Donnerstag, Mai 22

Der Halbleiterkonzern ist belastet vom Kater nach dem Chipboom und vom verzögerten Hochlauf der E-Mobilität. Dabei legt das Geschäft mit KI kräftig zu. Die anderen langfristigen Wachstumstreiber sind ebenfalls intakt, wenn auch weniger dynamisch als erwartet.

Seit die Infineon-Aktie im November 2021 auf dem Höhepunkt des Chipbooms ihren Höchstkurs von gut 43 € erreicht hat, durchleben Aktionäre eine Achterbahnfahrt. Erst wurden Chips für Autos, Maschinen und Smartphones knapp, sodass insbesondere Autohersteller sogar ihre Produktion drosseln mussten. In der folgenden Überproduktion horteten Industriekunden und Distributoren allzu umfangreiche Lagerbestände, die sich nun nur zäh abbauen, was schon über anderthalb Jahre andauert.

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Die Folge für Infineon, Weltmarktführer bei Autochips, Leistungshalbleitern (Chips zum effizienten Laden und Steuern von Strom) und Sicherheitsanwendungen: Im Geschäftsjahr 2023/24 (30. September) schrumpfte der Konzernumsatz, zum ersten Mal in zehn Jahren.

Zeigte sich das Topmanagement des Dax-Konzerns in den ersten Monaten dieses Jahres noch zuversichtlich, die Talsohle durchschritten zu haben, schlug zuletzt das Zollchaos von US-Präsident Donald Trump ins Kontor. Beim jüngsten Quartalsbericht am 8. Mai zog Infineon deshalb die Anfang Februar angehobene Jahresprognose zurück.

Statt einen stabilen oder leicht steigenden Umsatz erwarte man nun im Geschäftsjahr 2024/25 einen leichten Rückgang, sagte CEO Jochen Hanebeck. Die operative Marge werde im mittleren statt mittleren bis hohen Zehnerbereich liegen.

Grund sei allein der Zollstreit, der den Umsatz im vierten Geschäftsquartal um 10% verringern könnte, die Abwertung des Dollars hätte Infineon in der bisherigen Prognose noch verkraften können. Chips sind bisher von den hohen US-Zöllen zwar ausgenommen, werden allerdings in Smartphones, Computer oder Hausgeräte eingebaut, die aus China in die USA exportiert werden. Drücken hohe Zölle die Nachfrage nach diesen Produkten, trifft dies auch die Chiphersteller.

Nur vier Tage nach Infineons Prognosesenkung einigten sich die USA und China, ihre gegenseitigen Zölle erheblich zu reduzieren, zunächst für neunzig Tage. Dies hilft auch Infineon; vermutlich hätte der Konzern die Prognose gar nicht herabgesetzt, wäre die chinesisch-amerikanische Entspannung vor der Vorlage des Quartalsberichts eingetreten. Laut CFO Sven Schneider stand hinter der Senkung «keine mathematische Kalkulation». Entsprechend nahmen die Anleger sie nicht allzu ernst: «Das war deutsche Vorsicht», konstatiert Markus Golinski, Fondsmanager von Union Investment.

Tiefpunkt des Zyklus ist überschritten

Tatsächlich spricht einiges dafür, dass der Tiefpunkt überschritten ist und nun der lange erhoffte zyklische Aufschwung einsetzt. «Im normalen Zyklus wäre jetzt die richtige Zeit zu investieren», sagt Golinski. «Wegen der Zollsituation und der langsameren Erholung in den wichtigen Endmärkten Automotive und Industrie bleiben aber Unsicherheiten.»

Langfristig besticht Infineon immerhin durch herausragende Technologien und Marktpositionen in strukturell wachsenden Märkten. Union-Fondsmanager Golinski und Sebastian Junker, Fondsmanager bei Metzler Asset Management, trauen dem Konzern deshalb zu, dass er sein Mittelfristziel eines durchschnittlichen jährlichen Wachstums von 10% über den Zyklus auch in Zukunft schaffen wird.

«Beim mittelfristigen Margenziel von 25% sehe ich allerdings ein Risiko», sagt Golinski. In den vergangenen Jahren wurde diese Marke nur im Geschäftsjahr 2023 übertroffen.

Wechselvolle Geschichte

Infineon ist die ehemalige Halbleitersparte von Siemens und ging im März 2000 auf dem Höhepunkt des Internet-Hypes an die Börse. Der damalige Emissionspreis von 35 € wurde erst in den Zwanzigerjahren zeitweise wieder erreicht. Die Nullerjahre waren von Krisen und Machtkämpfen geprägt. In der Finanzkrise 2008/09 sackte der Kurs im Zuge der Insolvenz der Dresdner Speicherchiptochter Qimonda zeitweise auf 35 Cent.

