Mit ihrer Zahlung an die UNRWA hat auch die Zürcher Stadtregierung eine erstaunlich naive Haltung an den Tag gelegt.
Die Stadt Zürich predigt Toleranz und gibt vor, sich für Minderheiten aller Art einzusetzen. Tatsächlich ist sie zu passiv, wenn es um Antisemitismus und Aufrufe zu Gewalt geht. In städtischen Kulturinstitutionen haben solche Positionen zu viel Raum erhalten.
Ins Schema passt, dass die rot-grüne Stadtregierung vorschnell entschied, der UNRWA, also dem hochumstrittenen Palästinenserhilfswerk der Uno, 380 000 Franken zu schicken. Dies, obwohl es klare Hinweise darauf gibt, dass die UNRWA von Hamas-Terroristen unterwandert worden war.
Kritische Stimmen, die vor einer Unterstützung der UNRWA warnten, wurden im Zürcher Stadthaus kaum zur Kenntnis genommen. Das hat eine Recherche der NZZ gezeigt. Man wollte möglichst rasch Tatsachen schaffen und wohl auch ein Zeichen setzen. Ein finanzieller Beitrag für die israelische Seite wurde diskutiert, aber verworfen. Auch damit hat die Stadt Zürich ein Zeichen gesetzt. Es ist klar, wo ihre Sympathien liegen.
Jugendliche Muslime wollen die Scharia
Um zu begreifen, was in der Stadt Zürich in den letzten Monaten passiert ist, muss man zwei Entwicklungen genauer betrachten, die miteinander verzahnt sind. Die erste ist die Verbreitung radikaler Ideen unter Muslimen, die in der Schweiz leben. Die zweite ist die Haltung der Zürcher Linken zum Extremismus.
Der radikal antisemitische Islam, wie man ihn bei der Hamas in Gaza in einer besonders abscheulichen Ausprägung findet, fällt auch in der Schweiz auf fruchtbaren Boden. In konservativen muslimischen Kreisen hierzulande ist die Verachtung für Andersgläubige so tief verwurzelt wie die Abscheu gegenüber der westlichen Kultur und Frauenrechten.
Wie gross dieses Problem ist, hat eine Untersuchung der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften und der Hochschule für Soziale Arbeit Freiburg bereits im Jahr 2018 gezeigt. Für die Studie befragten Forscher Jugendliche im Kanton Zürich und in anderen Kantonen, darunter speziell auch junge Muslime.
Über 40 Prozent der teilnehmenden muslimischen Teenager betrachteten die westliche Gesellschaft als unterlegen. Jeder fünfte war von der Höherwertigkeit des Islams überzeugt, jeder siebte sprach sich für die Einführung eines Gottesstaates und der Scharia aus. Jeder zwanzigste hegte Terrorismusphantasien.
Ein Schlachtruf gegen Israel
Die damals 17 bis 18 Jahre alten Befragten gehören heute der Generation an, die an Protesten auftaucht. Man muss die Ergebnisse der Befragung der ZHAW im Hinterkopf behalten, wenn es um die Interpretation von Forderungen geht, die man an propalästinensischen Demos in Zürich hört.
«From the river to the sea» ist für extremistische junge Muslime kein Wunsch nach einer friedlichen Gemeinschaft, in der alle Religionen und Völker eine gleichberechtigte Koexistenz führen.
Der Slogan lässt zwar viele Interpretationen zu, für Extremisten aber ist er ein Schlachtruf zur Vernichtung des Staates Israel, zur Einrichtung eines Kalifats und zur Vertreibung – oder schlimmer – der jüdischen Einwohner. «Globalize the student intifada», ebenfalls gesehen an Protesten in Zürich, ergänzt, dass dieser Kampf weltweit ausgetragen werden muss. Der Feind sitzt überall, auch in der Schweiz.
