer die in die Auseinandersetzungen verwickelten Personen seien, und erhöhe schon bei Treffen von kleinsten Gruppen an neuralgischen Orten die Präsenz. Laut Franz Ruf, dem Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit, handelt es sich nicht um Clan-Kriminalität, wie man sie etwa in Berlin kennt. Es gehe um ethnische Konflikte zwischen lose zusammengesetzten Gruppierungen, sagte Ruf gegenüber dem ORF.

Wiens Bürgermeister Michael Ludwig reagierte am Montag und forderte ein generelles Waffenverbot in der ganzen Stadt. Ein solches hatte bereits im Frühling auch Innenminister Gerhard Karner vorgeschlagen nach einer Serie von Messerstechereien in der Hauptstadt.

Punktuelle Waffenverbotszonen gibt es bereits in Wien und Innsbruck. Diejenige für Wien Favoriten gilt seit 30. März und führte seither zu einem Rückgang der Jugendkriminalität um zwanzig Prozent, wie das Innenministerium auf Anfrage erklärt. Es brauche auch Sozialarbeit und Prävention, aber als kurzfristige Massnahme seien Waffenverbotszonen geeignet, so Ruf.

Darüber hinaus fordert Karner einmal mehr Ausschaffungen auch nach Afghanistan und Syrien. Rechtlich wäre das in gewissen Fällen möglich: Erst Mitte Juni hatte Österreichs Verfassungsgerichtshof Abschiebungen nach Afghanistan unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig befunden und dies unter anderem mit einer verbesserten Sicherheitslage seit der Machtübernahme der Taliban begründet. Faktisch sind Ausschaffungen in die beiden Länder derzeit aber unmöglich, weil sie eine Zusammenarbeit mit den jeweiligen Regimen bedingen.

Die Polizei geht derweil davon aus, dass sich die Situation rasch beruhigen werde, und sieht dafür auch bereits Anzeichen. Man habe einen langen Atem, um die notwendigen Schwerpunktaktionen durchzuführen, sagte der stellvertretende Präsident der Landespolizeidirektion Wien. Ein bekannter tschetschenischer Influencer erklärte auf seinem Tiktok-Kanal zudem, dass ältere Respektspersonen aus den betroffenen Communitys derzeit «Friedensverhandlungen» führten, um die Fehde zu beenden.

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