Dienstag, November 26

Im August wurde in Kolkata eine junge Ärztin vergewaltigt und ermordet. Den Hauptverdächtigen haben die Behörden inzwischen angeklagt. Trotzdem halten die Proteste an. Die grausame Tat hat das Sicherheitsgefühl vor allem von Ärztinnen erschüttert.

Nur Versprechen, aber keine Taten: Zwei Monate nach der Vergewaltigung und Ermordung einer jungen Ärztin in Kolkata fühlen sich die indischen Mediziner von der Politik im Stich gelassen. Um ihrem Ruf nach Reformen Nachdruck zu verleihen, trat eine Gruppe Ärzte am 5. Oktober in einen unbegrenzten Hungerstreik. Kollegen in anderen Städten schlossen sich dem Streik an, Ärzteverbände solidarisierten sich mit der Aktion. Mehr als siebzig leitende Ärzte drohten mit Kündigung, sollten die Forderungen nicht erfüllt werden.

Der Auslöser der Proteste war der Mord an einer Assistenzärztin im traditionsreichen Spital R. G. Kar in Kolkata. Der leblose Körper der jungen Frau war am Morgen des 9. August mit deutlichen Spuren der Gewalt in einem Seminarraum des Universitätsspitals gefunden worden. Sie hatte sich dorthin mangels eines anderen Ruheraums nach einer langen Schicht zum Schlafen zurückgezogen. Rasch war klar, dass sie erst vergewaltigt und dann ermordet worden war.

Als Hauptverdächtiger wurde ein Mann festgenommen, der in dem Spital gegen Geld Arzttermine an Polizisten und deren Angehörige vermittelte. Es bestand aber früh der Verdacht, dass er nicht der einzige Täter war. Auch gab es Vorwürfe, die Spitalleitung habe den Fall zu vertuschen versucht. Unter dem Druck der Proteste, die sich rasch formierten, trat der Leiter des Spitals zurück. Später wurde er verhaftet und unter dem Vorwurf angeklagt, Beweise verfälscht zu haben.

Der Hauptverdächtige soll allein gehandelt haben

Diese Woche legte die Polizei nun ihre Ermittlungsergebnisse vor. Dem Hauptverdächtigen werden Vergewaltigung und Mord vorgeworfen. Er soll die Ärztin im Schlaf überwältigt, vergewaltigt und dann erwürgt haben. Laut der nationalen Ermittlungsbehörde CBI, die den Fall wegen seiner Brisanz an sich gezogen hat, handelte er allein. Der Verdächtige beteuert seine Unschuld, doch wiegen die Beweise schwer: So wurde seine DNA an dem Opfer gefunden, auch wurde sein Bluetooth-Kopfhörer am Tatort entdeckt. Ihm droht die Todesstrafe.

Der Fall hat in Indien einen Nerv getroffen. Die Ermordung der jungen Frau an ihrem Arbeitsplatz hat das Sicherheitsgefühl der Ärzte erschüttert. Die Mediziner klagen schon länger, dass sie vermehrt Angriffen durch Patienten und deren Angehörige ausgesetzt seien. Die Hungerstreikenden fordern daher von der Politik Massnahmen gegen die «Kultur der Bedrohung». Auch wollen sie mehr Überwachungskameras und Polizisten in den Spitälern.

Der Mord hat aber nicht nur Ärzte schockiert, sondern die Inderinnen allgemein getroffen. Nach der Tat formierten sich in Kolkata und anderen Städten nächtliche Protestmärsche von Frauen. Sie klagten, dass sie nicht einmal mehr an ihrem Arbeitsplatz sicher seien. Sexuelle Gewalt und die Sicherheit von Frauen in der Öffentlichkeit sind ein grosses Thema seit 2012. Damals war eine Studentin bei einer Massenvergewaltigung in einem Bus in Delhi ermordet worden.

Selbst beim Durga-Fest war der Mord ein Thema

Auch bei dem jährlichen Durga-Fest, das diese Woche in Indien begann und in Kolkata traditionell besonders gross gefeiert wird, war der Mord an der Ärztin Thema. Mehrere der temporären Festzelte, die der Göttin Durga gewidmet sind und deren Statuen oft Bezug auf aktuelle Fragen nehmen, griffen die Tat auf. Eines der Zelte zeigte ein totes Mädchen zu Füssen der Göttin, die sich voller Scham das Gesicht bedeckt.

Der Fall bringt die Regierung des nordindischen Teilstaats Westbengalen in Bedrängnis. Die Ministerpräsidentin Mamata Banerjee war angesichts der Proteste gezwungen, mehrere führende Polizei- und Gesundheitsbeamte zu entlassen. Den erzürnten Ärzten reicht dies aber nicht – sie fordern auch den Rücktritt des Gesundheitsministers von Westbengalen. Ein Treffen mit Vertretern der Regionalregierung brachte am Mittwoch keine Annäherung.

Nach der Vergewaltigung in dem Bus in Delhi hatte die Politik diverse Massnahmen zum besseren Schutz von Frauen ergriffen. An der Grundsituation hat sich aber wenig geändert: Viele Frauen vermeiden es, in der Dunkelheit ohne männliche Begleitung auf die Strasse zu gehen. Der Ausbau der Metro hat zwar die Situation in Delhi und anderen Städten verbessert, da es dort spezielle Frauenabteile gibt. Die meisten Frauen haben aber keine andere Wahl, als Busse und Rikschas zu nutzen. So leben sie mit der ständigen Angst vor Gewalt.

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