Es darf nicht ungesagt bleiben, dass die Mehrheit der Muslime in der Schweiz gemässigt ist und dass selbst die meisten radikalen Muslime nicht gewalttätig werden. Dennoch machen Angriffe wie die Messerattacke auf einen orthodoxen Juden in Zürich deutlich, wie gefährlich es ist, wenn auch nur sehr wenige Extremisten ihre Gewaltphantasien in die Tat umsetzen.
Entsprechend warnt auch der Nachrichtendienst des Bundes vor jihadistisch inspirierten einzelnen Personen. Er beobachtet dabei in seinem jüngsten Lagebericht, und das ist eine beunruhigende Bestätigung der ZHAW-Studie von 2018, eine Zunahme der Radikalisierung Minderjähriger.
Die meisten Linken schweigen
Es ist bemerkenswert, wie viele Zürcher Linke diese Entwicklung hinnehmen und den antiisraelischen Extremismus noch befeuern. Wer die Posts linker Organisationen in den Social Media liest, wer ihren Veranstaltungen und ihren Radiosendungen zuhört, merkt: Sie begreifen Israel als Besatzungsmacht, und manche sehen sogar Angriffe gegen die jüdische Zivilbevölkerung als legitimes Mittel im «antikolonialen Kampf».
Organisationen wie der linksextreme Revolutionäre Aufbau oder das Palästina-Komitee Zürich machen immer wieder mit öffentlichen Aktionen auf sich aufmerksam, bei denen das Existenzrecht Israels infrage gestellt wird.
Es bleibt aber nicht bei diesen Randgruppen. Auch die Jungsozialisten haben ihre israelfeindliche Haltung mit dem Beitritt zur Boykottbewegung BDS (Boycott, Divestment, Sanctions) unverhohlen zum Ausdruck gebracht. BDS wird vom deutschen Verfassungsschutz als extremistischer Verdachtsfall eingestuft, der Bezüge zum palästinensischen Extremismus aufweist.
Nur ganz wenige Linke halten öffentlich dagegen, etwa der sozialdemokratische Zürcher Ständerat Daniel Jositsch. Die grosse Mehrheit der Parteigenossen schweigt oder windet sich. Das ist besonders beschämend, wenn man bedenkt, dass die grösste linke Partei der Schweiz, die SP, ihre Kader aus der Juso rekrutiert. Die heutigen Juso-Extremisten sind die morgigen Präsidenten einer Bundesratspartei.
In linken Kreisen hat es immer schon ideologisch verblendete Mitläufer gegeben, die Parolen skandierten, ohne sie wirklich zu verstehen. Das war zu Zeiten von «Ho-Ho-Ho Chi Minh» nicht anders als heute mit «From the river to the sea». Hauptsache, es geht irgendwie gegen «das System», gegen den Kapitalismus und den Imperialismus.
Diese Haltung ist weit verbreitet. In der Umfrage der ZHAW von 2018 gab fast die Hälfte der insgesamt gut 8000 befragten Jugendlichen an, gegenüber dem Kapitalismus feindlich eingestellt zu sein. Die Ironie, dass diese Möchtegern-Revolutionäre ihre Ausbildung, ihre Meinungsfreiheit und vor allem ihren Wohlstand genau derjenigen Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung verdanken, die sie ablehnen, bleibt ihnen wohl verborgen.
«Die Muslime sind die neuen Juden»
Um eine Wirkung zu erzielen, brauchen Extremisten eine Plattform und ein Publikum. Beides haben sie in Zürich in den letzten Monaten immer wieder gefunden, und zwar mit Unterstützung des Staats und der unfreiwilligen Mitfinanzierung durch die Steuerzahler.
In der Zentralwäscherei, in der Roten Fabrik und im Volkshaus, drei von der Öffentlichkeit stark unterstützten Stadtzürcher Veranstaltungslokalen, wurden im vergangenen Jahr Anlässe organisiert, an denen die Grenze zwischen legitimer Israelkritik und radikalislamischer Giftspritzerei mehrmals überschritten wurde. Das Zürcher Radio Lora sorgte dafür, dass die Beiträge ein breites Publikum erreichten.
