Sonntag, Oktober 6


Trend-Sport

Jeden Morgen und Abend sieht man Gruppen in Laufkleidung, die sich zum gemeinsamen Joggen verabreden. Woher kommen diese gemeinschaftlichen Ambitionen?

Es ist Dienstag, 6 Uhr in der Früh, und der Bürkliplatz füllt sich langsam. Ein paar kommen herangejoggt, andere steigen noch etwas verschlafen aus dem Tram aus oder machen bereits erste Dehnübungen. Neuankömmlinge umarmen sich, dann wird auf Deutsch oder Englisch geplaudert. Die Mitglieder des «The 6:ZH Club» ähneln sich optisch: Sie sind in ihren 20ern und 30ern, haben athletische Figuren und tragen entweder ein Finisher-T-Shirt oder Merchandise des Running Clubs. Damit demonstrieren sie ihre Begeisterung für den Laufsport.

Nach einem gemeinsamen Warm-up werden fünf Kilometer in zwei verschiedenen Gruppen gejoggt. Am Ende treffen sich die beiden Gruppen zu einem Kaffee in einer Bäckerei, wo man sich noch weiter unterhalten kann. Der «The 6:ZH Club» ist einer von vielen Running Clubs, die in der Stadt Zürich seit einem Jahr wie Pilze aus dem Boden schiessen.

Das Konzept an sich ist nicht neu: Seit den 1970er Jahren existieren Laufgruppen, ursprünglich oft initiiert von Leichtathletikvereinen oder Sportgeschäften mit dem Ziel, gemeinsames Training und soziale Interaktionen zu fördern. Sie richteten sich vor allem an sehr sportliche Personen. Mittlerweile gibt es auch für Anfängerinnen und Anfänger ein breites Angebot.

Von Dating bis Marketing: Das Laufen ist zweitrangig

Warum boomen Running Clubs gerade? Moritz Keinath, Mitgründer des «International Running Club Zurich» (IRC ZRH) meint, es sei ein Überbleibsel von Covid-19. «Home-Office hat sich etabliert, und man hatte mehr Zeit, Sport zu machen.» Zudem sei Fitness den Leuten wichtiger geworden.

Auch Social Media wie Instagram und Strava, eine App für Läufer, Radfahrer und Wanderer, spielten eine grosse Rolle. Über Instagram ist auch Alexander Muther, Maschinenbau-Student, auf Running Clubs aufmerksam geworden. «Der Algorithmus hat mir immer wieder Videos davon angezeigt», sagt er. Mittlerweile geht er fast jede Woche zweimal in den Running Club «CoffeeRun», den die beiden Studentinnen Laura Ploetz und Pauline Jelk gegründet haben. Man muss sich nur über Strava anmelden und ist damit kostenlos dabei.

Das Laufen ist für Muther zweitrangig: «Bei uns geht es vor allem um den sozialen Aspekt», sagt er. Die Gruppe geht am Dienstagabend gerne nach dem Laufen etwas trinken oder baden. Am Freitagmorgen gibt es nach den gelaufenen fünf Kilometern einen Kaffee. Trotz Runner’s High? «Ja, wir laufen je nach Gruppe mit einer Pace von 6 oder 6:30 Minuten pro Kilometer – das ist nicht so schnell», rechtfertigt Muther den Kaffee nach dem Lauf.

Im IRC «ZRH» wird mehr auf Leistung gesetzt. Moritz Keinath und seine Co-Gründerin Lea Laib stellen gezielte Trainingspläne für ihre Mitglieder zusammen. So können diese sich besser auf einen 10-Kilometer-Lauf oder einen Marathon vorbereiten. Im Gegenzug wird ein Jahresbeitrag von mindestens 150 Franken verlangt. Das Konzept scheint zu funktionieren: Mit 80 Mitgliedern gibt es erstmals einen Aufnahmestopp. Solche Erfolge bleiben nicht unbemerkt, und auch Sportmarken wollen davon profitieren.

Sportmarken nutzen den Hype

Adidas hat sich in verschiedenen Städten Communitys aufgebaut. In Zürich gibt es die «Adidas Runners Zurich» mit verschiedenen Trainings wie einem Evening oder einem Morning Run, einem Trail Run oder einem Tempo Run. Die Sportmarke On sponsert unter anderem den «The 6:ZH Club» und bietet einmal in der Woche einen eigenen Running Club an. Vor dem Joggen kann man sich im Store die neusten Schuhe zum Testen ausleihen und sich nach dem Laufen weiter darüber informieren.

Das Konzept geht auf: Den Teilnehmenden ist zwar bewusst, dass sie an einer Werbeaktion teilnehmen, Spass am Sport und Interesse an den Produkten haben sie trotzdem.

Sind Running Clubs das neue Tinder?

Zum «CoffeeRun» treffen sich vor allem Studierende, aber auch junge Berufstätige sind dabei. Muther schätzt es, Personen ausserhalb seiner Bubble kennenzulernen. «Mindestens eine Gemeinsamkeit haben wir immer», sagt Muther, «wir machen gerne Sport.» Gemäss der «New York Times» sind Running Clubs die beste Alternative zu Dating-Apps. Auf Tiktok wird das ebenfalls gerne betont. «Dating ist bei uns kein aktives Thema, aber ich habe schon Geschichten darüber gehört», sagt Muther.

Auch Moritz Keinath von «IRC ZRH» kann nur vom Hörensagen darüber berichten: «Das ist nicht etwas, was ich die Mitglieder frage.» Offen zugeben möchte es wohl niemand. Sicher ist, dass Running Clubs eine gute Möglichkeit sind, sein Netzwerk zu erweitern. Und wer weiss, vielleicht läuft man wortwörtlich der grossen Liebe über den Weg.

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