Samstag, März 15

Cloud-Anbieter wie Google oder Microsoft werden dieses Jahr Hunderte von Milliarden Dollar verdienen. Der sogenannte Internet-Computer will diese Dienste ablösen. Dieser Anspruch wäre komplett lächerlich, würde die Schweizer Stiftung, die diesen dezentralen Superrechner vorantreibt, nicht im Geld schwimmen.

Am Donnerstagmorgen regnet es in Zürich in Strömen. Es ist noch nicht einmal 9 Uhr, doch bereits stehen Dutzende von Menschen vor der Tür. Sie wollen in ein schmuckes Gebäude im Quartier Enge eingelassen werden – ein teures Pflaster, wo mehrere globale Versicherungskonzerne ihren Sitz haben.

Hunderte Teilnehmer aus der ganzen Welt reisen an, um das dreijährige Jubiläum des sogenannten Internet-Computers zu feiern, des wahrscheinlich ungewöhnlichsten Startups der Schweiz. Federführend bei der Entwicklung dieses Blockchain-Protokolls ist eine nicht gewinnorientierte Stiftung namens Dfinity – in deren Räumlichkeiten sich die Menschen nun drängen.

270 Mitarbeiter

Die Stiftung beschäftigt 270 Mitarbeiter. Mehr als die Hälfte davon arbeitet in Zürich, auch der Gründer des Internet-Computers selbst, Dominic Williams. Die meisten sind Computeringenieure, viele verfügen über einen Doktortitel der ETH und arbeiteten zuvor am IBM-Forschungscenter in Rüschlikon oder bei Google. Gemeinsam halten sie über 250 Patente.

Noch höher als die Personalkosten von Dfinity ist nur noch ihr Anspruch. Der Internet-Computer soll der führende Cloud- und KI-Dienst des Internets von morgen sein: der sogenannte Web 3, auf dem nicht nur Informationen frei zirkulieren, sondern auch digitale Vermögenswerte. Ein Internet, auf dem unsere Daten uns selbst gehören sollen – und nicht den grossen Konzernen.

Ob sich das Web 3 so durchsetzt, wie es seine Promotoren beschreiben, ist völlig offen. Derweil scheffeln die Cloud-Anbieter im Web 2 – dem heutigen Internet – dank dem KI-Hype gerade das ganz grosse Geld: Gemäss einer neuen Schätzung des Forschungsunternehmens Gartner sollen die weltweiten Ausgaben für Cloud-Dienste dieses Jahr auf 675 Milliarden Dollar ansteigen. Unternehmen und Behörden nutzen KI für gewöhnlich in den Serverfarmen von Firmen wie Amazon, Google, IBM oder Microsoft.

Das Evangelium für Bekehrte

Der Umsatz des Internet-Computers dagegen beträgt lächerliche 400  000 Dollar. Zu den Kunden gehören noch kaum herkömmliche Firmen, sondern vor allem andere Blockchain-Dienste. Doch der riesige Gap zwischen Anspruch und Wirklichkeit trübt die aufgeräumte Stimmung am Dfinity-Sitz an diesem Donnerstag nicht im Geringsten. Hier wird das Evangelium jenen gepredigt, die längst bekehrt sind.

Es hilft natürlich, dass Dfinity im Geld schwimmt. Wie andere Akteure der Blockchain-Branche verfügt auch der Internet-Computer über einen entscheidenden Vorteil: seine eigene Währung. Die Coins des Internet-Computers, die das Protokoll in einer Art Börsengang ausgegeben hat, einem Initial Coin Offering, weisen heute einen Marktwert von 5,7 Milliarden Dollar auf. 24 Prozent davon gehören der Stiftung.

Diese hat also trotz ihrem teuren Set-up einen langen Atem. Williams sagt mit sichtlichem Stolz, dass Dfinity über das grösste Forscherteam der ganzen Blockchain-Branche verfüge. Und mit einem Anteil von 80 bis 90 Prozent an promovierten Wissenschaftern sei dieses sogar hochkarätiger als das der grossen Tech-Konzerne.

Williams, der an der Universität Oxford Mathematik und IT studierte, kann locker eine Stunde über die Vorzüge des Internet-Computers reden, ohne je wirklich Luft zu holen. Was der Brite sagt, ist streckenweise schwer zu verstehen, selbst für Leute aus der Blockchain-Branche – auf die Williams etwas herunterschaut. Und in welcher der Internet-Computer auch seine grössten Kritiker hat. Ausserhalb der Szene versteht ja ohnehin niemand, worum es hier geht.

