Mittwoch, Februar 12

Nach dem Sturz von Sheikh Hasina im August gab es eine Welle der Gewalt gegen Hindus in Bangladesh. Viele Attacken waren aber weniger religiös als politisch motiviert. Hindus klagen nun, Indien schlachte das Thema für seine eigenen Interessen aus.

Die Angreifer kamen in der Nacht, brachen an der Rückseite des Tempels das Dach auf und warfen einen Brandsatz hinein. Eine Krishna-Statue wurde in dem Feuer komplett zerstört, zwei Götterbilder von Lakshmi und Narayan wurden schwer beschädigt. Sechs Wochen später sind die Brandspuren in dem Hindu-Tempel im Norden von Bangladeshs Hauptstadt Dhaka noch immer deutlich sichtbar. Die einst liebevoll geschmückten Götterstatuen stehen kahl da, die Körper sind von Russ bedeckt, die Füsse angesengt von den Flammen.

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«Nach dem Angriff in der Nacht des 6. Dezember kam die Polizei und hat die Spuren gesichert, doch bis heute hat sie die Täter nicht gefasst», sagt Rathan Kumar Ghosh, dessen Grossvater den Tempel 1961 gebaut hat und der sich heute um das Heiligtum kümmert. Der 55-Jährige vermutet, dass die Angreifer die Örtlichkeiten gut kannten. Der Tempel liegt etwas abseits einer staubigen Strasse und wird vor allem von Ghoshs Familie und einigen Hindus aus der Nachbarschaft genutzt.

Offensichtlich wussten die Angreifer auch, dass es vor dem Eingang eine Überwachungskamera gibt. Ghosh hatte die Kamera nach dem Sturz der Autokratin Sheikh Hasina am 5. August installiert. Er fürchtete eine Zunahme der Spannungen zwischen Hindus und Muslimen. Die grosse Mehrheit der Hindus unterstützte bis zu deren Sturz Hasinas Awami League, da sie die Partei als Garanten des Säkularismus und als Beschützer der religiösen Minderheiten sahen.

Die meisten Angriffe gab es am Tag von Hasinas Sturz

Die Hindus sind mit rund acht Prozent der 170 Millionen Einwohner die grösste religiöse Minderheit in Bangladesh. In den chaotischen Tagen nach dem Sturz von Sheikh Hasina gab es eine Welle der Gewalt gegen Hindus. Laut der Regierung wurden nach dem Umsturz 1769 Angriffe auf Häuser, Geschäfte und Tempel der Minderheit gemeldet – davon allein 1452 am Tag von Hasinas Sturz. Umstritten ist aber, wie viele der Angriffe tatsächlich religiös motiviert waren und wie viele Hindus angegriffen wurden, weil sie Hasinas Awami League nahestanden.

Die Interimsregierung von Muhammad Yunus, die nach dem Sturz von Hasina die Macht übernommen hat, betont, dass sie eine Null-Toleranz-Politik gegenüber religiöser Gewalt vertrete. In einer Erklärung Anfang Januar versicherte die Regierung, alle Angriffe würden genau untersucht und die Täter zur Rechenschaft gezogen. Allerdings hätten die Ermittlungen der Polizei ergeben, dass die allermeisten Attacken auf Minderheiten politisch motiviert gewesen seien.

Nur 20 der 1769 Vorfälle seien genuin religiöser Natur gewesen, erklärte die Regierung. Die meisten Hindus seien nicht attackiert worden, weil sie Hindus seien, sondern weil sie als Anhänger der Awami League bekannt gewesen seien. Die Gewalt habe genauso muslimische Vertreter von Hasinas verhasster Partei getroffen. Bei einem Teil der Angriffe in der turbulenten Übergangszeit wird auch vermutet, dass es um persönliche Abrechnungen und Besitzstreitigkeiten ging.

Indische Medien warnen vor einem Genozid an den Hindus

Die indischen Medien stellen den Sachverhalt freilich ganz anders dar. Vor allem Medien aus dem Umfeld der Hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) von Premierminister Narendra Modi warnten nach Hasinas Sturz in schrillen Tönen vor einem Genozid in dem mehrheitlich muslimischen Nachbarland. Modis Regierung steht zwar selbst seit langem in der Kritik wegen der Hetze gegen die eigene muslimische Minderheit in Indien, doch hielt sie dies nicht davon ab, Bangladesh zu mahnen, Leben und Besitz der Hindus zu garantieren.

Das Thema belastet das Verhältnis der Nachbarn. Dieses ist ohnehin angespannt, da Indien bis zu Hasinas Sturz deren engster Verbündeter war und auch dann noch an der Unterstützung festhielt, als längst klar war, wie autoritär und korrupt ihre Regierung ist. Als die Autokratin im August schliesslich von einem Volksaufstand aus dem Amt gefegt wurde, floh sie nach Indien. Bis heute verweigert Delhi ihre Auslieferung nach Bangladesh, das ihr den Prozess machen will.

