Wegen der Grösse des Landes findet die Abstimmung in sieben Etappen statt. 2600 Parteien treten an. Die Kosten: immens. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu den indischen Parlamentswahlen.
Seit zehn Jahren hat die Macht in Indien einen Namen: Narendra Modi. Der Premierminister dominiert die Politik des Subkontinents seit dem Sieg seiner Bharatiya Janata Party (BJP) bei den Wahlen 2014. Die Hindu-nationalistische Partei hat ihre Wahlergebnisse seither noch verbessert und kontrolliert heute 303 der 543 Parlamentssitze. Nun will sie ihre Macht noch weiter ausbauen und Modi eine dritte Amtszeit sichern.
Angesichts der wachsenden globalen Bedeutung Indiens erfahren die Wahlen dieses Jahr besondere Beachtung. In die Bewunderung über das rapide Wachstum der Wirtschaft und die Dynamik der Gesellschaft mischt sich allerdings zunehmend Sorge um die indische Demokratie und Unbehagen über den illiberalen Kurs der Regierung.
Bei der Wahl treten zwei grosse Blöcke gegeneinander an: Auf der einen Seite steht ein rechts-nationalistisches Parteienbündnis, das dominiert wird von der Bharatiya Janata Party (BJP) von Narendra Modi. Es firmiert unter dem Namen National Democratic Alliance. Ihm gegenüber steht eine heterogene Allianz um die indische Kongresspartei. Das Bündnis aus über zwei Dutzend Parteien wurde erst vergangenen Sommer gegründet und hat sich den Namen Indian National Developmental Inclusive Alliance gegeben – abgekürzt India.
Die linke Kongresspartei hatte nach der Unabhängigkeit 1947 unter der Führung der Nehru-Gandhi-Dynastie über Jahrzehnte die indische Politik dominiert. Bei den Parlamentswahlen 2019 erreichte sie aber nur noch 52 Sitze. Sie bleibt zwar neben der BJP die prägende Kraft auf nationaler Ebene. Ihr jetziger Führer Rahul Gandhi gilt aber als blass und schwach. Das India-Bündnis will seinen Kandidaten für das Amt des Premierministers erst nach der Wahl bestimmen.
Indiens Parteienlandschaft ist höchst komplex und vielfältig: Zu den Wahlen haben sich nicht weniger als 2660 Parteien registriert. Mehrere wichtige Regionalparteien treten getrennt von den beiden grossen Blöcken um die BJP und die Kongresspartei an. Viele Parteien stellen nur Kandidaten in einem Gliedstaat auf oder treten gar nur in einem einzigen Wahlkreis an. Ins Parlament dürften es die wenigsten schaffen. Die BJP hat als Ziel ausgegeben, 370 der 543 Sitze zu erringen.
Indien ist eine aufstrebende Macht in Asien, die weltweit als Partner umworben wird. Mit ihren hohen Wachstumsraten zieht die Wirtschaft vermehrt westliche Unternehmen an. Die Politik wird seit 2014 dominiert von Premierminister Modi. Der 73-Jährige präsentiert sich als anpackender Manager und erfolgreicher Wirtschaftsreformer, der Indien zu alter Grösse zurückführen und dem Land wieder seinen rechtmässigen Platz auf der Weltbühne verschaffen will.
Die Opposition beklagt aber, dass Indien unter Modi deutlich autoritärer geworden sei und er die säkulare Staatsordnung untergrabe. Besonders die 200 Millionen Muslime leiden unter der Diskriminierung durch die Hindu-Nationalisten. Seit Jahren mehren sich zudem die Justizverfahren gegen kritische Journalisten und Politiker der Opposition. Modis Kritiker werfen ihm vor, die Medien und die Justiz auf Linie bringen zu wollen und einen Kult um seine eigene Person zu betreiben.
