Freitag, Oktober 4

Die Wirtschaft soll schrumpfen, aber die Renten, Löhne und Staatsausgaben sollen weiter steigen. Diese Fünfer-und-Weggli-Mentalität tritt zurzeit wieder stark in Erscheinung.

Der Ständerat debattiert diesen Montag über Fundamentales: die Zukunft des Planeten. Den Anlass liefert die Volksinitiative der Jungen Grünen zur Umweltverantwortung. Laut der Initiative darf «die durch den Konsum in der Schweiz verursachte Umweltbelastung» spätestens zehn Jahre nach Annahme der Initiative «die planetaren Grenzen gemessen am Bevölkerungsanteil der Schweiz» nicht mehr überschreiten.

Dicke Post. Laut einer vom Bund bestellten Studie mit Daten bis 2018 hat die Schweiz zwar ihren ökologischen Fussabdruck pro Einwohner seit dem Jahr 2000 um 26 Prozent gesenkt. Doch der Fussabdruck war immer noch etwa dreimal so gross, wie er gemessen an den globalen Belastungsgrenzen sein sollte. Gemäss einer Schätzung des Global Footprint Network für 2019 lag die Belastung der Schweiz pro Kopf sogar beim Vierfachen der globalen Grenze.

Mit Annahme der Initiative müsste die Schweiz somit ihren Fussabdruck innert zehn Jahren um etwa zwei Drittel bis drei Viertel reduzieren. Die Initiative nennt namentlich die Bereiche Klimaveränderung, Biodiversität, Wasserverbrauch, Bodennutzung sowie Stickstoff und Phosphor. Der Bundesrat hatte diesen Januar in seiner Botschaft ans Parlament vor «enormen volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kosten» durch die Umsetzung der Initiative gewarnt. Verlässliche Schätzungen kann allerdings keiner liefern. Der Initiativtext sagt nichts zur Art der Umsetzung; das ist ein gängiger taktischer Kniff von Initianten, um im Konkreten möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten.

Kriegswirtschaft als Vorbild

Was den Initianten vorschwebt, zeigt ein Positionspapier der Jungen Grünen für «eine postkapitalistische Wirtschaft» von 2023. Sie wollen unter anderem schädliche Wirtschaftsbereiche rückbauen, alle Produktionsmittel vergesellschaften und eine 24-Stunden-Arbeitswoche einführen. Lobende Worte erhielt dabei die britische Kriegswirtschaft während des Zweiten Weltkriegs. «Der Konsum fiel dabei um fast ein Drittel, was nicht für Unmut sorgte, sondern für ein Gefühl des Zusammenhalts.» Man frage aus aktuellem Anlass die Ukrainer, was sie davon hielten.

Der Nationalrat hatte diesen Juni kraft seiner bürgerlichen Mehrheit die Initiative klar zur Ablehnung empfohlen. Die Linke sprach sich derweil praktisch geschlossen für die Initiative aus, nachdem die SP mit einem Gegenvorschlag gescheitert war. Ein Kernargument der Befürworter: Langfristig seien die Kosten des gegenwärtigen Kurses höher als die Kosten eines verstärkt umweltbewussten Handelns.

Das ist möglich. Doch die Widersprüchlichkeit der Linken ist offenkundig. Die jüngste Illustration liefert die laufende Kontroverse um die Zukunft des Bundeshaushalts. Vergangene Woche hatte eine vom Bundesrat bestellte Expertengruppe zwecks Vermeidung künftiger Defizite mittelfristige Sparmassnahmen von 4 bis 5 Milliarden Franken pro Jahr empfohlen. Die Grünen kritisierten die Vorschläge als «massives Abbauprogramm», und die SP warnte vor einem «Frontalangriff auf die soziale Schweiz».

Wachstumsgläubig

Diese Worte verkündeten die Linksparteien zu einem Paket, das bei voller Umsetzung nicht etwa die Bundesausgaben senken würde, sondern «nur» das jährliche Ausgabenwachstum im Mittel bis 2030 von 3 Prozent auf 2,3 Prozent reduzieren soll.