Im Gespräch mit der «NZZ am Sonntag» wirft Williams der Branche vor, die dezentrale Struktur ihrer Protokolle – das ultimative Qualitätsmerkmal, das man vor sich herträgt wie eine Monstranz – ein Stück weit vorzuspielen. In Tat und Wahrheit lägen die Daten von Anwendungen, die zum Beispiel das Ethereum-Protokoll verwendeten, genauso auf einer Cloud von Amazon oder Microsoft.

Das ultimative Versprechen ist Datensicherheit

Wer seine Daten hingegen mit dem Internet-Computer verarbeite oder KI auf dieser Plattform nutze, tue das von A bis Z auf der Blockchain. Und benötige daher auch keine Firewalls und andere Cyber-Security-Massnahmen mehr.

Um die Sicherheit ihrer Daten zu gewährleisten, geben Firmen heute weltweit mehrere Billionen Dollar aus – im Wissen darum, dass trotzdem jederzeit ein Unfall passieren kann. Ein Problem, das mit der Verbreitung von KI noch massiv zunehmen wird. Schon heute bedienen sich Cyberkriminelle der künstlichen Intelligenz, um ihre Angriffe zu automatisieren.

Genau aus diesem Umstand gewinnt Williams die Zuversicht, dass sich Datenverarbeitung und KI auf die Blockchain verschieben wird. Unternehmen müssten ja auch davon ausgehen, dass die herkömmlichen (amerikanischen) Cloud-Anbieter Hintertüren hätten und Daten mit US-Behörden teilen müssten.

Die Dezentralität des Internet-Computers wird dadurch gewährleistet, dass die Rechenleistung von 130 Anbietern bereitgestellt wird – in Datencentern, die über die ganze Welt verteilt sind. Diese müssen sehr hohen Anforderungen genügen, während für herkömmliche Blockchain-Netzwerke fast alle Computer taugen.

Gegenseitige Vorwürfe

Nur wer über sehr performante Rechner verfügt, kann also seine Hardware dem Internet-Computer anbieten. Blockchain-Puristen werfen Williams daher vor, eine eher zentralisierte Blockchain geschaffen zu haben. Just der gleiche Vorwurf, den Williams dem Rest der Branche macht.

Er selbst sieht sich in der Tradition von Satoshi Nakamoto und dem Bitcoin-Protokoll. Mit dem grossen Unterschied natürlich, dass der Internet-Computer so leistungsfähig ist, dass auf ihm selbst KI-Anwendungen laufen. Etwas, was Williams dem Journalisten gerne demonstriert. Die ungewöhnliche Performance des Internet-Computers stellen allerdings auch Kritiker nicht infrage.

Williams macht sich auch gerne lustig über die vielen Blockchain-Protokolle, die externe Entwickler dafür bezahlten, ihre Plattform zu benutzen – um so ihre Zahlen besser aussehen zu lassen. Das habe der Internet-Computer mit seiner weltweiten Fan-Gemeinde nicht nötig.

Basisdemokratie statt Strukturen

Als wäre das alles nicht schon verwirrend genug, ist da auch noch der Umstand, dass der Internet-Computer keine Firmenstruktur hat – und somit auch keinen Chef. Williams ist bloss Leiter der Dfinity-Stiftung, während die Blockchain selbst von der Gemeinschaft aller Coin-Eigentümer verwaltet wird. Sie können jederzeit Änderungsvorschläge für den Algorithmus einbringen und über die Vorschläge anderer Entwickler abstimmen.

Dieses Gebilde ohne Management und zentrale Entscheidungsfindung nennt man eine dezentrale autonome Organisation. Dass das funktionieren kann, zeigt nicht zuletzt das grosse Besucheraufkommen bei Dfinity. Man ist Teil einer eingeschworenen Gemeinschaft, die sich einer für die Aussenwelt kaum verständlichen Sprache bedient.

Einige der Teilnehmer werden in den kommenden Tagen wohl stolz das von Dfinity zum Jubläumsanlass gedruckte T-Shirt tragen – trotz seinem zweifelhaften modischen Wert. Wer es diskreter mag, kann auch bloss die Dfinity-Socken anziehen, die ebenfalls das Insigne des Internet-Computers tragen: ein buntes Unendlich-Zeichen. Kein anderes Symbol würde den himmelhohen Ansprüchen dieses Startups besser gerecht.

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