Die Hindus, die in den Augen bangalischer Nationalisten ohnehin im Verdacht stehen, die fünfte Kolonne Delhis zu sein, bringt der Streit in eine heikle Lage. Hinzu kommt, dass sich an der Grenze die Spannungen mehren. Indien klagt über eine Zunahme der illegalen Migration aus Bangladesh und versucht, die Grenze mit Stacheldrahtzäunen zu sichern. Seit August stellt Indien zudem keine Visa mehr für Bangalen aus, was bei Geschäftsleuten für Unmut sorgt.

Auch unter Hasina gab es regelmässig Angriffe auf Hindus

Viele Hindus in Bangladesh sind nicht glücklich über die schrillen Töne in den indischen Medien. «Die BJP will sich mit ihrer Kampagne den eigenen Wählern als Verteidigerin der Hindus im Ausland präsentieren, doch in Wahrheit interessiert sie sich gar nicht für die Anliegen der Hindus in Bangladesh», sagt Narendra Nath Majumdar, der in Dhaka ein Zentrum zum Studium der Lehren des Hindu-Philosophen Swami Vivekananda leitet. Letztlich gehe es Indien bei dem Thema vor allem um seine eigenen Interessen, glaubt der 44-Jährige.

«Die Kampagne wird von Medien aus dem Umfeld der BJP angetrieben, um Spannungen zwischen den Religionsgruppen zu schüren und der Interimsregierung zu schaden», meint er. Über Jahre habe Indien offen die Awami League von Sheikh Hasina unterstützt und vor ihren Verbrechen die Augen verschlossen, sagt Majumdar. Auch unter Hasinas Regierung habe es regelmässig Angriffe auf Hindus gegeben, doch damals habe sich Indien dafür nicht interessiert.

Mit seiner Kampagne erweise Indien den Hindus in Bangladesh einen Bärendienst, findet Majumdar, der nicht zögert, seine Meinung auch in indischen Medien zu verkünden. Diese hätten nach Hasinas Sturz viele Falschnachrichten verbreitet, kritisiert er. «Sechzig Prozent der Berichte in den indischen Medien über religiöse Gewalt in Bangladesh waren falsch.» In Wahrheit habe es seit August keine signifikante Zunahme der religiösen Gewalt gegeben.

Der Angriff auf den Tempel bleibt rätselhaft

Auch mehrere Gläubige in einem nahe gelegenen Hindu-Tempel haben von Angriffen auf Hindus nur aus den Medien gehört. «In meinem Viertel ist es sehr friedlich. Selbst in den chaotischen Tagen nach dem Sturz Hasinas hat es keinen einzigen Vorfall gegeben», sagt Dipali Malo, eine 49-jährige Primarschullehrerin aus Bhanga im Süden von Dhaka. Das Verhältnis zu den muslimischen Nachbarn sei freundlich, und viele Muslime beteiligten sich an den Hindu-Festen.

Auch Rathan Pal, der auf dem Tempelgelände Götterstatuen für ein Festival fertigt, weiss von keinem Angriff in seiner Heimatstadt Gopalganj. Die Stadt ist der Geburtsort von Hasina und eine Hochburg ihrer Partei. Rund achtzig Prozent der Hindus dort unterstützten die Awami League, sagt der 54-Jährige. «Wenn ich auf den Markt gehe, gibt es daher manchmal negative Bemerkungen.» Solche Spannungen habe es aber auch unter Hasina gegeben, gerade in Zeiten von Wahlen.

Rathan Kumar Ghosh weiss derweil noch immer nicht, wer hinter dem Brandanschlag auf den Tempel seiner Familie steckt. Er vermutet, dass der Angriff im Zusammenhang mit der Festnahme eines militanten Hindu-Mönchs stand, der in Bangladesh lautstark die Verfolgung der Hindus angeprangert hatte. Die Festnahme des Mönchs Ende November führte in mehreren Städten zu Protesten der Hindus, aber auch zu Forderungen der Islamisten, härter gegen die Hindus vorzugehen.

Warum in dieser Lage ausgerechnet der Tempel seiner Familie ins Visier der Extremisten geriet, kann Ghosh nicht erklären. Seine Familie habe nie Streit mit den muslimischen Nachbarn gehabt – im Gegenteil. Diese seien ebenfalls schockiert gewesen über den Anschlag und hätten ihm ihre Hilfe angeboten. Für Ghosh geht es nun darum, den Tempel rasch wiederherzurichten. Auf Hilfe der Regierung kann er dabei nicht zählen. Doch immerhin schaut die Polizei öfter auf einen Tee vorbei, um sich zu vergewissern, dass es keine weiteren Probleme gibt.

Mitarbeit: Rashad Ahamad

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