Donnerstag, Juli 4

Goethe verdankte ihm viel, Lessing fand ihn erhaben, aber dröge: Vor 300 Jahren wurde Friedrich Gottfried Klopstock geboren.

Als der Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock im Jahr 1803 in den Himmel auffuhr, war auf Erden, salopp gesagt, die Hölle los. 50 000 Menschen folgten beim Begräbnis dem vierspännigen Trauerwagen. Der Hamburger Senat hatte beschlossen, aus der Feier einen Staatsakt zu machen.

Die fünf Hauptkirchen der Hansestadt liessen ihre Glocken läuten, die Schiffe auf der Elbe trugen schwarze Flaggen, und am Friedhof von Ottensen sang ein hundertköpfiger Trauerchor Klopstocks Lied «Die Auferstehung»: «Auferstehn, ja auferstehn wirst du, / Mein Staub, nach kurzer Ruh! / Unsterblichs Leben / Wird, der dich schuf, dir geben! / Halleluja!»

Das Drama um den Mann aus Quedlinburg: Im 18. Jahrhundert schien er als Poet tatsächlich unsterblich. Danach nicht mehr. Sein Grabstein fordert bis heute, dass sich die Deutschen mit Ehrfurcht und Liebe der Hülle ihres «grössten Dichters» nähern, aber schon die Generalsanierung deutscher Gefühle durch die Klassiker Goethe und Schiller hatte den Vorklassiker Klopstock sehr schnell dem Vergessen ausgeliefert. Im Laufe der Jahrhunderte ist er immer weiter in Anthologien und germanistischen Spezialseminaren versickert. Heute winkt selbst der Schullektüren-Gigant Reclam mit nur noch einem einzigen gelben Klopstock-Bändchen: «Der Messias. Gesang I–III».

Manchmal nur ein «Quaken»

Ist das betrüblich, oder kann Klopstock ganz weg? 300 Jahre nach der Geburt des dichtenden Juristensohns aus Quedlinburg bleibt das knisternde Gefühl eines kurzen historischen Augenblicks der Moderne. Als Dichter der Empfindsamkeit hat Klopstock die Funktionsformen des Ichs auf eine Weise radikalisiert, die jetzt schon wieder modern wirken könnte.

Überall ich. Überall Vermarktung dieses Ichs. Und selbst Gott, das grosse Du im Werk Klopstocks, wurde zum Werkzeug der Selbsterhöhung. Als Influencer im Namen des Herrn war der Schriftsteller unermüdlich und mit grossem Erfolg unterwegs, bis sein Produkt im Licht der Aufklärung zu verblassen begann. Für andere schreibende Zeitgenossen war es nicht schwer, sich über den eitlen und sittenstrengen Klopstock lustig zu machen.

Bisweilen nur ein «Quaken» vernahm Lessing in den Oden. Der Aufklärer Lessing wollte nicht daran glauben, dass ausgerechnet die sentimentale Überhitzung zu den Wahrheiten der christlichen Religion führen könne. Wer am erhabensten von Gott zu denken glaube, denke tatsächlich am allerunwürdigsten von ihm, meint Lessing. Und dann ist da noch sein berühmtes Epigramm von 1753: «Wer wird nicht Klopstock loben? Doch lesen sollt ihn jeder? – Nein. / Wir wollen weniger erhoben, / Und fleissiger gelesen sein.»

Regen und Tränen

Der schneidende Wind einer radikalen Zeitenwende hat eine schneidend genaue Ablehnung eines überholten Konzepts des Dichtens mit sich gebracht, auch wenn manche Übergänge fliessend waren. Der frühe Goethe war ein Verehrer der exakten Naturbetrachtungen Klopstocks, seiner Idee kosmologischer Weltharmonie und seiner patriotischen Gesinnungen. Den «Götz von Berlichingen» hätte es ohne das Vorbild nicht gegeben und auch nicht den ergriffenen Ausruf «Klopstock!» im «Werther».