Weitere Portfoliobereinigungen wie der Verkauf der Handychipsparte folgten, um das Geschäft weniger schwankungsanfällig zu machen. Infineon konzentrierte sich auf den Kern des heutigen Portfolios aus Chips für Automobile und Maschinen, Leistungshalbleiter für die gesamte Breite der Industrie und Sicherheitsanwendungen.

Infineon baut Weltmarktführerschaft bei Autochips aus

2019 überholte Infineon den japanischen Chipriesen Renesas als Weltmarktführer bei Autochips und hat den Marktanteil seither kräftig ausgeweitet.

Der rasante Aufschwung von Chinas Elektroautobranche hat Infineon – anders als Europas Autoherstellern – sogar geholfen: Das Unternehmen ist mit 13,9% Marktanteil Marktführer in China und beliefert die meisten chinesischen Angreifer, darunter BYD. So stieg sein Umsatz mit Autochips in China im zweiten Quartal zweistellig und glich damit die Schwäche westlicher Märkte aus.

Selbst bei dem eher einfachen Produkt Mikrocontroller – sie steuern sämtliche Systeme in Autos und werden darin massenhaft verbaut – gewann Infineon zuletzt Marktanteile. Dies liege an der von Infineon dafür entwickelten Softwaresteuerung Aurix, «die sich zunehmend zur marktführenden Lösung entwickelt, auch in China», sagt Metzler-Fondsmanager Junker. «Sobald man den Marktstandard setzt, tun sich Kunden schwer zu wechseln.»

Trends zu E-Mobilität und automatisiertem Fahren helfen

Zwar rechnet Infineon auch für die nächsten Jahre eher mit einer Stagnation der Autoproduktion. Allerdings wächst mit den Trends zur E-Mobilität und zum automatisierten Fahren der Chip-Content pro Auto; davon werde man mit einem zweistellig steigenden Umsatz profitieren, rechnet der Konzern vor.

Während im Jahr 2024 produzierte Verbrenner im Schnitt Halbleiter im Wert von 750 $ enthielten, kamen 2024 hergestellte vollelektrische Autos auf 1300 $ Chip-Content. Dieser Wert werde bis 2030 auf durchschnittlich 1650 $ steigen. Infineon erwartet, dass sich bis 2030 der Anteil von E-Autos an der weltweiten Produktion auf 45% (von 2024: 20%) sowie der Anteil von Fahrzeugen mit assistiertem und automatisiertem Fahren auf 60% (von 2024: 25%) mehr als verdoppelt.

«Selbst wenn der Endmarkt für Autos schwach bleibt, ist die Autobranche als Markt für Chiphersteller hoch attraktiv», sagt Union-Fondsmanager Golinski.

Geschäft mit KI-Chips fährt hoch

Rund läuft es für Infineon auch im noch jungen Geschäft mit Chips für die Stromversorgung in Rechenzentren für künstliche Intelligenz (KI): Die Münchner liefern Komponenten für KI-Racks. Diese standardisierten Schränke, die die eigentliche Serverhardware aufnehmen, benötigen etwa 20ʼ000 bis 25ʼ000 Leistungshalbleiter im Wert von 12ʼ000 bis 15ʼ000 $ – pro Rack. Der entsprechende Umsatz soll sich im laufenden Geschäftsjahr auf 600 Mio. € mehr als verdoppeln und 2025/26 bereits 1 Mrd. € erreichen.

Infineon sah sich schon bei klassischen Servern als weltgrösster Lieferant von Leistungshalbleitern und zählt die bei KI relevanten Spieler wie Nvidia und AMD sowie Google und Amazon zu ihren Kunden.

Am gestrigen Mittwoch trieb eine neue Kooperation Infineons mit Nvidia den Infineon-Aktienkurs zeitweilig um 2,5% in die Höhe. Die Partner arbeiten an einer neuen Architektur mit zentraler Stromversorgung durch 800-Volt-Hochspannungsgleichstrom. Gegenüber der bisher üblichen Versorgung mit Wechselstrom wird sie den Vorteil haben, dass bei der Übertragung deutlich weniger Strom verloren geht und man insofern Strom spart.

