Dienstag, November 26

Der einstige Branchenleader in der Halbleiterindustrie ist zurück in den Krisenmodus gerutscht. Die Aktien sind auf den tiefsten Stand seit mehr als zehn Jahren gefallen. Bietet sich damit eine Gelegenheit für Schnäppchenkäufe oder ist es ratsamer, abzuwarten?

Für den Moment haben sich die Turbulenzen gelegt, doch die Verwüstung bleibt: In einer generell durchwachsenen Berichtssaison im Tech-Sektor hat Intel Investoren mit dem Abschluss zum zweiten Quartal geschockt. Dass sich der Kurs gestern Donnerstag knapp 8% aufgerappelt hat, ändert an dieser misslichen Situation wenig.

Obwohl die Erwartungen im Vorfeld gedämpft waren, hat der kriselnde Halbleiterkonzern vergangene Woche mit dem Leistungsausweis bitter enttäuscht – nicht nur mit den Zahlen per se, sondern vor allem auch emotional. Die Aktien brachen am Tag nach der Ergebnispublikation 26% ein, der grösste Verlust in einer Börsensitzung seit 1979. Der Kurs ist auf das tiefste Niveau seit mehr als zehn Jahren gefallen.

Was für eine Fehleinschätzung. The Market hatte Intel verschiedentlich als spannender Kandidat für einen Turnaround präsentiert. Ermutigt durch die erfreuliche Kursentwicklung im Verlauf des Jahres 2023 zuletzt in dieser Analyse von Ende Februar als günstige Wette auf künstliche Intelligenz. Auch wenn die Risiken eines Investments stets deklariert worden sind, ist der brutale Kursrückschlag sehr frustrierend.

Was nun?

Wer die Titel im Portfolio hat, dürfte uns unbequeme Fragen stellen: Wie konnte es zu diesem Desaster kommen? Hat Intel operativ überhaupt noch eine Chance, aus der wohl schwersten Krise seit Jahrzehnten herauszukommen? Und letztlich: Wie gross sind die Überlebenschancen des Konzerns in der hart umkämpften und extrem schnelllebigen Halbleiterindustrie?

Die Arroganz rächt sich

Auf der Suche nach Antworten erscheint es am besten, der Reihe nach zu gehen. Dass sich Intel nach einer Reihe strategischer Missgriffe in einer schwierigen Lage befindet, ist seit Jahren offensichtlich. Der gravierendste Fehler war Arroganz. Das Unternehmen zögerte bei der Chipproduktion den Übergang zur neusten Lithografietechnologie des niederländischen Equipmentherstellers ASML aus Kostengründen hinaus (hier mehr dazu).

Als Konsequenz davon passierte das Undenkbare. Der einst unangefochtene Branchenleader geriet ab dem Sommer 2018 bei der Fabrikation der hochleistungsfähigsten Rechenprozessoren gegenüber dem taiwanischen Auftragsproduzenten TSMC in Rücklage. Wenig später wurde er auch vom südkoreanischen Rivalen Samsung Electronics überholt. In die Defensive gedrängt, hat das Unternehmen seither im Kerngeschäft mit PC- und Server-Chips stetig Marktanteile verloren.

Diese fundamentale Problematik hat sich vor wenigen Tagen erneut in den Quartalszahlen gezeigt. «Es war ein hartes erstes Halbjahr», sagte CEO Patrick Gelsinger, der seit Februar 2021 für das operative Geschäft verantwortlich ist. «Die Profitabilität im zweiten Quartal war enttäuschend», musste er eingestehen.

Intel ist der weltgrösste Hersteller von CPU-Chips (Central Processing Unit), die quasi das Gehirn eines Computers sind. Bei solchen Chips für Desktop- und Notebook-Geräte, dem umsatzstärksten Segment, hat sich der Absatz im Vergleich zu den ersten drei Monaten mehr als 2% ermässigt. Der kleinere Wettbewerber AMD hat demgegenüber einen Zuwachs von gut 9% rapportiert. Analysten gehen davon aus, dass Intel im Verlauf des Jahres weiter Marktanteile verlieren wird.

Noch problematischer ist der Trend im früher ausgesprochen lukrativen Geschäft mit CPU-Chips für Grossrechner. Gemessen am Absatz ist der Marktanteil von Intel seit Anfang 2019 von 97 auf 76% geschrumpft. Nimmt man den Umsatz als Kenngrösse, hat sich der Anteil sogar auf 67% reduziert, weil Intel im Wettbewerb mit AMD den Preis drücken muss.