Die Kritiker demonstrieren damit eine enorme Wachstumsgläubigkeit. Höhere Staatsausgaben sind letztlich durch zusätzliche Steuern zu finanzieren – und Steuergelder fallen nicht vom Himmel. Die Linke will zudem seit langem die Schuldenbremse des Bundes aushebeln, was im Gegensatz zur vielgelobten «Nachhaltigkeit» stünde.

Eine Schrumpfkur für die Wirtschaft im Interesse der Umwelt kann man wollen. «Unser materielles Komfortniveau und unser Wohlstandsniveau sind momentan nur durch die Übernutzung der natürlichen Ressourcen und die Überschreitung der Biokapazität unseres Planeten möglich», hatte etwa die Berner Grüne Aline Trede im Juni im Nationalrat betont. Aber wer gleichzeitig schon bei einer relativ bescheidenen Reduktion im Wachstum der Bundesausgaben so tut, als stehe der Untergang des Landes bevor, hat ein massives Glaubwürdigkeitsproblem.

Ähnliches gilt für die AHV. Die Linke hat via Volksinitiative erfolgreich für eine Erhöhung aller AHV-Jahresrenten um 8,3 Prozent ab 2026 gekämpft (13. Monatsrente). Das «materielle Komfortniveau» soll also weiter steigen. Eine Schrumpfkur sähe ganz anders aus. Die Umweltorganisation Greenpeace hatte kurz vor dem Urnengang von diesem März zur AHV-Initiative allen Ernstes behauptet, dass der Ausbau der AHV die Nachhaltigkeit fördere und «vereinbar mit den planetaren Grenzen» sei.

Es braucht viel Phantasie, um solche Worthülsen zu erfinden. Die AHV beruht auf dem Konzept «Die Zukunft kümmert uns nicht». Die Ausgaben wachsen Jahr um Jahr, und ohne starkes Lohnsummenwachstum und damit Wirtschaftswachstum wäre das Sozialwerk schon lange in den roten Zahlen. Für die Zukunft gilt das wegen der Alterung der Gesellschaft noch verstärkt. Die Hypotheken aus der AHV für die Jüngeren sind jetzt schon gross, und der Ausbau mit der 13. Monatsrente erhöht diese Hypotheken noch deutlich. Von «Nachhaltigkeit» kann keine Rede sein.

Appell an Gott und Newton

Greenpeace fordert eine «wachstumsunabhängige» Altersvorsorge. Die Jungen Grünen sagten in ihrem Positionspapier das Gleiche zum gesamten Sozialstaat. In Klarsprache übersetzt: Das Geld für unsere Löhne, Steuern und Renten fällt kraft der Naturgesetze vom Himmel – Gott und Newton sollen es richten.

Erinnert sei auch an die Kaufkraftdebatte von 2022 im Parlament. Damals genügte bereits eine Teuerung von etwa 2,5 Prozent, damit eine Links-Mitte-Allianz eine «Krise» an die Wand malte und eine Sondererhöhung der Renten forderte. Und im Vorfeld des Urnengangs von diesem Juni über die Volksinitiative zum Ausbau der staatlichen Verbilligung der Krankenkassenprämien hatte die Linke mit gütiger Mithilfe sympathisierender Medien das Bild einer Kaufkraftkrise des «Mittelstands» verbreitet.

Den mittleren Haushalten geht es zwar heute finanziell besser als vor fünfzehn oder dreissig Jahren, aber in den Statistiken findet sich Unheilvolles: Die Reallöhne lagen 2023 gemäss dem Lohnindex der Bundesstatistiker 1,5 Prozent tiefer als 2019. Wer einen solchen Rückgang des «materiellen Komfortniveaus» in einer Periode mit Pandemie, Krieg in Europa und Energiekrise als skandalös empfindet, kann nicht glaubwürdig das Ende des Wirtschaftswachstums oder gar eine Schrumpfung fordern.

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