Hohe Capex drückt noch auf Jahre Margen und Renditen

Das Topmanagement betont, trotz des seit Mai 2024 laufenden Sparprogramms keine Abstriche bei Innovationen zu machen. Auch in den Fabriken hat Infineon zuletzt so viel investiert wie noch nie. Weil neue Werke in Dresden und dem malaysischen Kulim erst hochlaufen, bleibt die Capex (Capital Expenditures) hoch, auch wenn Hanebeck die Investitionen dieses Geschäftsjahres um 200 Mio. auf 2,3 Mrd. € gekürzt hat.

Im Nachhinein war Infineon mit dem Timing der Investitionen zu optimistisch, selbst wenn die Fabriken in den nächsten Jahren gefüllt werden können. Da sich der Zyklus so in die Länge zieht und Infineon angesichts der Unsicherheit bezüglich der Kundennachfrage nicht zu stark auf Vorrat produzieren will, fährt sie die Werke für die Waferfertigung (Frontend) derzeit nur mit einer Auslastung im 70%-Bereich. Die Fabriken zum Testen und Verpacken (Backend) sind sogar nur im hohen 60%-Bereich ausgelastet. Infineon veranschlagt für das laufende Geschäftsjahr deshalb Leerstandskosten von 1 Mrd. €.

Anders als Chipkonzerne wie AMD oder Nvidia, die ihre Chips bei Auftragsfertigern wie TSMC produzieren lassen, setzt Infineon für einen Grossteil ihres Portfolios auf eigene Fabriken. Im vergangenen Boom zahlte sich diese Strategie durch höheres Wachstum aus.

Die hohen Investitionen belasteten allerdings Margen und Kapitalrendite.

Gerüstet ist Infineon mit den neuen Fabriken für kräftiges Wachstum, die Frage ist nur, ob die Nachfrage in den nächsten Jahren so stark anzieht. In der Vergangenheit habe das Infineon-Management bei seinen Investitionen «die notwendige Weitsicht bewiesen», konstatiert Metzler-Fondsmanager Junker.

Wie schnell erstarken die neuen Rivalen aus China?

Sehr langfristig gesehen kann sich Infineons Stärke in China (dem mit 28% Anteil am Umsatz wichtigsten Markt der Münchener) allerdings ins Gegenteil verkehren. Die chinesische Regierung will sich unabhängig von internationalen Chipanbietern machen und päppelt die heimische Chipindustrie mit Subventionen. Noch leidet diese unter den US-Exportverboten für die leistungsfähigsten Chipmaschinen, macht aber gleichwohl Fortschritte. Infineon-Kunde BYD zählt schon jetzt zu Chinas grössten Chipherstellern.

«China ist die Crux, die wir als Investoren sehen. Auf Sicht von zwanzig Jahren würde ich den China-Anteil am Infineon-Umsatz aus dem Terminal Value rausnehmen», sagt Union-Mann Golinski. «Ich glaube, dass Investoren wegen dieser Langfristperspektive nicht mehr so hohe Bewertungen zahlen.»

Bewertung ist nicht mehr günstig

Nach dem kräftigen Kursanstieg der vergangenen zwei Wochen ist Infineon kein Schnäppchen mehr: Kurs-Gewinn-Verhältnis sowie Unternehmenswert (Enterprise Value) im Verhältnis zum Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) sind über den Zehnjahresschnitt gesprungen.

Der Bewertungsvergleich mit der Konkurrenz fällt gemischt aus:

Während Infineons KGV über dem der niederländischen NXP und von Onsemi aus den USA liegt, sind die Münchner bei Kennziffern wie Unternehmenswert im Verhältnis zum Ebitda sowie zum Umsatz günstig bewertet. Dabei schlägt sich unter anderem nieder, dass NXP weniger auf eigene Fabriken und stärker auf Auftragsfertiger setzt und insofern deutlich weniger in die Capex investiert als Infineon. Zudem sind die Niederländer deutlich höher verschuldet; Infineons Nettoverschuldung betrug Ende März nur 3,8 Mrd. €.

Beim dritten grossen europäischen Chipkonzern, STMicro, ist der Aktienkurs binnen Jahresfrist um 40% gefallen. Der französische Konzern steckt mit seinem wichtigsten Kunden, Tesla, in der Krise; beim US-Elektroautopionier bricht der Absatz weg.

Infineons starke Marktpositionen bieten Anlegern auch auf dem derzeitigen Kursniveau langfristig Chancen, da die E-Mobilität weiter in Schwung kommen dürfte und auch Dekarbonisierung insbesondere bei Rechenzentren ein Thema bleiben wird. Das sehr langfristige China-Risiko sollten Investoren dabei im Blick behalten.

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