Indische Raffinerien finanzieren Putins Krieg gegen die Ukraine. Die westlichen Sanktionen haben dadurch einen absurden Nebeneffekt.
Indien hilft mit, dass weiterhin massenhaft russisches Öl verarbeitet wird und in Form von Diesel und Benzin auf den Weltmarkt gelangt. Transportiert wird das Öl auf rostigen, schlecht gewarteten Tankern. Jede Seemeile, die diese zurücklegen, ist ein Risiko für die Umwelt.
Was aber hat Indien von diesem zwielichtigen Geschäft, in dem auch einer der reichsten Männer der Welt kräftig mitmischt? Wer profitiert auf dem Subkontinent? Und hat auch die indische Bevölkerung etwas von diesem Rohöl-Deal?
Seit Ende Februar 2022 darf über den Seeweg kein russisches Rohöl mehr nach Europa verkauft werden. Dies ist die Folge der Sanktionen nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine vor knapp drei Jahren. Damit sollte verhindert werden, dass der russische Staatschef Wladimir Putin durch den Rohölexport seinen Feldzug gegen die Ukraine finanziert.
Inzwischen ist klar: Es kommt zwar kein oder nur wenig russisches Rohöl nach Europa. Aber Heizöl, Diesel, Flugtreibstoff und andere petrochemische Produkte, die aus russischem Öl hergestellt werden, finden sehr wohl den Weg in die EU-Länder und höchstwahrscheinlich auch in die Schweiz.
Eine wichtige Drehscheibe für diesen Handel ist Indien. Kurz nach Einführung der Sanktionen stieg der Anteil an russischem Öl an den Rohölimporten nach Indien. Im Nachhinein betrachtet handelte es sich um einen regelrechten Sprung.
Machte vor dem Angriff das russische Öl weniger als 2 Prozent der Ölimporte aus, waren es wenige Monate später um die 40 Prozent. Seither haben sich die Ölimporte auf hohem Niveau stabilisiert.
Indische Raffinerien profitieren von Preisnachlässen
Die indischen Raffinerien haben anfänglich davon profitiert, dass Russland wegen westlicher Einfuhrverbote Preisnachlässe für sein Öl gewährte. Ab Ende 2022 machten sich die indischen Raffineriebetreiber aber noch eine weitere Sanktion zunutze.
Diese zweite Sanktion war ein Kompromiss. Die westlichen Länder beschlossen für den Handel mit russischem Rohöl auf dem Weltmarkt eine Obergrenze von 60 Dollar pro Barrel. Somit sollten die Einnahmen für Russland wiederum verringert werden. Zudem wollten die westlichen Politiker mit der Massnahme Preisschübe und Knappheit auf dem Rohölmarkt verhindern.
Denn dies hätte sich auf die Benzinpreise ausgewirkt und als Folge die Inflation in die Höhe getrieben – für Politiker eine heikle Angelegenheit, weil eine hohe Inflation für Unruhe sorgen und, wie im Fall Amerikas, auch Wahlen mitentscheiden kann.
Gemäss dem Mechanismus dieser zweiten Sanktion werden nur noch Öltanker versichert, die ihr Öl für maximal 60 Dollar pro Barrel verkaufen. Der Westen glaubte, diesen Preis durchsetzen zu können, weil 90 Prozent der Versicherer für Schiffstransporte im Westen beheimatet sind. Ohne Versicherung, so die Annahme, würde sich keine Reederei trauen, ihre Tanker auf See zu schicken.
Der Westen hat seine Rechnung aber ohne Indien gemacht – und ohne Russland. Moskau kaufte sich alte Tanker zusammen, die nun das Öl in indische Häfen transportieren, um die Sanktionen zu umgehen.
Russland hat dank Indien hohe Einnahmen
Unter anderem dank Indien verdient Russland mit dem Export von Rohöl gemäss Schätzungen der Kyiv School of Economics, die sich unter anderem auf aktuelle Handelsdaten und auch auf Daten der Internationalen Energieagentur beruft, rund zehn Milliarden Dollar pro Monat. Das ist etwa das, was Putin dieses Jahr für seinen Krieg gegen die Ukraine pro Monat ausgeben will.
