In «Zmittag», der kulinarischen Gesprächsreihe der NZZ, erzählt der deutsche Investor Carsten Maschmeyer über seine Liebe zu Tieren, seine lieblose Kindheit und darüber, warum er Olaf Scholz für einen überforderten Abteilungsleiter hält.

Manche Menschen sind in einem Raum präsent, noch bevor sie ihn betreten. Carsten Maschmeyer ist einer von ihnen. Mit ihm bin ich in der Osteria Katzlmacher verabredet, einem italienischen Restaurant unweit des Münchner Marienplatzes. Als ich mich auf die Bank am Kopfende des Tisches setze, eilt sogleich ein Kellner herbei und teilt mir zwar höflich, aber doch deutlich mit, dass ich die falsche Wahl getroffen hätte. «Hier sitzt immer Herr Maschmeyer», flüstert er.

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«Zmittag»: Die kulinarische Gesprächsreihe der NZZ

Pfeffer, Salz und viele Fragen: «Zmittag» ist der Schweizer Ausdruck für einen Mittagsimbiss – und zugleich der Name unserer Serie. Bei einer gemeinsamen Mahlzeit sprechen Politiker, Wirtschaftslenker, Sportler und Künstler darüber, was sie antreibt, wo sie hinwollen und was ihnen schmeckt.

Serie

Wer ist Carsten Maschmeyer? Ein Mann der Rituale? Einer, der jeden seiner Schritte akribisch plant, die Ordnung liebt und es hasst, die Kontrolle zu verlieren? Noch bevor die laienpsychologische Ferndiagnose abgeschlossen werden kann, taucht er vor dem Tisch auf – und nimmt an anderer Stelle Platz. Er wolle nicht am Kopfende sitzen. «Sonst komme ich mir vor, als wäre ich in einer Aufsichtsratssitzung.» Maschmeyer ist, das zeigt sich schon jetzt, für Überraschungen gut.

Vom Milchschaumdrucker bis zum Raubfischköder

Tatsächlich verbringt Maschmeyer viel Zeit seines Lebens in ebenjenen Aufsichtsratssitzungen. In 150 Unternehmen sind seine Beteiligungsfonds derzeit investiert. Das Portfolio liest sich, als sei es von Daniel Düsentrieb persönlich ersponnen worden. Vom selbstkühlenden Mehrwegbecher über den Milchschaumdrucker bis hin zum Anbieter von Angelködern für Raubfische – für Maschmeyer scheint keine Geschäftsidee zu kurios und keine Marktnische zu klein, um ein paar Euro darauf zu verwetten.

Er wolle die Welt «ein Stück weit gesünder, nachhaltiger, günstiger und demokratischer» machen, sagt er. Und wer weiss, vielleicht braucht es dafür eben auch einen Raubfischköder in den deutschen Nationalfarben Schwarz, Rot, Gold.

Der Kellner steht am Tisch, Zeit für die Bestellung. Die Karte des Restaurants bietet eine Auswahl gehobener italienischer Küche: von Vitello tonnato über Tagliolini mit weissem Trüffel bis zu regionalen Spezialitäten wie Pizzoccheri, den Buchweizen-Nudeln aus dem Veltlin. Maschmeyer wählt Orecchiette, die ohrförmigen Nudeln aus Apulien, serviert mit würziger Salsiccia und Stengelkohl. Ich entscheide mich für den Polipo, grillierten Krakententakel, gebettet auf einem Kichererbsenpüree.

Scharfe Urteile

Während wir auf das Essen warten, dreht sich die Unterhaltung ins Politische. Denn Maschmeyer will die Welt nicht nur mit Investitionen besser machen. Immer wieder gibt er sich auch als volksnaher Unternehmer, der von der Seitenlinie aus die Politik mit Ratschlägen versorgt – oder mit harter Kritik überzieht. Olaf Scholz, sagt er, habe die Regierung «wie ein überforderter Abteilungsleiter» geführt. Der Kanzler sei blass geblieben und habe die drängendsten Probleme ungelöst gelassen. Ideen oder Visionen für das Land? «Hat er nicht.»

Noch schärfer fällt sein Urteil über den Wirtschaftsminister aus. Robert Habeck habe in seinem Ressort «nichts verloren»; ein gutes Kinderbuch zu schreiben, sei eben etwas anderes als ein Ministerium mit enormer Verantwortung zu führen. Vor allem an der Energiepolitik des Vizekanzlers stösst sich Maschmeyer. Es sei Träumerei, gar eine Lüge gewesen, den Wählern zu erzählen, die grüne Wende bringe ein Wirtschaftswunder.