Die grösste Herausforderung im Server-Markt hat jedoch mit einer anderen Entwicklung zu tun. Zum Trainieren grosser Sprachmodellen wie ChatGPT braucht es Unmengen an GPU-Chips (Graphics Processing Unit), auf die Nvidia spezialisiert ist. Inzwischen hat auch AMD GPU-Chips für Server auf dem Markt und dürfte damit dieses Jahr rund 4,5 Mrd. $ erwirtschaftet.

Intel hat diese Entwicklung komplett verschlafen. Zugleich herrscht im Markt für reguläre Server-Chips Flaute, weil Unternehmenskunden angesichts der unsicheren Konjunkturlage sparen und grosse Cloudinfrastrukturbetreiber wie Microsoft, Google, Amazon und Meta Platforms wegen des Booms im Bereich künstliche Intelligenz ihre Investitionen hin zu GPU-Chips verlagern.

Ein ehrgeiziger Plan

Diese Probleme sind hinlänglich bekannt. Sie haben sich im deutlichen Bewertungsabschlag der Aktien von Intel reflektiert, was die Wette auf eine Trendwende eröffnete. Um Intel zurück an die Spitze zu bringen, hat das Management um CEO Gelsinger im Sommer 2021 einen ambitionierten Plan mit drei Schritten vorgestellt:

  1. Intel muss die technologische Führerschaft in der Halbleiterproduktion zurückgewinnen.
  2. Unter dieser Voraussetzung ergeben sich im Wettbewerb mit Nvidia und AMD wieder bessere Chancen.
  3. Die Chipfabrikation (Foundry) wird in eine separate Sparte ausgegliedert und für andere Unternehmen zugänglich gemacht, wobei Intel im Umfeld von Reshoring und geopolitischen Spannungen von staatlichen Subventionen profitieren kann.

Der Start verlief schwierig, doch dann wuchs die Zuversicht. Nach dem Einbruch des PC-Markts im Nachgang des Pandemiebooms schien der Boden im Herbst 2022 erreicht. Intel profitierte von einer zyklischen Erholung und machte bei der Produktionstechnologie plangemäss Fortschritte.

Mit dem CHIPS Act zur Förderung der amerikanischen Halbleiterindustrie und vergleichbaren Bestrebungen in Europa, zeichneten sich erste Subventionen ab. Der Kurs avancierte 2023 90%, diverse Analysten stuften das Rating für die Aktien hoch.

Rückfall in den Krisenmodus

Doch seither folgte eine Enttäuschung nach der anderen. Im April hat Intel erstmals separate Zahlen zum Foundry-Geschäft ausgewiesen, das noch weniger rentabel arbeitet als befürchtet. Inzwischen ist klar, dass die Sparte bis 2030 unprofitabel sein wird. Wenige Wochen später senkte das Management beim Quartalsabschluss den Ausblick für das erste Halbjahr, das Wachstum hätte sich im zweiten Semester dann aber wieder beschleunigen sollen.

Einen umso grösseren Dämpfer haben Hoffnungen auf ein rasches Comeback vergangene Woche mit dem Abschluss zum zweiten Quartal erlitten. Sequenziell verbesserte sich der Umsatz verglichen mit den ersten drei Monaten 10,5% auf knapp 13 Mrd. $, was zwar ungefähr im Rahmen der Erwartungen lag.

Die Zahlen zur Profitabilität lösten jedoch Irritationen aus. Die Bruttomarge blieb mit lediglich 35,4% fast 5 Prozentpunkte hinter den Analystenschätzungen zurück. Folglich resultierte bloss ein adjustierter Gewinn von 2 Cent pro Aktie, wogegen der Konsens mit 10 Cent gerechnet hatte.

Für den Patzer macht Intel primär eine Produktionsverlagerung verantwortlich. Um mit der Konkurrenz einigermassen mithalten zu können, musste Intel die Fabrikation der neusten PC-Chips ausserplanmässig vom Werk im US-Bundesstaat Oregon an den Standort in Irland verlegt. Dort können grössere Volumen hergestellt werden, doch das Hochfahren der Produktion bringt zusätzliche Kosten mit sich.

Die grösste Enttäuschung ist der Ausblick. «Schwächere Ausgaben in den Endmärkten, besonders in China, und die anhaltende Konzentration der Investitionen in KI-Server im Bereich Cloud haben unsere Erwartungen zum Gesamtmarkt für 2024 reduziert», sagte Finanzchef David Zinsner. «Diese Marktdynamik dürfte im dritten Quartal zu einem saisonal unterdurchschnittlichen Umsatzwachstum führen, wobei das PC-Geschäft stagnierend oder rückläufig verlaufen und das Servergeschäft ein leichtes Wachstum aufweisen wird.»