In Goethes Briefroman ist gerade ein Gewitter niedergegangen, und während vor dem Fenster der Regen schon ruhiger auf die Landschaft fällt, braut sich mit der meteorologischen Lage für die Handlung Entscheidendes zusammen. «Klopstock!», ruft Lotte, weil ihr eine Gewitterszene in dessen Gedicht «Die Frühlingsfeier» in den Sinn kommt. Es fliesst der Regen, es fliessen die Tränen, und beides läuft in einem «Strome von Empfindungen» zusammen. Dieser Goethesche Überwältigungsmoment ist eine Verbeugung vor dem älteren Kollegen, aber der tragische «Werther» bleibt als Ganzes eine subtile Warnung vor dem ungeschützten Gefühl.

Friedrich Gottlieb Klopstock war ein Phänomen. Ein Dichter, dem es gelungen ist, die Welt mit angekündigten Werken in Atem zu halten und aus den Ankündigungen ganz ungeniert Kapital zu schlagen. Schon bei der Abgangsrede im sachsen-anhaltinischen Elitegymnasium Schulpforta präsentierte er sich als künftiger deutscher Überwinder antiker Heroenepik. Selbstbewusst geisselte der Abiturient die «Schlafsucht unseres Volkes», das mit «niedrigen Tändeleyen beschäftigt» sei und nicht mit dem höchsten Wert im geistigen Bruttosozialprodukt: dem Heldenepos.

Im «Ozean der Welten»

Ein zweiter, ein besserer Milton wollte er obendrein sein. Der «Messias» aus seiner Feder würde dessen «Paradise Lost» übertrumpfen. Die in freien Rhythmen gestalteten 20 000 Verszeilen präsentierten die Passions- und Auferstehungsgeschichte Christi als Rührstück mit vielen Ausrufezeichen. In der Poetik Klopstocks sorgte das Mitgefühl für den Kurzschluss zwischen Gott und den irdischen Individuen.

Wer im «Ozean der Welten» schwimmt, ist winzig klein, kann aber im Glauben an den Schöpfer unendlich wachsen. Der Schöpfer selbst wiederum ist so freundlich, Klopstock durch seine ausdauernde Allgegenwart selbst im Nichtigsten zu beeindrucken. Im Gedicht «Frühlingsfeier» ist es der Tropfen am Eimer, der beim Dichter ein euphorisches «Halleluja! Halleluja!» auslöst. «Der Tropfen am Eimer / Rann aus der Hand des Allmächtigen auch!»

Bei so viel potenziellem Jubelmaterial sollte Klopstock der Stoff für sein Werk so schnell nicht ausgehen, aber weil er zum Leben auch Geld brauchte, entwickelte er ein Geschäftsmodell, das erstaunlich lange und gut funktionierte. Nur sehr allmählich erschienen die Teile des «Messias». Proben wurden an wohlmeinende Freunde oder an potenzielle Mäzene verschickt. Der Schweizer Philologe Johann Jakob Bodmer war unter den frühen Fans von Klopstock und hat vieles für sein Fortkommen getan.

Reiten, Wandern, Schlittschuhlaufen

Den grössten Ruhm allerdings verdient ausgerechnet der dänische König Friedrich V. Der König war pietistisch und gehörte damit lebensanschaulichen Sphären an, die Klopstock von zu Hause kannte. Allerdings führte er ein Leben mit intensiven Ausschweifungen. Eine jährliche Pension von 400 Kronen, die Friedrich V. dem Dichter ab 1750 gewährte, liess diesen über Menschliches immerhin so weit hinwegsehen, dass er auch noch ein paar dem Potentaten gewidmete Oden verfasste.