Die Inderinnen und Inder sind aufgerufen, die 543 Abgeordneten des Unterhauses (Lok Sabha) zu wählen. Die zweite Parlamentskammer, Rajya Sabha genannt, ist im föderalen System Indiens die Vertretung der Teilstaaten und der 8 Unionsterritorien, welche direkt der Zentralregierung in Delhi unterstehen. Wer die Mehrheit der Sitze im Unterhaus erlangt, bestimmt den Premierminister. Seit 2014 ist das die BJP von Narendra Modi. Angesichts der Schwäche und Uneinigkeit der Opposition gilt Modi erneut als klarer Favorit.
Die Abgeordneten werden per Mehrheitswahlrecht für jeweils fünf Jahre gewählt. Wer in einem Wahlkreis die meisten Stimmen erhält, zieht ins Parlament ein. Dieses Mal werden zusammen mit der Lok Sabha auch die Regionalparlamente in vier Teilstaaten gewählt. Bei den jüngsten Regionalwahlen hat die BJP gut abgeschnitten. Sie regiert derzeit 12 der 28 Teilstaaten, während die Kongresspartei nur drei Staaten regiert. Allerdings ist die BJP im Norden deutlich stärker als im Süden.
Indien ist mit Abstand die grösste Demokratie der Welt. Von den 1,4 Milliarden Inderinnen und Indern sind 969 Millionen an die Urnen gerufen. Wegen der Grösse des Landes findet die Wahl in sieben Etappen zwischen dem 19. April und dem 1. Juni statt. Von den Gipfeln des Himalaja im Norden bis zu den Mangrovenwäldern an der Küste werden 15 Millionen Wahlhelfer und Angehörige der Sicherheitskräfte im Einsatz sein. In den eine Million Wahllokalen stehen rund 5,5 Millionen elektronische Wahlmaschinen zur Verfügung.
Wie bei den vorherigen Wahlen wird mit einer hohen Beteiligung gerechnet – 2019 lag sie bei 67 Prozent. Manchen Schätzungen nach könnten die Wahlen mit Kosten von 14,4 Milliarden Dollar die teuersten der Welt werden. Grund zur Sorge sind die ungleichen Bedingungen der Parteien im Wahlkampf, die verbreitete Praxis des Stimmenkaufs und illegale Parteispenden. Der Wahlprozess selbst gilt aber als weitgehend frei und fair. Mit den Ergebnissen wird am 4. Juni gerechnet.
Beide grossen Parteienbündnisse haben Fragen der wirtschaftlichen Entwicklung ins Zentrum des Wahlkampfs gestellt und versprechen weitere Sozialhilfeprogramme. Die BJP streicht ihre Erfolge beim Ausbau der Infrastruktur und bei der Digitalisierung heraus und verweist auf das starke Wachstum unter ihrer Regierung. Die Opposition kritisiert dagegen die wachsende Ungleichheit, die stagnierenden Löhne und die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit und verspricht die Schaffung von Arbeitsplätzen – insbesondere für die Jugend.
Den Auftakt des Wahlkampfs bildete im Januar die Einweihung des umstrittenen Ram-Tempels in Ayodhya durch Modi. Der Streit um den Tempel prägt seit Jahrzehnten die indische Politik. Er wurde errichtet an der Stelle einer Moschee, die 1992 von radikalen Hindu-Nationalisten zerstört worden war. Der Bau des Tempels in dem Pilgerort in Uttar Pradesh war ein zentrales Versprechen der BJP. Modis Kritiker werfen ihm vor, den Tempel für den Wahlkampf zu instrumentalisieren.
Ebenfalls für Debatten sorgte ein intransparentes System für Parteispenden, das Indiens Oberstes Gericht im Februar als verfassungswidrig verboten hat. Die BJP hatte mit Abstand am meisten davon profitiert. Für Aufsehen sorgte auch die Festnahme von Arvind Kejriwal wegen Vorwürfen der Korruption. Kejriwal ist der Vorsitzende der oppositionellen Aam Aadmi Party und der Chefminister von Delhi. Seine Partei sieht die Vorwürfe als politisch motiviert.
Grafiken: Julia Monn