Die in Aussicht gestellte Belebung im zweiten Semester wird demnach wesentlich schwächer verlaufen. Für das dritte Quartal rechnet Intel nur noch mit einem sequenziellen Umsatzwachstum von etwas mehr als 1% auf 13 Mrd. $ – deutlich weniger als die 14,4 Mrd. $, die der Konsens erwartet hatte. Die adjustierte Bruttomarge bleibt mit 38% weiterhin dünn und ebenfalls deutlich geringer als die von Analysten geschätzten 45,5%.

Produktionstechnologie als strategisches Asset

Im Kontext dieser bedenklichen Entwicklung stellen sich Grundsatzfragen. Intel wird mit anderen grossen Technologiekonzernen wie Kodak, Nokia oder BlackBerry verglichen, die einst ihren Markt dominierten und heute im Fall von Nokia nur noch in einer Nische tätig sind oder in der Bedeutungslosigkeit verschwanden, weil sie mit strukturellen Veränderungen nicht mithalten konnten.

Doch bei Intel besteht ein entscheidender Unterschied: Der Konzern ist für die westliche Welt aus strategischen Überlegungen von existenzieller Bedeutung. Technologisch kann bei der Halbleiterproduktion sonst kein anderes Unternehmen aus den USA und Europa mit den asiatischen Branchenleadern TSMC und Samsung noch einigermassen mithalten.

Die Börsen sind sich dieses Umstands bewusst. «Jegliche geopolitischen Spannungen in China/Taiwan oder steigende Zölle auf die Beschaffung von Komponenten in Übersee wirken sich angesichts des weitgehend auf die USA konzentrierten Produktionsprofils von Intel positiv auf die Aktie aus», meint Vivek Arya, Halbleiteranalyst bei Bank of America.

In dieser Hinsicht ist Intel auf Kurs. Das Management hat dies am Dienstag anlässlich einer Produktpräsentation erneut betont. Der 18A-Fertigungsprozess, der auf den modernsten Lithografiesystemen von ASML basiert und mit dem Intel den Spitzenplatz zurückerobern will, soll nächstes Jahr Produktionsreife erlangen.

Um die Anteile im PC- und Server-Markt bis dahin verteidigen zu können, muss das Unternehmen für die nächste Produktgeneration zur Überbrückung temporär zwar vermehrt die Foundry-Dienste von TSMC in Anspruch nehmen. Das wird teuer und belastet die Marge. Der 18A-Prozess wird dann aber wichtige Neuerungen zur Optimierung der Effizienz und des Energieverbrauchs von Chips ermöglichen, womit sich die Chancen im Wettbewerb mit AMD und Nvidia wesentlich verbessern sollten.

Intel hat im Geschäft mit CPU-Chips zudem noch immer eine solide Ausgangsposition. Das gilt speziell auch, was die Softwareumgebung, das globale Distributionsnetz und die enge Kundenbeziehung zu Herstellern wie Dell Technologies, HP oder HP Enterprise betrifft. «Der Markt für Intels CPU-Kerngeschäft verschwindet nicht.», meint Branchenkenner Jonathan Goldberg. «Er schrumpft, und Intel verliert Anteile, aber die Welt wird weiterhin noch viele CPU-Chips benötigen, bis fern in unsere glänzende KI-Zukunft hinein», bemerkt er leicht ironisch.

Das Rennen gegen die Zeit

Der Turnaround von Intel hängt damit letztlich davon ab, ob dem Unternehmen genug Zeit zur Umsetzung der Strategie bleibt. Der wichtigste Faktor ist diesbezüglich die Bilanz.

Im Vergleich zu Ende Dezember sind Intels Nettoschulden von 29,7 Mrd. auf 22,5 Mrd. $ gesunken. Für die vergangenen zwölf Monate beträgt das Verhältnis von Nettoschulden zu Ebitda 2, was einigermassen tragbar erscheint. Mit dem enttäuschenden Quartalsbericht hat sich die Situation allerdings verschlechtert. Analysten rechnen nun damit, dass für 2024 ein negativer freier Cashflow von 19,3 Mrd. resultiert, nach 14,3 Mrd. im letzten Jahr. Mit einem positiven Wert wird nicht vor 2027 gerechnet.

Aufgrund des schwächer als erwarteten Geschäftsgangs musste das Management eine Reihe von Sparmassnahmen treffen. Bis Ende 2025 werden 15% der Belegschaft abgebaut, was die Betriebskosten um 2,5 Mrd. $ reduzieren soll. Zudem werden die Kapitalausgaben um mehr als 10 Mrd. gesenkt und die Dividende vollständig gestrichen, nachdem sie bereits im Februar 2022 um 65% auf 50 Cent pro Aktie gekürzt worden war.

Um zu TSMC und zu Samsung aufzuholen und anderen Unternehmen Foundry-Dienste anzubieten, investiert Intel in den USA und in Europa in einen beträchtlichen Ausbau der Kapazitäten. Dabei kann das Unternehmen auf die Unterstützung von Regierungen zählen. Dieses Jahr dürften es 1,5 Mrd. bis 3,5 Mrd. $ an Subventionen sein, nächstes Jahr rund 4 Mrd. bis 6 Mrd.