Zwanzig Jahre lang lebte Friedrich Gottlieb Klopstock in und um Kopenhagen. Viele Zeilen des «Messias» und der Hymnen und Oden entstanden bei sportlicher Betätigung. Die äussere Bewegung beim Reiten, beim Wandern und beim Schlittschuhlauf hat sich in eine innere Bewegung der Klopstockschen Verse übertragen, deren «Schrittschuhsylbenmaass und Wintermorgenmusik» selbst Herder würdigte.

Das Drehen des Sportlers auf dem Eis ist in Rhythmen und Worte gefasst, die der Eislauf-Aficionado Goethe so lange bewunderte, bis sich bei einem Besuch des Älteren in Frankfurt 1774 herausstellte, dass Klopstock lieber über Sport als über Goethes noch junge, aber beeindruckende Karriere reden wollte.

Verstimmung in Weimar

Die Überheblichkeit des Dichters des Erhabenen war Goethe ein Dorn im Auge, seine moralischen Anweisungen waren es auch. 1776 schreibt Klopstock einen zur Sittlichkeit mahnenden Brief nach Weimar, in dem er die jugendlichen Umtriebe Goethes mit Herzog Carl August kritisiert. Der Schwan von Weimar antwortet, dass er jetzt nicht wie ein Schulknabe ein «Pater peccavi» anstimmen werde. «Verschonen Sie uns künftig mit solchen Briefen, liebster Klopstock. Sie helfen nichts und machen uns immer ein paar böse Stunden.»

Klopstocks Leben ist kein Ort der Skandale, und wer über den Dichter des 18. Jahrhunderts eine Biografie schreiben will – die erste seit 1888! –, der muss sich an Anekdotisches halten. Der Bielefelder Germanist Kai Kauffmann hat das auf grossartige Weise getan, ohne das poetologisch Verdrehte beim Dichter zu unterschlagen («Klopstock! Eine Biografie», Wallstein-Verlag).

Anrührend wird Klopstocks Leben dort, wo seine Sentimentalität einen realen Widerpart hat. Wo es geliebte Menschen gibt, die sich seinen poetischen Indienstnahmen entziehen oder sich ihnen hingeben. Maria Sophie Schmidt, die 16-jährige Cousine aus Langensalza, hielt dem aus vielen «Fanny-Oden» bestehenden Ansturm des jungen Klopstock stand. Meta Moller, poetischer Deckname Cidli, wurde später Gattin des Dichters. Wenn dieser am «Messias» arbeitete, sass sie betend daneben, damit Gott «die Erbauung segnen möge». «Mein Kl, der Beste! Er arbeitet immer mit Thränen in den Augen», gab sie einmal preis. Meta Moller starb früh bei der Geburt eines Kindes.

Im Gespräch mit Propheten

Tatsächlich ist es nicht ein aussergewöhnliches Privatleben, das einem hier begegnet, sondern eine erstaunliche Selbstkonstruktion. Johann Gottlieb Klopstock hat sich selbst als Krönung der Dichtkunst erfunden. Im Geiste verkehrte er, wie Goethe einmal sagte, «mit Erzvätern, Propheten und Vorläufern als Gegenwärtigen». Mit der Gegenwart verkehrte er tunlichst nicht, und deshalb wurde er von ihr auch so gnadenlos überrollt.

Klopstock dachte sich als Vollendung. Dass es nach ihm erst richtig losgehen würde, wollte oder konnte er nicht wissen. Gelesen wurde er auch weiter, von Hölderlin bis hin zu Peter Rühmkorf, aber nicht als Priester einer luftdichten Theologie, sondern als jemand, der die Worte und Klänge manchmal auch ganz frei tanzen lassen kann. Dass über den Menschen ein von Gott bewohnter Himmel ist, unter ihnen aber der Abgrund, hat der Schlittschuhläufer Friedrich Gottlieb Klopstock wohl eher gewusst als der Dichter. «In der Stunde Graun / Lehre mich gen Himmel schaun!», schreibt Klopstock. Auf dünnem Eis wäre das allemal kein guter Rat.

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