Freitag, April 25

Die Aktien des Intralogistikers galten lange Zeit als «Everybody’s Darling». Doch zuletzt schwand das Vertrauen der Investoren. Ein genauerer Blick zeigt: Der Weg zurück zum Wachstum könnte länger dauern als erhofft.

Es ist ein Chart des Grauens für Interroll-Aktionäre: Die durchschnittlichen Gewinnschätzungen der Analysten für das Geschäftsjahr 2025 sind seit über zweieinhalb Jahren im Sinkflug. Wurde im Frühjahr 2022 noch ein Gewinn pro Aktie von 152 Fr. erwartet, sind davon heute nur noch knapp 90 Fr. übrig geblieben – ein Einbruch von 40%.

Ähnlich, wenn auch etwas volatiler hat sich der Aktienkurs seitdem entwickelt. Die Valoren des Spezialisten für Intralogistik haben in derselben Periode unterm Strich gut ein Drittel an Wert verloren; seit dem Hoch im November 2021 beträgt das Minus sogar 54%. Immerhin erweist sich die Marke von 2000 Fr. als Unterstützung – bisher zumindest.

Die Interroll-Titel geniessen an der Börse den Ruf als «Everybody’s Darling» – eine Schweizer Industrieperle, die sich immer wieder neu erfindet und mit innovativen Anpassungen den Wandel in der Intralogistik meistert. Doch seit einiger Zeit ist bei den Tessinern der Wurm drin. Seit vier Halbjahren sinkt der Umsatz – zuvor kannte die Ertragsentwicklung nur eine Richtung: steil nach oben

Immerhin: Trotz der zuletzt heftigen Umsatzeinbussen ist es Interroll gelungen, die Profitabilität zu verteidigen – ein wesentlicher Grund, warum die Valoren als Qualitätswert geschätzt werden. «Interroll war schon immer gut darin, die Kosten in Krisenzeiten flexibel anzupassen», sagt Vontobel-Analyst Alexander Koller, der die Aktien mit «Hold» einstuft. «Auch wenn der Umsatz zuletzt enttäuschte, hat das Unternehmen bei der Profitabilität stets positiv überrascht.» Tatsächlich lässt sich die Krise der letzten beiden Jahre in der Entwicklung der Ebitda-Marge nicht ablesen – sie fällt saisonbedingt im zweiten Halbjahr stets höher aus.

Sonderkonjunktur noch immer nicht ganz verdaut

Woran hakt es bei Interroll?

Die kurze Antwort: Die Sonderkonjunktur, die Interroll während der Covid-Krise vor allem im E-Commerce-Geschäft Auftrieb verliehen hat, ist noch immer nicht verdaut. Das Tessiner Unternehmen agiert in diesem Bereich in erster Linie als Zulieferer von Komponenten für Lager- und Materialflusssysteme, vor allem für Grosskunden wie Nestlé, DHL, Amazon und Zalando, die ihre Lagersysteme und Verteilzentren 2021 massiv ausgebaut haben.

Die Grossprojekte sind es denn auch, auf deren Erholung Investoren sehnlichst warten. Besonders betroffen ist die Sparte Conveyors & Sorters, die Sortieranlagen für Lager und den Grossteil der Grossprojekte umfasst: Sie verzeichnete im ersten Halbjahr 2024 einen Rückgang von rund 13%. ¨Die anderen drei Segmente – Rollen, Fördermodule und Antriebe – mussten hingegen nur minimale Einbussen hinnehmen oder konnten, wie im Fall der Antriebe, sogar zulegen.

Das Problem: Durch den Covid-Boom ist Interrolls Abhängigkeit vom E-Commerce-Geschäft und von den damit verbundenen Grossprojekten deutlich gestiegen; gemäss Koller beträgt der Anteil inzwischen rund 30%. Diese Exponiertheit erklärt die vergleichsweise lange Durststrecke bei der Umsatzentwicklung. Läuft es im E-Commerce, wie in den vergangenen vier Semestern, nicht rund, wirkt sich das spürbar negativ auf den Gruppenumsatz aus.