Transportiert wird das russische Öl von den Ostseehäfen Primorsk und Ust-Luga und dem Schwarzmeerhafen Noworossisk auf Schiffen, die eigentlich längst ausrangiert werden sollten. Sie sind unter der Flagge zwielichtiger Staaten und ohne Versicherungen unterwegs, die Unfälle und Schäden decken würden. Sie steuern in Indien verschiedene Häfen an, aber löschen ihre Ladung oft im nordwestlichen Gliedstaat Gujarat am Golf von Kutch. Das ist kein Zufall.
Wie viele Schiffe genau zur russischen Schattenflotte gehören, ist nicht bekannt. Es kursieren Zahlen zwischen 400 und 1400 Schiffen. Sie alle durchqueren die Ostsee oder das Schwarze Meer, dann das Mittelmeer, den Suezkanal, das Rote Meer und den Indischen Ozean.
Viele dieser Tanker umrunden sogar noch den gesamten indischen Subkontinent und fahren dann nordwärts Richtung Malaysia und China. Wie Indien kauft auch China Rekordmengen an russischem Rohöl und gilt als Hauptabnehmer. Im Gegensatz zu Indien war China jedoch schon vor dem Februar 2022 ein bedeutender Importeur. China nutzt russisches Öl zudem vorwiegend selber, statt es wie Indien für den europäischen Markt «weisszuwaschen».
Auch China profitiert von den günstigen Preisen
China bedient mit dem günstigen russischen Öl die Inlandnachfrage und schafft es so, die Treibstoffpreise tief zu halten. Der Staat kontrolliert den Ölmarkt und subventioniert Diesel und Benzin. Die Preise liegen Mitte Januar deshalb mit rund 1.10 Dollar pro Liter Benzin unter dem globalen Durchschnitt von 1.15 Dollar. Benzin ist in China günstiger als in Indien, wo der Liter rund 1.17 Dollar kostet – und das bei einem Pro-Kopf-Einkommen, das 20 Prozent des chinesischen beträgt. Die eigenen Raffineriekapazitäten hat China gedeckelt.
Indien dagegen hat seine Raffineriekapazitäten wegen des günstigen russischen Rohöls ausgebaut. Das Land muss seinen Rohölbedarf zu 85 Prozent mit Importen decken. Allerdings hat Indien mit 22 Raffinerien – davon gehören 18 dem Staat – um ein Vielfaches grössere Kapazitäten, um raffinierte Produkte herzustellen, als es für den Eigenbedarf braucht. Seit Jahren sind Benzin, Diesel und weitere petrochemische Produkte ein wichtiger Exportzweig.
In Indien hergestellte Erdölprodukte machen rund einen Fünftel der gesamten indischen Exporte aus. Reliance Industries, der indische Mischkonzern, der im Golf von Kutch die Zwillingsraffinerien in Jamnagar betreibt, hat sogar auf Wartungsarbeiten verzichtet, um in den letzten drei Jahren mehr Benzin und Diesel für den Weltmarkt produzieren zu können. Auf Satellitenbildern ist ersichtlich, wie weiter im Umfeld der Raffinerie gebaut wird.
Die beiden Reliance-Raffinerien bilden zusammen die grösste Raffinerie der Welt. Reliance Industries ist zudem das grösste private Unternehmen Indiens. Der Chef und Hauptaktionär ist Mukesh Ambani; er verfügt über ein geschätztes Vermögen von 100 Milliarden Dollar. 2019 hat sein ältester Sohn in St. Moritz eine dreitägige Hochzeit gefeiert, die 100 Millionen Franken gekostet haben soll. Reliance verdient sein Geld in erster Linie mit Petrochemie und Ölförderung.
Indien hat insgesamt eine Raffineriekapazität von rund 5 Millionen Barrel pro Tag, bald sollen es 6 Millionen sein. Die Riesenraffinerie Jamnagar stellt vermutlich bald einen knappen Drittel dieser Kapazitäten.
Reliance Industries und somit die Familie Ambani gehört deshalb auch zu den grossen Gewinnern der Tatsache, dass günstiges russisches Öl auf fragwürdige Weise nach Indien gelangt. Jeder Tanker dieser Schattenflotte ist im Prinzip eine tickende Zeitbombe. Experten halten es nur noch für eine Frage der Zeit, bis eines der Schiffe eine Umweltkatastrophe anrichtet.