Und dann ist da noch die Verwaltung, die den Menschen das Leben schwermacht. Deutschland, klagt Maschmeyer, sei zum «Land der Bürokraten» geworden. Während in Estland ein Startup an einem Tag gegründet werden könne, dauere es hierzulande Monate. «Unsere Behörden scheinen zu glauben, dass sie nichts falsch machen können, wenn sie einfach gar nichts genehmigen.» Das musste er am eigenen Leib erfahren: Als er sich in seinem eigenen Fonds als Anleger registrieren wollte, sollte er mit Strom- und Wasserrechnungen belegen, dass er tatsächlich an seiner Meldeadresse wohnt. «Absurd!»

Seine Lösung für den Bürokratieabbau entstammt dem Privatleben: Seine Ehefrau, die Schauspielerin Veronica Ferres, verbringt berufsbedingt viel Zeit auf roten Teppichen und an Gala-Events. Das Resultat ist ein Kleiderschrank, in dem sich Kleider bis zur Decke türmen.

Da Ferres sich nur schwer von Kleidungsstücken trennen kann, unterstützt Maschmeyer sie beim Aussortieren: «Ich schaue mit ihr durch den Schrank und gebe Ideen, was wegkann.» Seine Regel lautet: Für jedes neue Kleidungsstück muss ein altes weichen. Diese Strategie aus der heimischen Garderobe empfiehlt Maschmeyer auch der Bundesregierung im Umgang mit der Bürokratie – sonst drohe dem Land ein «Regelungschaos».

Ein Leben in der Öffentlichkeit

Die Vorspeisen werden gereicht. Der Krake ist auf den Punkt gegart: Die Textur ist fest genug für den charakteristischen Biss, aber nicht zäh. Das cremige Kichererbsenpüree und die getrockneten Tomaten bilden dazu einen harmonischen Kontrast, während die grüne Sauce aus Kapern, Petersilie und Olivenöl dem Gericht eine frische Note verleiht. Auch Maschmeyer scheint mit seiner Pasta-Wahl zufrieden, die Nudeln wurden mit Zwiebeln und einem Hauch Kirschtomaten verfeinert. Zum Essen nimmt er sich allerdings Zeit – denn er hat zu viel zu erzählen.

Andere Wirtschaftslenker mögen einen tiefen Graben zwischen sich und der Öffentlichkeit ausheben und ihn mit den wohltemperierten Phrasen ihrer Kommunikationsabteilungen füllen. Maschmeyer hingegen sendet auf allen Kanälen. Und um sicherzustellen, dass seine Botschaften ankommen, zeigt er auch keinerlei Berührungsängste gegenüber Medien, die nicht für ihre analytische Wirtschaftsberichterstattung bekannt sind.

So plauderte er im Gespräch mit der «Bunten» jüngst sein Weihnachtsmenu aus («Klösse, Rotkohl und viel Sauce»), auf Instagram wiederum setzt er die Liebe zu seiner Ehefrau in Szene, für die er sogar eine eigene Rose züchten liess. Die «Veronica Eleganza», wie könnte es anders sein, sei «stark, wunderschön und voller Anmut».

Sicher, man kann die Maschmeyer-Mischung aus grobem Kitsch und greller Selbstinszenierung belächeln. Doch er erfüllt damit eine wichtige Funktion: Er gibt dem Unternehmertum ein Gesicht. Und das ausgerechnet in einem Land, das bisweilen zu vergessen scheint, dass es die Herren Benz, Bosch und Krupp waren, die einst den Grundstein für seinen Wohlstand legten.

Wer hingegen heute Geld verdient, macht sich verdächtig: Die Zahl der Selbständigen sinkt seit Jahren, während immer mehr junge Menschen von einer Karriere im Staatsdienst träumen. Maschmeyer mit seinem positiven Bekenntnis zum Unternehmertum sticht da heraus. Er sei Unternehmer aus Leidenschaft, sagt er. Ein Satz wie aus dem Marketinghandbuch – aber man glaubt es ihm sofort. Maschmeyer ist eben, daran kann kein Zweifel bestehen, ein guter Verkäufer.

