Montag, September 30

In seiner wahrscheinlich letzten Rede vor der Uno lässt der US-Präsident ein halbes Jahrhundert Weltpolitik Revue passieren. Es gibt nur wenige Politiker, bei denen die globale und die persönliche Geschichte so sehr verknüpft sind.

Es war Joe Bidens vierter und vermutlich letzter Auftritt vor der Uno. Der amerikanische Präsident nutzte die grosse Bühne der 79. Generaldebatte in New York denn auch für einen persönlich gefärbten Rückblick auf fünfzig Jahre Weltgeschichte, die er in seiner ebenso langen politischen Karriere mitprägte. Der 81-Jährige schlug einen langen Bogen von Vietnam über den Kalten Krieg, den Nahostkonflikt, Südafrika, 9/11 bis zu Irak. Viele Leute seien angesichts der gegenwärtigen Probleme verzweifelt, sagte er. Aber er wisse aus Erfahrung, dass es auch immer Gelegenheiten gebe, die man nützen müsse: «Dinge können besser werden.»

«Ich denke jeden Tag an die Todesopfer»

Dem heiklen Thema Afghanistan und dem chaotischen Rückzug der USA wich er nicht aus. «Ich denke jeden Tag an die Todesopfer», sagte er. Danach nutzte er die Themen Covid-19 und Klimawandel, um darauf hinzuweisen, dass weltumspannende Probleme internationale Zusammenarbeit erforderten. Im Falle der Pandemie habe es auch tatsächlich funktioniert, sagte Biden und betonte seinen unverbrüchlichen Glauben an multilaterale Lösungen. Das war möglicherweise auch ein Seitenhieb gegen Donald Trump, der gegenüber der Uno starke Vorbehalte hegt.

Biden schwenkte dann zur Gegenwart mit den Schwerpunkten Ukraine, Nahost und Sudan, Letzteres ein Konflikt, der angesichts der beiden anderen Krisenherde oft vergessen wird – trotz der humanitären Katastrophe, die mit dem Bürgerkrieg einhergeht. Kritiker wie Trump werfen dem Präsidenten und auch seiner Vizepräsidentin Kamala Harris vor, dass ihre Aussenpolitik gescheitert sei, obwohl Biden sie als eine seiner Kernkompetenzen und als Standbein seiner Präsidentschaft betrachtet. Er war nach den tumultuösen Trump-Jahren mit dem Versprechen angetreten, wieder mehr Kontinuität und Multilateralität zu pflegen. Aber tatsächlich ist es ihm nicht gelungen, Russland vom Angriff auf die Ukraine abzuhalten, und auch seine Forderung nach einem Waffenstillstand im Gazastreifen verhallte ungehört. Im Gegenteil eskaliert die Situation im Nahen Osten von Tag zu Tag mehr, und ein veritabler Krieg scheint immer unausweichlicher.

«Wir befinden uns an einem Wendepunkt», sagte Biden, der bekannt dafür ist, dass er in fast jeder seiner Reden einen irischen Dichter zitiert. Dieses Mal war es William Butler Yeats mit den berühmten Zeilen: «Die Dinge fallen auseinander, die Mitte hält nicht.» Damit fasste der amerikanische Präsident eine weitverbreitete Stimmung angesichts der desolaten Weltlage zusammen. Er appellierte an die Kräfte der Kohäsion und der Integration, sie seien stärker als das Trennende. In Bezug auf die Ukraine wies er darauf hin, dass das Land dem militärisch ungleich stärkeren Feind zum Trotz immer noch frei sei. «Putins Krieg ist gescheitert», rief er, und der Saal mit Vertretern aus über hundert Ländern applaudierte.

Biden fordert eine Zweistaatenlösung

Beim Thema Nahost bemühte sich der amerikanische Präsident offensichtlich um Ausgewogenheit. Er erwähnte das Massaker, das die Hamas am 7. Oktober unter den Besuchern eines Musikfestivals in Israel angerichtet hatte, und forderte die Freilassung der Geiseln. Ebenso eindringlich sprach er jedoch die Tausende von zivilen Opfern im Gazastreifen an. «Beendet den Krieg!», rief er und forderte endlich eine Zweistaatenlösung in der Region. Damit löste er den zweiten grossen Applaus aus.

Danach kam Biden auf Konflikte abseits des Rampenlichts zu sprechen: auf die Millionen, die im Sudan vom Hunger bedroht sind, auf die Krisen in Haiti und Venezuela wie auch auf die schwierige Situation von Homosexuellen in Uganda. Diese Beispiele aus Randregionen benutzte er, um eine «inklusivere» Uno zu fordern, mit einer Erweiterung des Sicherheitsrats.

In Bezug auf China werfen die Republikaner Biden oft vor, zu wenig hart aufzutreten. Biden benannte in seiner Rede Brennpunkte wie Taiwan klar, bemühte sich jedoch auch hier, auf Zusammenarbeit und Dialog zu setzen.

Dinge, die wichtiger sind, als an der Macht zu bleiben

Nach einem längeren Exkurs zu den globalen Chancen und Risiken der künstlichen Intelligenz schlug Biden schliesslich den Bogen zurück zu seiner persönlichen Geschichte. Diesen Sommer, sagte er, habe er eine der schwierigsten Entscheidungen seines Lebens getroffen, indem er als demokratischer Präsidentschaftskandidat zurückgetreten sei und Kamala Harris Platz gemacht habe. Er habe eingesehen, dass es Zeit sei, die Fackel an die jüngere Generation weiterzugeben. Die Präsidentschaft sei die Ehre seines Lebens gewesen, und er habe noch viel vorgehabt. «Aber manchmal gibt es Dinge, die wichtiger sind, als an der Macht zu bleiben», sagte Biden. Als Staatschef müsse man dem Volk dienen, und nicht umgekehrt.

Obwohl man davon ausgehen kann, dass er sich erst nach beträchtlichem Druck aus der Partei zu diesem Rückzug entschied, lautet die offizielle Lesart der Demokraten, die er selbst hier ebenfalls vertrat, dass er seine persönlichen Ambitionen zum Wohle der Allgemeinheit opferte. Dabei schwang auch etwas von einer moralischen Aufforderung an andere altgediente Staatschefs und Diktatoren im Saal mit, es ihm gleichzutun und beizeiten loszulassen.

Für Biden, der nur noch bis Januar im Amt sein wird, stehen in den nächsten Tagen noch einige wichtige Treffen an. Er hat immer betont, wie wichtig in der Weltpolitik persönliche Beziehungen und Erfahrung seien. Er wird in diesen Gesprächen zweifellos noch einmal sein ganzes Gewicht in die Waagschale werfen. Schliesslich geht es um seine politische Hinterlassenschaft und die Frage, wie man ihn dereinst in den Geschichtsbüchern verewigen wird. Pessimismus kann er sich nicht leisten. «Es scheint unmöglich, bis es getan ist», sagte er zum Ende seiner Rede.

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