Tanker direkt von Sanktionen betroffen
Mit ihren jüngsten Sanktionen haben die Amerikaner erneut Tanker dieser russischen Schattenflotte im Visier. 183 Schiffe wurden Mitte Januar neu auf die Sanktionsliste gesetzt. Sie sollen somit auf ihrem Weg in den Osten keine Häfen mehr anlaufen und dort gewartet oder betankt werden dürfen.
Mit den Sanktionen geht es den Amerikanern weniger um den Umweltschutz als um den Versuch, nach mässigem Erfolg der bisherigen Sanktionen Russlands Profit aus dem Ölhandel zu minimieren. Die indischen Raffinerien haben angekündigt, künftig nicht mehr mit von Sanktionen betroffenen Schiffen zusammenzuarbeiten. Dank einer Übergangsfrist haben bereits gebuchte Tanker jedoch Zeit, ihre Ladung noch in Indien zu löschen.
Inzwischen haben sich die Handelsbeziehungen zwischen Russland und Reliance weiter offizialisiert: Mitte Dezember wurde bekannt, dass das russische Mineralölunternehmen Rosneft und die indische Mega-Raffinerie Jamnagar einen Handelsvertrag abgeschlossen haben.
Seit dem 1. 1. 2025 werden täglich 500 000 Barrel Öl von Russland nach Indien verschifft, das in den Jamnagar-Raffinerien am Golf von Kutch verarbeitet wird. Es wurde ein Zehn-Jahres-Vertrag unterschrieben mit Option auf Verlängerung. Er gilt als grösste Energie-Vereinbarung der beiden Länder.
Narendra Modi lobt den Öl-Deal
Die zweitgrösste Raffinerie in Indien, Vadinar, unweit der Jamnagar-Zwillingsraffinerien, gehört sogar zur Hälfte dem russischen Erdölkonzern Rosneft. Hier wurde schon vor dem Angriff Russlands auf die Ukraine russisches Rohöl verarbeitet. Auch hier wird ausgebaut, um die Kapazitäten zu steigern.
Auch staatliche Raffinerien wie die Mangalore Refinery können das schwefelhaltige russische Öl verarbeiten und haben beachtliche Kapazitäten. Der indische Energiespezialist Probal Ghosh zählt die privaten und staatlichen Raffinerien denn auch zu den grossen Gewinnern des russisch-indischen Erdölgeschäfts. Gemäss Schätzungen kauften alle indischen Raffinerien zusammen beinahe die Hälfte des Rohöls, das die russische Schattenflotte im letzten Jahr transportierte.
Der indische Premierminister Narendra Modi ist im November nach Russland gereist. Der Rohstoffvertrag war sicherlich ein zentraler Diskussionspunkt des Treffens zwischen Modi und Putin. Während seines Besuchs hatte sich Modi lobend über den neuen Geschäftszweig geäussert. Dank russischer Unterstützung könne Indien seine grosse Bevölkerung mit Energie versorgen, während andere Länder mit einer heftigen Krise im Energiemarkt konfrontiert seien.
Die indische Bevölkerung profitiert nicht direkt
Modi argumentierte, dass der indisch-russische Ölhandel zur Stabilisierung des turbulenten globalen Energiemarkts beigetragen habe. Dies müsse die Welt akzeptieren. Modi, der sich im Ukraine-Krieg neutral gibt, unterschlägt, dass Indien Russland und damit seinen Angriffskrieg finanziert.
Der Energieexperte Ghosh stellt fest, dass die Regierung Modi nicht gewillt ist, die günstigeren Einkaufspreise von Rohöl an die Wirtschaft weiterzugeben. Staatliche Ölunternehmen, so Ghosh, hätten sich dank höheren Gewinnen nach schwierigen Jahren finanziell sanieren können. Zudem schöpft der Staat dank den gut laufenden Geschäften der Erdölverarbeiter mehr Steuern ab. Es ist Geld, das der Staat dringend braucht.
Die Inderinnen und Inder, so Ghosh, hätten aber vom russisch-indischen Ölgeschäft direkt keine Vorteile. Vereinzelt wird das in Indien kritisiert. Sonst hat sich das Land als grosser Profiteur der Sanktionen gut eingerichtet. Denn Indien braucht für sein Wachstum Erdöl, und das in grossen Mengen.