Die indischen Behörden nutzen immer öfter die Zerstörung von Geschäften und Häusern als Strafe. Meist trifft es Muslime und andere marginalisierte Gruppen. Nun hat das Oberste Gericht die Praxis scharf kritisiert.
In Indien reichte in den vergangenen Jahren oft ein Verdacht – und schon rückten die Bulldozer an, um zur Strafe das Haus oder das Geschäft des Verdächtigen abzureissen. Meist wurden sie bezichtigt, an Unruhen beteiligt gewesen zu sein. Beweise legten die Behörden in der Regel nicht vor, auch präsentierten sie keinen Gerichtsbeschluss für den Abriss. Die Betroffenen erhielten keine Zeit für einen Einspruch, oft blieben ihnen nur wenige Stunden, um ihre Sachen zu packen. Manche wurden gar von den Bulldozern aus dem Schlaf gerissen.
Dieser Praxis hat das Oberste Gericht nun einen Riegel vorgeschoben. In scharfen Worten kritisierten die Richter am vergangenen Mittwoch das Vorgehen, das in Indien als «Bulldozer-Justiz» bekannt ist. Der Abriss eines Hauses ohne faires Gerichtsverfahren aus dem alleinigen Grund, dass der Bewohner einer Straftat verdächtigt werde, verletze die grundlegenden Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit und sei ein klarer Verstoss gegen die Verfassung, urteilte das Gericht in Delhi.
In den meisten Fällen traf diese Form der Bestrafung Muslime, nachdem es in der Nähe zu religiösen Spannungen mit Hindus gekommen war. Meist begründeten die Behörden den Abriss der Häuser damit, dass sie ohne die nötige Baugenehmigung errichtet worden seien. Laut dem Gericht zeigten das gezielte Vorgehen der Behörden gegen mutmassliche Beteiligte an den Unruhen und der zeitliche Zusammenhang jedoch, dass diese Begründung nur vorgeschoben war.
Die BJP brüstet sich mit der Bulldozer-Justiz
Geklagt hatte die islamische Organisation Jamiat Ulama-i-Hind wegen eines Falls in Uttar Pradesh. Der nordindische Teilstaat wird von dem radikalen Politiker Yogi Adityanath von der Hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP) von Premierminister Narendra Modi regiert. Adityanath ist in Indien als «Bulldozer-Opa» bekannt. Er brüstet sich damit, die Planierraupen zur raschen Bestrafung von Verdächtigen einzusetzen. Dafür hat er auch von Modi Lob erhalten. Inspiriert ist das Vorgehen von Israel, das seit Jahren als Strafe die Häuser von palästinensischen Terrorverdächtigen abreisst.
In dem Fall, in dem das Oberste Gericht nun zu entscheiden hatte, ging es um den Abriss des Hauses eines Muslims in der Stadt Prayagraj. Dort war es im Juni 2022 nach provokativen Äusserungen einer BJP-Politikerin über den islamischen Propheten Mohammed zu Unruhen zwischen Hindus und Muslimen gekommen. Wenige Tage später liessen die Behörden das Haus eines muslimischen Aktivisten abreissen, den sie beschuldigten, die Gewalt angezettelt zu haben.
Das Oberste Gericht stellte nun klar, dass die Exekutive sich nicht zum Richter aufschwingen dürfe und kein Recht habe zu entscheiden, ob ein Verdächtiger schuldig sei. Dieses selbstherrliche und willkürliche Vorgehen stelle die Gewaltenteilung und die Herrschaft des Rechts infrage, erklärten die Richter. Auch bedeute der Abriss von Häusern und Geschäften eine illegale Form der Kollektivstrafe, da die Ehegatten, Kinder und anderen Angehörigen des Verdächtigen im gleichen Haushalt nicht für dessen Taten bestraft werden dürften.
Künftig haften Beamte mit ihrem privaten Vermögen
Dies galt insbesondere für einen Fall in Rajasthan, bei dem die Behörden im August ein Haus abgerissen hatten, in dem ein muslimischer Junge mit seiner Familie lebte, der beschuldigte wurde, einen Kameraden erstochen zu haben. Allerdings lebte die Familie nur zur Miete in dem Haus, das zerstört wurde. Auch wurde der Besitzer nicht rechtzeitig informiert. Gegenüber der Presse lobte er das Urteil und äusserte die Hoffnung, angemessen entschädigt zu werden.
Um künftig nächtliche Zwangsräumungen zu verhindern, wies das Oberste Gericht die Behörden an, die Betroffenen fortan mindestens 15 Tage im Voraus zu informieren. Die Entscheidung müsse in jedem Einzelfall begründet werden, und die Betroffenen müssten die Möglichkeit erhalten, Einspruch zu erheben. Sollte sich ein Beamter nicht an diese Vorgaben halten, hafte er in Zukunft persönlich, urteilte das Gericht. In diesem Fall müsse er aus der eigenen Tasche die Betroffenen entschädigen und den Wiederaufbau bezahlen.