Und: Eine Erholung zeichnet sich weiterhin nicht ab. Gemäss einer UBS-Analyse von Ende November zeigen sich die Konsumenten in Europa zwar wieder ausgabefreudiger im Onlinehandel und holen damit zu den kontinuierlich wachsenden E-Commerce-Ausgaben in den USA auf. Die Analysten sehen darin aber noch keine positiven Vorzeichen für Interroll. «Andere Branchenindikatoren wie die Bautätigkeit oder die Arbeitszeit der Lagerarbeiter deuten unserer Ansicht nach auf ein weniger positives aktuelles Nachfrageumfeld für Interroll hin», schreibt UBS.

Um die künftige Auftragsentwicklung abzuschätzen, verfolgen Analysten eine Reihe kurzfristiger, branchenspezifischer und makroökonomischer Indikatoren, die gemäss UBS in der Vergangenheit mit dem Auftragseingang von Interroll korrelierten. Und die Signale sind nicht gut. Demnach deutet eine Summe von sechzehn Indikatoren darauf hin, dass sich der Auftragseingang von Interroll sowohl im laufenden zweiten Halbjahr 2024 als auch im ersten Halbjahr 2025 nicht wesentlich beschleunigen wird. Die Analysten von UBS sprechen für die Aktien daher eine Verkaufsempfehlung aus.

Da die Aussicht auf eine Erholung der Auftragslage fehlt, sah sich jüngst auch die Helvetische Bank (HB) veranlasst, ihre Empfehlung für Interroll zurückzuziehen. Noch im Frühjahr hatte man die Titel in das HB-Swiss Equity Investment Portfolio, die hauseigene Favoritenliste, aufgenommen – Ende November wurden sie abgestossen.

Ernüchtert stellen die Analysten in einer jüngeren Einschätzung fest, dass sich «das für die zweite Jahreshälfte erwartete Anziehen der Projektaufträge bisher nicht eingestellt hat». Nach wie vor verschöben Kunden grössere Projekte, was auf eine anhaltende «Zurückhaltung bezüglich der Investitionsbereitschaft» hinweise.

Noch schlimmer: Die Helvetische Bank befürchtet, dass selbst die bereits stark reduzierten Gewinnschätzungen für 2025 weiter sinken könnten. Bei Interroll dauert es bei Projektaufträgen zwischen sechs und fünfzehn Monate, bis der Ertrag verbucht werden kann. «Wenn die Projektaufträge bis dato nicht angezogen haben, kann man auch für das kommende Jahr 2025 noch keine wesentliche Steigerung des Gewinns erwarten», urteilen die HB-Analysten.

Zur Erinnerung: Für 2025 geht der derzeitige Konsens noch von einem Gewinn je Aktie von 90 Fr. aus. Das ist zwar weniger als vor zwei Jahren (siehe Chart am Anfang des Artikels), impliziert aber dennoch eine Gewinnsteigerung von rund 18% gegenüber 2024 – für das laufende Jahr erwartet der Konsens einen Gewinn je Titel von 76 Fr.

Den Pessimismus teilt auch UBS. Sie prognostiziert für 2025 einen Gewinn je Aktie von lediglich 74 Fr., was sogar unter den Schätzungen für das laufende Jahr liegt. Vontobel-Analyst Koller hält die derzeitigen Gewinnschätzungen für angemessen. Das überrascht nicht, liegt seine eigene Prognose für den Gewinn je Titel 2025 mit knapp 99 Fr. doch sogar über dem Konsens.

