Freitag, April 18

Der Fall hat in ganz Deutschland für Schlagzeilen gesorgt. Statt Beifall zu bekommen, landete der Palästinenser im Gefängnis. Nun will er nur noch eins: nach Hause.

Wohin gehen Sie jetzt? «Nach Hause, zu meiner Familie», sagt Atallah Younes und bekommt glasige Augen. «Ich vermisse meine Familie sehr.» Nach drei Monaten Untersuchungshaft ist der junge Palästinenser, der als «Raketen-Influencer» bekannt wurde, auf freiem Fuss. Zu sechs Monaten Haft auf Bewährung verurteilte ihn die 38. Grosse Strafkammer des Berliner Landgerichts an diesem Mittwoch. Der 24-Jährige aus dem Westjordanland hatte an Silvester in Berlin eine Rakete in eine Wohnung geschossen.

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Von den Anklagevorwürfen der versuchten schweren Brandstiftung und versuchten gefährlichen Körperverletzung sowie Sachbeschädigung blieb nur die Sachbeschädigung übrig. Die Staatsanwaltschaft hatte zwei Jahre auf Bewährung gefordert, die Verteidigung auf Freispruch plädiert.

«Die Frage ist: Mussten Sie die Möglichkeit erkennen, dass die Rakete eine Fensterscheibe durchschlagen könnte?», sagte der Vorsitzende Richter Raphael Neef bei der Urteilsbegründung. «Nur dann kämen wir überhaupt zur Frage der möglichen Brandstiftungsdelikte. Diese Frage haben wir verneint.»

Fenster halten Raketen normalerweise stand

Eine Brandsachverständige hatte am zweiten der drei Verhandlungstage ausgeführt, eine Fensterscheibe sei ein «nahezu perfekter Kristall» und halte solchen Raketen normalerweise stand. Für die dünnen Scheiben der Altbau-Doppelkastenfenster des Hauses an der Sonnenallee galt das zwar nicht, aber dies ging nicht zulasten des Angeklagten.

Zuvor waren an diesem dritten Verhandlungstag erneut die Videos aus der Tatnacht und von den Folgetagen in Augenschein genommen worden. Dabei zeigte sich, dass die angefertigten Übersetzungen, die das Gericht vorlas, sich nicht mit dem deckten, was der anwesende Dolmetscher verstand.

Hat Younes gesagt, dass man in Berlin einen Heidenspass gehabt habe? Nein, der Dolmetscher hat verstanden «wir haben uns blossgestellt», und «die Freude passt nicht zu uns», das sollte wohl heissen, man habe Spass haben wollen und leider eine Katastrophe angerichtet.

«Schreckliche Zeit im Gefängnis»

Nach der Verhandlung war Younes, der während des dreitägigen Prozesses geschwiegen hatte, kurz vor die Presse getreten, um selbst ein Statement abzugeben. Er sagte erneut, dass ihm seine Tat leidtue. «Es war eine schreckliche Zeit im Gefängnis, aber nun bin ich endlich draussen», sagte er auf Englisch.

Der damals 23-Jährige hatte am Silvesterabend auf der Berliner Sonnenallee eine Feuerwerksrakete so abgefeuert, dass sie die Fenster eines Wohnhauses durchschlug, in einem Schlafzimmer landete und in diesem explodierte. Das Video davon hatte er auf seinem Instagram-Account veröffentlicht, wo es millionenfach angeklickt und weiterverbreitet wurde. Dafür hatte er aber keinen Beifall, sondern massenhaft Kritik erhalten. Am Tag danach veröffentlichte er ein weiteres Video, in dem er den Geschädigten besuchte und sich auf dessen Sofa sitzend bei diesem entschuldigte.

Bei der Tat hätte eine ganze Menge passieren können, der Schaden hielt sich aber in Grenzen. In dem Zimmer war zum fraglichen Zeitpunkt niemand, es standen auch keine leicht brennbaren Güter darin, und die Familie, die in der Wohnung wohnt, befand sich im Nebenzimmer und konnte schnell reagieren.

Das Gericht kritisierte auch, dass über den Fall zunächst falsch berichtet worden war, und zwar nicht von Medien, sondern von staatlichen Stellen. So habe es zunächst geheissen, die Rakete sei in ein Kinderzimmer geschossen worden, es sei ein beleuchtetes Zimmer gewesen, dies sei alles nicht der Fall gewesen.

Spekulationen um einen Friedensrichter

«Zu Ihren Gunsten sprach hier, dass Sie unbestraft sind, sich entschuldigt und eine Wiedergutmachung angeboten haben», erklärte der Richter dem Verurteilten. «Gegen Sie sprach Ihre Rücksichtslosigkeit. Auf ein Gebäude zu schiessen, ist das Dümmste und fern jeder Verantwortung, und auch das Posten des Videos haben wir strafschärfend gewertet.» Dabei sei es egal, wer auf die Idee gekommen sei, das mit Musik unterlegte Video zu veröffentlichen, auf dem zu sehen sei, wie Younes die Rakete abschiesse.

Der Haftbefehl gegen den Mann aus Ramallah wurde aufgehoben. Damit kommt er nach mehr als drei Monaten in Untersuchungshaft wieder in Freiheit. Am 4. Januar war er am Berliner Flughafen festgenommen worden, als er Deutschland verlassen wollte. Die Verteidigung hatte auf Freispruch plädiert.

Die Aufnahme auf dem Instagram-Account des arabischen Influencers mit mehr als 310 000 Followern wurde laut Staatsanwaltschaft mehr als sechs Millionen Mal binnen kurzer Zeit aufgerufen. Nach rund 36 Stunden war sie gelöscht. Nutzer auf der Plattform X hatten den Mitschnitt jedoch weiterverbreitet.

Der Fall hatte deutschlandweit für Aufsehen gesorgt, auch wegen der mutmasslichen Einbindung eines islamischen Friedensrichters in die Versöhnung zwischen Täter und Opfer – was Diskussionen um eine Paralleljustiz auslöste. Der betroffene Wohnungsinhaber hatte sich im Prozess versöhnlich gezeigt und die Entschuldigung des Angeklagten akzeptiert.

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