Eine wichtige Rolle für den Kapazitätsausbau spielen ausserdem Kooperationen. Am US-Standort Arizona beteiligt sich die Private-Equity-Firma Brookfield an Intels neuen Halbleiterfabriken, in Irland hilft Apollo Global Management bei der Finanzierung mit. Die Beiträge der beiden Partner werden für dieses Jahr auf rund 12,5 Mrd. $ budgetiert, 2025 sollen es 4 Mrd. bis 5 Mrd. sein.

Unter dem Strich werden sich die Netto-Kapitalausgaben für 2024 dadurch auf 11 Mrd. bis 13 Mrd. $ reduzieren. Für nächstes Jahr geht das Management von 12 Mrd. bis 14 Mrd.

«Unter anderen Umständen würden wir jetzt wohl Gespräche über die weitere Existenz des Unternehmens führen», bemerkt dazu Stacy Rasgon, Halbeiteranalyst bei Bernstein Research. Seinen Schätzungen nach dürfte aus den staatlichen Subventionen und den Beiträgen von Finanzierungspartnern zuzüglich Sparmassnahmen und der Sistierung der Dividende bis Ende 2025 ein positiver Effekt von ungefähr 40 Mrd. $ für Intels Cashbestand resultieren. «Dies legt nahe, dass Intel – in irgendeiner Form – überleben wird, um den Kampf fortzusetzen», denkt Rasgon.

Abwarten oder Kaufen?

Was heisst das nun alles für den Investment Case? Der Kurs von Intel hatte bei den letzten schweren Turbulenzen im Herbst 2023 einen Boden über dem Buchwert gebildet. Möglicherweise könnten sich die Aktien auch in den kommenden Wochen und Monaten an dieser Kenngrösse orientieren.

Halt gefunden haben die Titel dieses Mal allerdings erst auf dem Niveau des materiellen Buchwerts, der Goodwill, Patente, Markenrechte und andere immaterielle Vermögenswerte ausklammert.

Darüber hinaus haben sich zwei bedeutende Aspekte zur These des erfolgreichen Turnarounds geändert. Erstens hat das Management einen wesentlichen Teil des Vertrauens verspielt. Die Versprechungen einer zunehmenden Wachstumsdynamik im Verlauf des Jahres haben sich nicht erfüllt, und die Kosten werden deutlich höher ausfallen als prognostiziert. Auch fragt sich, warum die Sparmassnahmen nicht bereits früher ergriffen worden sind.

Der Fokus liegt also auf CEO Patrick Gelsinger. Es war von Anfang an klar, dass es alles andere als einfach werden würde und dass es Zeit brauchen würde, einen Tanker wie Intel auf Kurs zu bringen. In Fachkreisen ist man sich weitgehend einig, dass Intel unter dem aktuellen Management auf dem richtigen Weg ist. Nach dem heftigen Kurssturz besteht jedoch die Gefahr, dass der Verwaltungsrat die Nerven verliert, Gelsinger und sein Team abgesetzt werden und die Strategie überstürzt geändert wird.

Der zweite Aspekt betrifft das Umfeld. Bis ersichtlich ist, ob der Plan für das Comeback aufgeht, wird es voraussichtlich bis ins Jahr 2026 hinein dauern. In dieser Zeit kann und wird viel passieren. Intel ist angezählt, die Konjunkturaussichten trüben sich ein. Sollte es zu einem schwerwiegenden Konjunkturabschwung kommen, dürfte es noch wesentlich ungemütlicher werden.

Obschon die Chance auf eine Trendwende bestehen bleibt, hat das ohnehin beträchtliche Risiko somit zugenommen. Sollte sich die Krise weiter akzentuieren, ist nicht auszuschliessen, dass es Intel in der heutigen Form nicht mehr geben wird. Eine staatliche Rettungsaktion oder eine Übernahme durch ein Privat-Equity-Konsortium würden für Investoren mit grosser Wahrscheinlichkeit permanente Verluste bedeuten.

Angesichts dieser Veränderungen in der Ausgangslage scheint es ratsam, vorerst etwas abzuwarten. Kommt es zu einer Gegenbewegung, wird man es zwar möglicherweise bereuen, den Kursrückschlag nicht für Zukäufe genutzt zu haben. Doch wenn sich die Perspektiven für Intel tatsächlich nachhaltig aufhellen werden, steckt in den Aktien so viel Kurspotenzial, dass sich weitere Engagements auch zu einem späteren Zeitpunkt und mit etwas weniger Risiko lohnen werden.

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