Im Januar 2024 durfte in der Zentralwäscherei ein hochrangiges Mitglied des radikalen Netzwerks Samidoun auftreten.
Im September 2024 gab es eine Reihe von Aktionstagen, die in einer Reihe israelfeindlicher Auftritte in Zürich gipfelten.
Unter dem Deckmantel des Antiimperialismus, des Antikolonialismus und der internationalen Solidarität wurden krude Theorien verbreitet – etwa an einem Podium in der Zentralwäscherei, wo es hiess, dass die Muslime die neuen Juden seien. Weder die Gesprächsleiterin noch das Publikum reagierten auf diese Aussage.
In der Roten Fabrik sprach ein Mann, der jüdische Siedler als legitime militärische Ziele betrachtete. Weiter wurden offenbar T-Shirts angeboten, auf denen mit einer radikalen Parole zur Gewalt aufgerufen wurde: «There is only one solution, intifada, revolution.»
Diese abscheuliche Wortwahl mit ihren Anklängen an eine «Endlösung» ist eine Grenzüberschreitung für sich. Und natürlich bedeutet der Spruch auch, dass es keine Alternative zum bewaffneten Kampf gibt – keine Verhandlungen, keine Kompromisse, keine Versöhnung. Krieg bis zum Endsieg. Das ist die Parole, die in linken, von der Stadt subventionierten Zürcher Lokalen durchgegeben wird.
Dieser Slogan wurde gestern auf dem Gelände der Roten Fabrik auf T-Shirts gedruckt!
Es handelt sich um einen offenen Aufruf zur Gewalt – steuerfinanzierte Gewaltverherrlichung. https://t.co/dgxuNRnI0A pic.twitter.com/UFSprVQyJ4
— Jehuda Spielman (@JehudaSpielman) September 8, 2024
Israels Gegner riechen Gas
In der Zentralwäscherei wiederum wurde ein Mitglied einer Gruppe auf die Bühne geholt, die Israel nicht nur das Existenzrecht abspricht, sondern sich allen Ernstes «We Smell Gas» nennt. Die Organisation sagt auf ihrer Website zwar, dass sie mit dem Namen zum Ausdruck bringen wolle, wie der Kampf um Rohstoffe auch in Nahost alles beherrsche. Doch wer nicht völlig geschichtsvergessen ist, weiss, was mitschwingt, wenn die Gegner des Judenstaats proklamieren, dass sie Gas riechen.
Das Furchtbare ist, dass diese Extremisten sich in Zürich nicht einmal mehr verstecken müssen. Sie treten auf öffentlichen Bühnen auf, stellen Videos ihrer Reden ins Internet und lassen sie vom Radio übertragen. Sie stehen zu ihren Worten, im Bewusstsein, dass sie kaum etwas zu befürchten haben.
Es ist beschämend, wie die Verantwortlichen der Stadt Zürich das durchgehen lassen. Wenn sie von Organisationen wie «Never again is now» darauf hingewiesen werden, welche Ungeheuerlichkeiten auf den öffentlichen Zürcher Bühnen geäussert werden, dann ist die Antwort eine nette E-Mail mit Beteuerungen, dass man die Anwürfe ernst nehme. Doch in vielen Fällen passiert zu wenig.
Nur wenn es gar nicht anders geht, wie etwa nach dem Samidoun-Auftritt in der Zentralwäscherei, wird die Stadt tätig. Im Zweifel beruft sie sich auf die Meinungsfreiheit.
Jede kleine Landgemeinde, die irgendwo im Wald eine Hütte vermietet, hat gelernt, dass man genau hinschauen muss, wer da eine Veranstaltung abhalten will. In der Stadt Zürich aber gibt man dem Extremismus zu viel Raum – und bringt ihm zu viel Verständnis entgegen. Das muss aufhören, und zwar jetzt.