Montag, Januar 20

Die Inaugural Address krönt die Amtseinführung eines amerikanischen Präsidenten. Ob sie auch in die Geschichte eingehen wird, hat mit der Leistung im Amt zu tun.

In einem Punkt kann sich Donald Trump schon vor seiner Amtseinführung eines Erfolges am Inauguration Day sicher sein. Seine Antrittsrede dürfte allgemein auf ein wohlwollendes Urteil stossen. Denn die Messlatte liegt niedrig – was bei einem Neuanfang stets eine günstige Ausgangssituation ist. Denn das in den USA bekannteste Zitat in Zusammenhang mit Trumps Inaugurationsrede zu Beginn seiner ersten Präsidentschaft vor acht Jahren stammt nicht aus dieser Ansprache selbst. Es ist vielmehr eine Einschätzung durch einen republikanischen Vorgänger, Präsident George W. Bush: «That was some weird shit!»

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Bush war die Düsternis der Worte des damaligen 45. und nunmehrigen 47. Präsidenten unangenehm aufgefallen. Die Inaugural Address ist normalerweise die Gelegenheit, die amerikanische Bevölkerung – und sei es auch nur für einen Tag – zu einen und eine optimistische Vision der Zukunft Amerikas zu vermitteln. Aus Trumps damaliger Rede ist indes vor allem der Begriff «American carnage» in Erinnerung geblieben. Blutbad, Massaker – Trump charakterisierte damit den Zustand mancher amerikanischer Innenstädte, die von Kriminalität heimgesucht werden. Er hatte – und hat – damit keineswegs unrecht, aber die Wortwahl wurde als unpassend empfunden. Vor allem bei diesem Anlass.

Roosevelts Mut

Denn die Inaugural Address soll den uramerikanischen Zukunftsglauben an ein (noch) besseres Morgen zelebrieren, soll eine glänzende Zukunft beschwören, die freilich erst nach Überwindung der gegenwärtigen Probleme über das Land kommen kann. Der Präsident der USA ist stets – und an seinem ersten Amtstag ganz besonders – auch als oberster Psychologe der Nation gefordert.

Wohl kein anderer hat diese Rolle so perfekt ausgefüllt wie Franklin Delano Roosevelt, der 1933 mitten in der Wirtschaftskrise der Great Depression den Amerikanerinnen und Amerikanern zurief: «Das Einzige, was wir fürchten müssen, ist die Furcht selbst.» Der Ton war gesetzt: Es wird als eine der grössten Leistungen Roosevelts gewertet, dass er auch in der Folgezeit den amerikanischen Bürgern den Glauben an sich selbst und an ihr Land, vor allem durch seine als «fireside chats» bekannten Radioansprachen, wiedergegeben hat.

Es sind Antrittsreden wie jene zur ersten Präsidentschaft Roosevelts, deren Kernaussagen – typischerweise in Form von Appellen angesichts von bestehenden oder drohenden Krisen – in die Politfolklore ebenso wie in die Schulbücher eingegangen sind und die an Tagen wie diesem Montag gebührend rezitiert werden.

Lincolns bessere Engel

Wer die heutige Polarisierung in der amerikanischen Politik beklagt, sollte sich bewusst sein, dass es noch viel schlimmer sein kann: Kein neu ins Amt gekommener Präsident stand vor einer Herausforderung wie Abraham Lincoln im März 1861, als die Nation auseinanderfiel und der Bürgerkrieg unvermeidbar schien. Lincoln appellierte an die «besseren Engel unserer Natur» und rief fast beschwörend, dass «wir keine Feinde, sondern Freunde sind».

Es war vergebens: Fünf Wochen nachdem er seinen Amtseid geleistet hatte, donnerten zum ersten Mal – bei Fort Sumter in South Carolina – die Kanonen in einem Bruderkampf, der vier Jahre dauern sollte. Zu den Reaktionen der Zuhörer vor dem Capitol an jenem Tag liegen dissonante Erinnerungen von Zeitzeugen vor, von denen sich einige an Beifall für diese heute als eine der brillantesten politischen Reden der USA geltenden Worte erinnern, während andere wahrzunehmen glaubten, dass der Aufruf zur Aussöhnung eher schweigend aufgenommen worden sei.

Kennedys Dynamik

Von den heute im achten und im neunten Lebensjahrzehnt stehenden Amerikanern, die John F. Kennedys Antrittsrede im Januar 1961 hörten, geben nicht wenige an, durch die Aufforderung «Fragt nicht, was euer Land für euch tun kann, fragt, was ihr für euer Land tun könnt!» inspiriert worden zu sein, sich zu engagieren, wie zum Beispiel in dem von Kennedy ins Leben gerufenen Peace Corps.

Die von JFK und seinem brillanten Redenschreiber Theodore Sorensen verfasste Ansprache dürfte jene Antrittsrede gewesen sein, die am direktesten eine Wirkung entfaltete – zusammen mit der Tatsache, dass sie von einem ungewöhnlich jungen Präsidenten gehalten wurde. Die Zustimmungsrate des im November 1960 in absoluten Stimmen nur denkbar knapp gewählten Kennedy sprang nach der Einführungszeremonie auf fast 75 Prozent. Der frühe und gewaltsame Tod des Präsidenten verlieh seinen Worten im Nachhinein eine Aura, die bis heute anhält.

Neben den Ansprachen von Lincoln – der nach seiner Wiederwahl 1864 auch bei seiner zweiten Amtseinführung unvergessene Worte fand – und Kennedy gelten vor allem die Reden von Thomas Jefferson (1801), Theodore Roosevelt (1905) und Ronald Reagan (1981) als herausragend. Letzterer stellte dabei das in der Republikanischen Partei unvergessene Diktum auf: «Der Staat ist nicht die Lösung unseres Problems; der Staat ist das Problem.» Sie alle gelten als «grosse» Präsidenten. Kaum in Erinnerung werden hingegen die Worte zahlreicher Präsidenten gehalten, deren Amtszeit eine weniger positive Bewertung erhält. So dürfte kein auch überdurchschnittlich gebildeter Amerikaner spontan und ohne Zugang zu einer Quelle aus der Inaugural Address des gerade zu Grabe getragenen Jimmy Carter zitieren können.

Die längste Rede

Immerhin kann auch einem neu vereidigten US-Präsidenten Tragischeres passieren, als dass seine Antrittsrede bald in Vergessenheit gerät. In einem Fall nämlich war sie tödlich: William Henry Harrison stellte im Frühjahr 1841 zwei Rekorde in der amerikanischen Präsidentschaft auf, die für alle Zukunft Bestand haben dürften. Harrison sprach am Tage seiner Amtseinführung länger als jeder andere neue Präsident, seine Inaugural Address dauerte eine Stunde und vierzig Minuten.

Die Rede wurde in kühler Witterung gehalten, auf das Tragen eines Mantels verzichtete der 68 Jahre alte Ex-General. Schon bald waren die Spuren dieser Exposition gegenüber einer ungesunden Witterung zu erkennen. Harrison entwickelte eine fiebrige Erkältung und starb am 4. April 1841 an einer Lungenentzündung. Er war exakt einen Monat lang der neunte Präsident der Vereinigten Staaten gewesen und ist bis heute jener mit der kürzesten Amtszeit.

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