In Nora Osagiobares «Daily Soap» gibt es ein Bundesamt für Hautfarben namens BARACK, und die SVP will Ausländern das Lachen verbieten. Über ein gelungenes Debüt.
Wenn ein Buch mit einer Liste seiner Protagonisten beginnt, penibel geordnet nach steuerbarem Vermögen, so handelt es sich dabei entweder um die gebundenen Erhebungen des Bundesamts für Statistik oder um ein Stück eidgenössischer Gesellschaftskritik.
Bei Nora Osagiobares Debütroman handelt es sich um das Zweite. Vorgetragen als bitterböse, hypersexualisierte Seifenoper mit dem formgebenden Titel «Daily Soap». Bei einem solchen Unterfangen könnte sehr viel schiefgehen. Doch das tut es nicht.
Das Seifenopernkarussell dreht sich
Aller Verstrickungen Anfang ist das spirituelle Vakuum der jungen Anneli Killer. Diese versucht ihre Seelenleere mit verschiedenen Drogen, Sekten und Männern zu füllen. Letztgenanntes führt erstens zu einer Ehe mit dem zeugungsunfähigen Thor Obioye Osayoghoghowemwen. Zweitens, und dummerweise kurz nach Eheschluss, zu einer Überschwängerung Annelis.
Bei einer Überschwängerung werden während des gleichen Zyklus zwei Eizellen von den Spermien zweier Männer befruchtet. In Annelis Fall waren das der finanziell reiche, aber geistig arme Modeunternehmer Armin Banal und der selbstverliebte Maler Louis Efe di Cabrio. Aus der Melange resultieren Zwillinge, die tatsächlich nur Halbgeschwister sind. Hier: Die Chronistin aller geschilderten Verstrickungen, Toni Otasowie Osayoghoghowemwen, süchtig nach der Seifenoper «Sturm der Triebe». Und Wanda, Schachprofi und sonderbar abwesend.
Als das Zürcher Modehaus Banal & Bodega in einen Rassismusskandal gerät (#banalundbeschissen), dreht sich das Seifenopernkarussell schneller und schneller und reisst auch jene mit, die eigentlich weit davon weg stehen.
Witzig, weil wahr
Innerhalb weniger Sätze gelingt Osagiobare der Sprung von der Metaebene hinab unter die Gürtellinie und zurück. Ein Gelingen ist das nicht nur, weil Osagiobare treffsicher auf verschiedensten Ebenen landet. Sie erweist sich auch als böse und akkurate Beobachterin. «Daily Soap» ist witzig, weil so viel Wahrheit in den fett über die Ränder hinausgemalten Karikaturen steckt.
Dass ein schwarzer Mann während einer Schweizer Polizeikontrolle nicht ins Visier der Beamten gerate, sei etwa so wahrscheinlich «wie die Aufnahme eines bipolaren Heroinjunkies in eine Zusatzversicherung», schreibt Osagiobare.
Rassisten sind bei ihr «abstrakte Figuren mit Schwarz-Weiss-Neurosen». Sie sind dem schwarzen Künstler Louis Efe als Kunden allerdings ebenso lieb wie alle andern auch. Denn «auch Rassisten haben leere Wände». Und als ein Staatsanwalt ein von seiner eigenen Abteilung begangenes, rassistisch motiviertes Unrecht geraderückt, wird er dabei «vom stolzen Gefühl begleitet, eine Art weisser Martin Luther King zu sein».
Während Wanda kreideweiss ist, lautet der exakte Hautton ihrer Zwillingsschwester Toni «Cappuccino mit einem Schuss mehr Milch als Cappuccino Macchiato und einem Löffel Rohrzucker, serviert an einem lauen Novemberabend in Sri Lanka». Die Farbzuteilung für alle Bürger ausserhalb des eidgenössischen Farbspektrums übernimmt in Osagiobares helvetischer Satire das «Bundesamt für die Rationalisierung Andersfarbiger anhand von Cappuccino beziehungsweise Kaffee», kurz: «BARACK».
Die umständlichen Farbtöne erscheinen auf den ersten Blick selbst für eine Satire arg überzeichnet. Auf den zweiten Blick aber, und so funktionieren Osagiobares Karikaturen meist, erinnern sie an eine reale Begebenheit. An die äusserst präzise Beschreibung für Fleischerzeugnisse wie Bündnerfleisch nämlich. Der Lachanfall des damaligen Bundespräsidenten Hans-Rudolf Merz, der die Formulierung im Parlament vorlesen musste und zwischendurch nur noch zu japsen vermochte, ist in die Annalen der Schweizer Geschichte eingegangen.
