Mittwoch, Oktober 9

Der Mailänder Carlo Acutis erlag einer akuten Leukämie. Der Jugendliche setzte sich für Obdachlose ein und verbreitete seinen Glauben über selbstgebaute Websites. Er soll zum Schutzpatron des Internets werden.

Die Heiligen waren schon immer so etwas wie die Werbeträger der katholischen Kirche. Ihre guten Taten sollen andere zum Glauben führen, zur Nachahmung motivieren, Menschen positiv beeinflussen. Heute würde man sie Influencer nennen.

Carlo Acutis ist der erste Millennial, der heiliggesprochen wird. Am vergangenen Donnerstag hat Papst Franziskus die entsprechenden Dekrete unterzeichnet. Vor Acutis hatte noch kein Heiliger ein eigenes Facebook-Profil unterhalten. Die Medien bezeichnen ihn bereits als «Influencer Gottes».

Viel ins kurze Leben gepackt

Als er noch lebte, gab es den Begriff allerdings noch nicht. Carlo Acutis starb 2006 mit bloss 15 Jahren in einem Spital in der norditalienischen Stadt Monza. Nur drei Tage davor war ihm eine akute Leukämie diagnostiziert worden. In seinem kurzen Leben hatte er vieles geleistet.

Geboren wurde Acutis in gutsituierte Verhältnisse in London, wuchs aber in der italienischen Wirtschaftsmetropole Mailand auf. Sein Vater leitete ein Versicherungsunternehmen. Carlo Acutis liebte Videogames und TV-Krimis, spielte Saxofon und Fussball. Auf den ersten Blick könnte man an die Vita eines privilegierten Mailänders denken. Bilder zeigen einen adrett gekleideten Teenager in Hemd und V-Kragen-Pullover, der seinen Geburtstag mit einer Schokoladentorte im grossen Garten feiert. Aber da war noch eine andere Seite.

Mit sieben Jahren zur Erstkommunion

Wie Carlos Mutter dem «Corriere della Sera» erzählte, gingen die Eltern kaum in die Kirche. Carlo Acutis wollte dennoch bereits als Siebenjähriger die Erstkommunion erhalten und liess sich in einem Kloster darauf vorbereiten. Danach besuchte er täglich den Gottesdienst. In seinen letzten Lebensjahren packte er abends Tupperware mit Essen voll, füllte warme Getränke ab und verteilte alles unter den Obdachlosen beim Arco della Pace, dem Friedensbogen im Zentrum Mailands. Er leistete Freiwilligenarbeit in einer Suppenküche und gab anderen Kindern und Jugendlichen mit Lernschwäche Nachhilfe. Mit seinem Sackgeld soll er den Obdachlosen manchmal Schlafsäcke gekauft haben.

Sein Religionslehrer Roberto Cazzaniga bezeichnet Carlo Acutis als bescheidenen Jugendlichen, der sein soziales Engagement und seinen Glauben weder versteckt noch zur Schau gestellt habe. «Das ist es, was Heilige ausmacht», sagte der Geistliche zum «Corriere della Sera».

Carlo Acutis sorgte aber aktiv dafür, dass sein Glaube verbreitet wurde. Er hatte eine ausserordentliche Begabung für neue Technologien und verknüpfte diese mit seiner religiösen Überzeugung. Im Alter von neun Jahren bekam er den ersten Computer geschenkt. Mit der Zeit programmierte er Algorithmen und gestaltete Websites – viele davon mit religiösen Inhalten, wie etwa eine Sammlung von rund 140 eucharistischen Wundern aus der ganzen Welt.

Sneaker statt verfilzter Bart

Bisher kannte man Heilige als sich aufopfernde Menschen in tristen Nonnen- oder Mönchskutten, mit leidendem Blick und verfilzten Bärten. Den heiligen Sebastian sehen wir sterbend am Marterpfahl, von Pfeilen durchbohrt. Padre Pio bluten auf Fotografien die Hände, weil er die Wundmale Christi erhalten haben soll. Die Heiligen suggerieren: Fromm sein ist mit Schmerz und Last verbunden. Das wirkt auf die heutige Jugend uncool. Und nach den wiederkehrenden Missbrauchsskandalen in der katholischen Kirche auch unglaubwürdig.

Ihr kommt eine Figur wie diejenige von Acutis deshalb gelegen. Als der Vatikan Acutis 14 Jahre nach seinem Tod im Jahr 2020 seligsprach, wurde dessen Leichnam in Assisi aufgebahrt, in einem Sarg mit Glasscheibe. Die Haare waren präpariert, das Gesicht mit Silikon modelliert. Er trug eine Sportjacke, Jeans und Marken-Sneaker – ein gewöhnlicher, nahbarer Jugendlicher, eine neue Art Heiliger.

Der Vatikan deutet zwei Wunder

Seine Lebensgeschichte hatte für Aufsehen gesorgt. Zum Heiligen ernennt die katholische Kirche aber nur, wer in ihren Augen mindestens zu zwei Wundern verholfen hat. Diese vollbringt der Heilige nicht selbst, sondern nur Gott durch ihn, so stellt es der Vatikan klar.

Das erste dieser Wunder soll Acutis im Jahr 2013 vollbracht haben. Ein sechsjähriger Bub soll ein Kleidungsstück Acutis’ berührt haben und so die angeborene Erkrankung der Bauchspeicheldrüse losgeworden sein. Das zweite Wunder soll sich 2022 ereignet haben: Eine junge Frau hatte nach einem Velounfall in Florenz ein schweres Schädel-Hirn-Trauma erlitten und befand sich in einem aussichtslosen Zustand. Die Mutter soll darauf zu Acutis’ Grab nach Assisi gepilgert sein und eine schriftliche Fürbitte hinterlassen haben. Am Tag danach soll die Tochter aus dem Koma erwacht und schnell genesen sein.

Wie Isidor von Sevilla

Acutis sei ein Vorbild der Heiligkeit in der digitalen Ära, schrieb Papst Franziskus einst anlässlich einer Synode, einer Bischofszusammenkunft, zum Thema Jugendliche. Acutis habe gewusst, wie man die neuen Kommunikationstechniken nutzen könne, um das Evangelium sowie Werte und Schönheit zu vermitteln.

Der Vatikan gedenkt deshalb, den neuen Heiligen auch zum Schutzpatron des Internets zu ernennen, zumindest in Co-Funktion mit Isidor von Sevilla. Der Bischof aus dem 6. und 7. Jahrhundert ist der bisherige Heilige des Webs. Im Werk «Etymologiae» hatte Isidor das damalige Wissen in einer Art Enzyklopädie zusammengetragen. Acutis soll sein Pendant in der Neuzeit werden.

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