«Neben ihrem starken Leistungsausweis bei der Verteidigung der Profitabilität in Krisenzeiten profitiert Interroll in diesem Jahr von gesunkenen Inputpreisen», sagt Koller. Vor allem bei Stahl und Polymeren habe sich die Lage entspannt. Dennoch sieht auch er kaum Gründe für eine Nachfragebelebung, weshalb er vorerst von einer Kaufempfehlung absieht.

Pessimismus ist gross – aber nicht gross genug

Der Pessimismus, der Interroll derzeit entgegenschlägt, ist gross – doch er könnte noch grösser sein. Ein Blick auf die historische Bewertung zeigt, dass die Valoren trotz der jüngsten Kursverluste alles andere als ein Schnäppchen sind. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) auf Basis des geschätzten Gewinns der nächsten zwölf Monate beträgt 28.

Das liegt zwar leicht unter dem Zehnjahresdurchschnitt von 30. Allerdings wurde die durchschnittliche Bewertung durch die Covid-Boom-Phase verzerrt, als das KGV vorübergehend auf 50 stieg.

Die Aktien bleiben daher selbst auf dem derzeitigen Kursniveau anfällig für Enttäuschungen. Zwar ist Interroll ein klarer Profiteur struktureller Trends wie der steigenden Lohninflation und des zunehmenden Arbeitskräftemangels. Auch der wachsende Bedarf an Lagermodernisierung und -automatisierung dürfte das Geschäft der Tessiner langfristig stützen.

Doch sollte sich die Erholung im wichtigen Projektgeschäft weiter verzögern, fällt es schwer, kurzfristige Kursimpulse für die Titel auszumachen. Daran ändert auch wenig, dass das «Brot-und-Butter-Geschäft» mit den Antrieben wieder anzieht, wie Interroll gegenüber Analysten und Investoren betont.

Konservative Anleger sollten in jedem Fall die vorläufigen Jahreszahlen 2024 abwarten, die das Unternehmen am 29. Januar veröffentlichen wird. Bleiben positive Signale aus dem Projektgeschäft nach wie vor aus, dürfte sich auch die Erholung der Aktien weiter verzögern.

Kardex bleiben die bessere Wahl

Vor diesem Hintergrund bleiben die Papiere von Kardex, dem zweiten Schweizer Intralogistiker, die bessere Wahl – obwohl sie bereits stark zugelegt haben. The Market hatte im Frühjahr empfohlen, Kardex gegenüber Interroll den Vorzug zu geben, und diese Einschätzung im August bekräftigt. Seither hat sich die Präferenz für die Zürcher als richtig erwiesen.

Kardex überflügelt Interroll

Auch Koller von Vontobel sieht Kardex trotz der bereits starken Performance der Titel weiterhin im Vorteil gegenüber Interroll. Vor allem in der Partnerschaft mit Autostore erkennt er noch viel Potenzial. «Kardex bietet derzeit deutlich bessere Wachstumsperspektiven.»

Die Zürcher haben eine diversifiziertere Kundenbasis, was gerade in konjunkturell unsicheren Zeiten von Vorteil ist. Mit ihrem Fokus auf kleinere Projekte, die auch in schwachen Marktphasen gefragt bleiben, gelingt es Kardex, selbst im schwierigen Marktumfeld neue Aufträge zu gewinnen – im Gegensatz zu anderen Intralogistikern wie Interroll oder der deutschen Kion.

Kardex profitiert zusätzlich von ihrem grösseren Servicegeschäft, das 30% des Umsatzes ausmacht, verglichen mit 10% bei Interroll. Zudem dürfte der weiterhin hohe Auftragsbestand das Geschäft kurzfristig vor grösseren Rückschlägen schützen. Das macht die Papiere von Kardex zu einer defensiveren Wette auf die Intralogistik.

Auch die Stunde der Interroll-Aktien wird wieder schlagen – dann nämlich, wenn eine steigende Investitionsbereitschaft im E-Commerce-Sektor erkennbar wird. Wann das der Fall sein wird, bleibt jedoch ungewiss.

Exit mobile version