Fussnoten und Werbespots
Osagiobare unterbricht ihre Telenovela – wie es sich gehört – für kurze Werbespots. Die Herren Schenkel, Klopp und Fer werben für «Opfernarrative nach Mass – effektiv, erprobt, zeitgemäss. Denn in jedem Menschen steckt ein Opfer – man muss nur lange genug danach graben.» Im nächsten Spot preist «Hairystylez» Körperhaarwachstumsseren für Frauen an, die aus queerfeministischen Gründen mehr Bein- und Achselhaare haben möchten.
Die osagiobaresche Seifenoper tritt nicht nur in viele Richtungen, sie wird zudem von einer Flut an Fussnoten begleitet, die das Geschehen mit einer Mischung aus Rechtfertigung, Erklärung und Klugscheisserei pausenlos kommentiert.
Das geht etwa so: Die Kantonspolizei Zürich entschliesst sich nach einer Folge schier unmöglicher Zufälle dazu, «der Verhaftung lachender Schwarzer absolute Priorität zu geben – da es für Schwarze in der Schweiz kaum Gründe zum Lachen gebe, die nicht illegaler Natur seien». Fussnote: «Davon ausgehend wird die SVP kurze Zeit später eine Initiative lancieren, die allen Ausländern das Lachen verbieten möchte.»
An einer anderen Stelle fordert eine Ärztin eindringlich: «Bleiben Sie zu Hause.» In der dazugehörigen Fussnote steht: «Spoiler.» Der Roman spielt im Jahr 2018.
Neben den überzeichneten Karikaturen kann Osagiobare aber auch sanfte Details. «Das Schweigen liegt in dieser Wohnung herum wie unsichtbarer Staub», steht da etwa. Mehr solcher Momente und dafür etwas weniger Fäkal- und Genitalhumor hätten dem Roman gutgetan. Die Seifenopernhaftigkeit ist vollendet genug, um an etwas mehr sprachlicher Tiefe keinen Schaden zu nehmen.
Dampf kunstvoll ablassen
Osagiobare, Jahrgang 1992, wuchs als Tochter einer Schweizerin und eines Nigerianers im Knonauer Amt auf. Der Slogan ihrer ländlichen Zürcher Heimat klingt, als wäre er Teil von Osagiobares Seifenoper: «Auf der Sonnenseite». Dort steht Osagiobare, wie sie in mehreren Interviews erzählt, aufgrund ihrer Hautfarbe nicht immer. Als Kind habe sie beobachtet, wie ihr Vater in der Schweiz rassistisch behandelt worden sei. Je älter sie wurde, umso öfter habe es dann auch sie getroffen.
«Ich habe viel Frust angesammelt. Und den musste ich wieder ablassen», sagte Osagiobare den Tamedia-Zeitungen. Anstelle einer Nabelschau der Selbstbetroffenheit hat Osagiobare ihre Erfahrung mit Vorurteilen und Diskriminierung in eine Selbstermächtigung verwandelt. Sie hat sich selbst erlaubt, rassistische und sexistische Stereotype schamlos zu karikieren.
Gerade die Schweizer Fehlerkultur zeichnet sich oftmals dadurch aus, dass keine Fehler gemacht werden. Kommt dann doch einer zum Vorschein, ist es in der Tendenz ein Missverständnis. Muss tatsächlich Kritik geäussert werden, dann nach der in Seminaren für Vorgesetzte gelehrten, schonenden Sandwich-Methode: Lob – Kritik – Lob. Osagiobares Taktik, alles weich in Lacher und Übertreibungen zu verpacken, ist darum nicht nur klug; sie zeugt vor allem von einem tiefen Verständnis für die Schweizer Seele.
In ihrer Seifenoper wird über alle geografischen und sozialen Zugehörigkeiten hinweg gespottet, betrogen und versagt. Dabei spürt man bei jeder Pointe auch den Spass, den die Autorin beim Schreiben hatte. Er steht in Kontrast zum Leiden für die Kunst, das gerade im Trend zu liegen scheint. Und lässt die autofiktionale Entblössung, die andere Autoren zum Aufzeigen von Abgründen und Ungerechtigkeiten betreiben, überzeichneter wirken als Osagiobares schrille Karikaturen.
Nora Osagiobare: Daily Soap. Roman. Kein&Aber, Zürich 2025. 282 S., Fr. 35.90.