Montag, November 25

Diese Geschichte handelt von Akazien, Elefanten, fremden Ameisen und Löwen in Kenya. Sie ist ein Beispiel dafür, wie eine eingewanderte Tierart einen regelrechten Dominoeffekt auslösen kann.

Eine kleine, nicht einmal einen Zentimeter lange Ameise mit dickem Kopf hat in einem Landschaftsschutzgebiet in Kenya die grossen, starken Löwen dazu gezwungen, den Menuplan umzustellen. Allerdings gehört die Sympathie der Biologen und Umweltschützer trotzdem nicht dem David in dieser Geschichte. Denn die besagte Ameise namens Pheidole megacephala ist eine invasive Art. Und weltweit gefürchtet.

Die Dickkopf-Ameise ist aggressiv und gefrässig, sie vernichtet, was ihr im Weg steht: Larven, Käfer und alle möglichen anderen Krabbeltiere, ja sogar Schildkröteneier. Sie breitet sich seit Jahrzehnten als blinder Passagier im Schlepptau der Menschen sowie in Waren über den Globus aus. Niemand weiss genau, woher sie ursprünglich stammt, vielleicht Mauritius, vielleicht Indien oder doch Nordafrika?

Vor mehr als zwanzig Jahren kam sie jedenfalls im Ol-Pejeta-Schutzgebiet im kenyanischen Distrikt Laikipia an. Dort frisst sie unter anderem eine einheimische Ameisenart, sowohl erwachsene Individuen als auch die Larven und Eier.

Das hat eine Kettenreaktion in Gang gesetzt, die tatsächlich mit den berühmten fallenden Dominosteinen vergleichbar ist. Jetzt hat ein internationales Zoologenteam in der Fachzeitschrift «Science» die Details dieses kenyanischen Dominospiels beschrieben. Es hat dazu mehrjährige, aufwendige Feldstudien sowie komplexe Modellrechnungen durchgeführt.

Die heimischen Ameisen haben eine wichtige Funktion: Sie sind Akazienschützer. Sie leben in den Bäumen, ernähren sich von deren Nektar und finden dabei Unterschlupf. Um ihr Zuhause zu behalten, verteidigen sie die Akazien gegen Fressfeinde wie Elefanten, Giraffen und andere Grasfresser. Das mag auf den ersten Blick absurd klingen – wie können Ameisen einen Elefanten verjagen?

Doch das ist kein Märchen. Wenn nämlich ein Elefant die Akazienblätter abreisst oder anfängt, die Rinde abzuschälen, entstehen Vibrationen. Diese breiten sich über den Baum aus. Sie sind das Alarmsignal für die Ameisen: Achtung, die Vernichtung des Zuhauses droht. Die kleinen Krabbeltiere eilen dann unverzüglich an den Ort des Geschehens. Und wenn Tausende erboster Ameisen beissen, dann nimmt auch der grösste Elefant Reissaus. Die Ameisen sind übrigens in der Lage, Vibrationen durch Fressattacken von den Bewegungen des Windes im Blätterdach zu unterscheiden.

Ameisen schützen Akazien – diese bieten Verstecke für Löwen

Somit erhalten die einheimischen Ameisen die Akazien. Die Profiteure sind die Löwen. Denn der lose Baumbestand bietet ihnen die idealen Bedingungen für die Jagd: Aus dem Hinterhalt heraus können sie auf das Opfer stürmen.

Ihre bevorzugte Beute in Laikipia sind Zebras. Im Schatten der Akazien warten die Löwinnen und lauern ihnen auf. Zebras sehen die mit ihrem gelbbraunen Fell gut getarnten Fressfeinde nicht früh genug, wenn sie auf Nahrungssuche durch die Akazienhaine streifen. Die Löwinnen können also immer wieder einmal zuschlagen.

Doch überall dort, wo die invasiven Dickkopf-Ameisen die einheimischen Akazien-Ameisen vernichtet haben, gingen in den letzten Jahren viele Akazien zugrunde. Angenagt und entlaubt vor allem von Elefanten.

Diese Umwandlung der Landschaft geschah schnell. Bereits drei Jahre nach der Ankunft der Dickkopf-Ameisen und der Ausrottung der Akazien-Ameisen sei die Sichtweite in den betroffenen Arealen um das Dreifache gestiegen, schreiben die Forscher. Vor der Invasion konnte ein Zebra im Durchschnitt nur 18 Meter überblicken, nach der Invasion waren es dagegen fast 50 Meter.

Das wiederum hatte zur Folge, dass den Löwinnen zunehmend gute Verstecke fehlten und sie somit nicht mehr so erfolgreich bei der Zebrajagd waren. Der Anteil Zebras auf dem Menuplan der Löwen reduzierte sich um ein Drittel. Anfang des Jahrtausends waren drei von fünf Beutetieren der grossen Räuberinnen Zebras, 2020 hingegen nur noch zwei.

Allerdings hat der Löwenbestand in dem untersuchten Gebiet nicht abgenommen. Es gab auch nicht weniger Löwennachwuchs. Mitleid und Fleischpakete für Raubtiere sind also zumindest vorerst unnötig.

Vielmehr haben die Löwen ihr Jagdverhalten geändert: Sie fressen nun viel mehr Büffel. Vor zwanzig Jahren wurden diese Grasfresser im Ol-Pejeta-Schutzgebiet von den grossen Raubtieren in Ruhe gelassen, mittlerweile ist fast jedes zweite von ihnen gerissene Tier ein Büffel. Die Büffeljagd ist zwar etwas aufwendiger und wegen der Hörner auch gefährlicher für die Löwen. Aber es hilft ja nix, der Hunger, der eigene wie der des Nachwuchses, muss gestillt werden.

Die Büffeljagd ist Löwen übrigens ebenso wie die Zebrajagd in die Wiege gelegt. In anderen Gebieten Ostafrikas jagten Löwen seit langem Büffel – wenn nicht ausreichend Zebras vorhanden seien, erklären die Forscher in der Studie. Dort beteiligten sich dann auch vermehrt männliche Löwen, und die Jagdgruppen seien grösser. Ob sich auch im Ol-Pejeta-Schutzgebiet die Art des Jagens der dortigen Löwenrudel verändert habe, das könne man noch nicht sagen.

Die Invasion der Dickkopf-Ameisen kennt also bis jetzt drei Verlierer – Akazien-Ameisen, Akazien und Büffel – und einen Gewinner: Zebras. Doch wie sich das weiterhin gestalte, sei völlig offen, betonen die Forscher. Es sei gut möglich, dass das Fehlen der erwähnten Tiere und Pflanzen auch noch ganz andere, bisher völlig unbemerkte Dominoeffekte ausgelöst habe. Oder dies künftig tun werde.

Die Tatsache, dass die Invasion einer einzigen fremden Tierart auf zahlreiche einheimische Pflanzen und Tiere einen derart durchschlagenden Effekt habe, zeige, wie wichtig jede Tier- und Pflanzenart in ihrem Lebensraum sei, betont die Zoologin Kaitlyn Gaynor von der Universität in Vancouver. «Solch ein dichtes Netz von gegenseitigen Abhängigkeiten und Hilfestellungen gibt es beileibe nicht nur in dem kenyanischen Schutzgebiet.» Derartige Netzwerke existierten in der Savanne, in Wäldern, im Meer, eben überall, wo mehrere Tier- und Pflanzenarten seit Jahrtausenden zusammenlebten. Die neue Arbeit sei somit ein mahnendes Beispiel dafür, was invasive Arten alles anrichteten.

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