«Genosse Maschmeyer»

Maschmeyers Erfolgsrezept ist es, allen ein bisschen zu geben. Er überzieht nicht nur Habeck und Scholz mit harter Kritik – und kann damit auf den Zuspruch konservativer Seelen zählen. Immer wieder nimmt er im Gespräch auch Positionen ein, die linke Herzen wärmen. Nach einem Pasta-Bissen etwa kommen wir auf den Arbeitsmarkt zu sprechen. Er halte sehr viel von «people and culture», wirft er in den Raum.

«Wir reden ständig über Fachkräftemangel», sagt er, «aber keiner macht die Berufe attraktiver, die wir dringend brauchen.» Pflegekräfte? Müllabfuhr? Diese Jobs seien völlig unterbezahlt, sagt der Mann, der mit dem Verkauf seines Finanzimperiums AWD an den Versicherungskonzern Swiss Life einen dreistelligen Millionenbetrag erwirtschaftet hat.

Doch nicht nur in Sachen Lohngerechtigkeit, auch bei der Schuldenbremse denkt er überraschend sozialdemokratisch – ja geradezu keynesianisch: Deutschland müsse «endlich aufhören, Probleme nur zu verwalten», und stattdessen richtig investieren – in Bildung, Infrastruktur und Digitalisierung. «Da stört die pedantische Einhaltung der Schuldenbremse nur.»

Das Restaurant

Das «Katzlmacher», 1983 eröffnet, hat sich mit einer Mischung aus gehobener italienischer und lokaler Küche zu einer der besten Adressen in München entwickelt. Das ist vor allem Giorgio Cherubini zu verdanken: Der gelernte Sommelier und ehemalige Maître d’hôtel im «Königshof» überzeugt mit täglich wechselnder Karte und hochwertigen Produkten. Das Restaurant serviert Spezialitäten wie Tagliolini mit Albatrüffeln oder Saltimbocca in stilvollem Ambiente.

Katzlmacher, Bräuhausstrasse 6, München. Telefon: +49 89 33 33 60. Montags bis freitags von 12 bis 15 und 18.30 bis 1 Uhr, samstags von 18.30 bis 1 Uhr.

Eine Zeitung habe ihn deshalb kürzlich gar als «Genosse Maschmeyer» geadelt – eine Charakterisierung, die ihm sichtlich gefällt. Zumindest was seine gesetzliche Rente angeht, teilt er tatsächlich das Schicksal vieler Normalverdiener: Sie fällt bescheiden aus. «19 Euro im Monat», sagt er. «Das ist alles, was meine Zeit bei der Bundeswehr eingebracht hat. Damit könnte ich mir aber immerhin einmal im Monat ein schönes Nudelgericht leisten – mit ein bisschen Parmesan obendrauf.»

Bis zum Renteneintrittsalter im August 2025 bleiben Maschmeyer glücklicherweise noch ein paar Monate. Zeit genug, um standesgemäss zu speisen. Der heutige Hauptgang jedenfalls bewegt sich in gehobenen Sphären: Vor ihm landet ein in Öl gebratener Petersfisch mit Petersilienpüree und -öl, bei dem die Pflanze von den Blättern bis zur Wurzel verarbeitet wurde.

Meine Perlhuhnbrust wurde zwei Stunden bei niedriger Temperatur sous-vide gegart und anschliessend kurz gebraten – die Haut ist wunderbar knusprig. Begleitet wird das Fleisch von Kürbispüree und grilliertem Radicchio tardivo, der auch als «Blume des Winters» bekannten italienischen Winterzichorie.

912 Erfolgsbücher und eine Sucht

Carsten Maschmeyer ist ein Mann der Details. Wenn er erzählt, hantiert er häufig mit Zahlen, die bis auf die Nachkommastelle genau sind. In seinen Zwanzigern habe er exakt 912 Bücher gelesen – nicht etwa 900 oder 1000, nein, 912 waren es. Allesamt Werke über «Erfolg und Selbstverbesserung».

Dass er sich so verbissen dem Thema Aufstieg widmete, hatte seinen Grund: Maschmeyer, das Ergebnis eines One-Night-Stands seiner Mutter, hat seinen Vater nie kennengelernt. Das Geld war damals knapp, weshalb eine Strategie für den Aufstieg hermusste, «ein Studienfach ‹Erfolg› gab es damals aber nicht».

Also wurde es zunächst Medizin. Doch statt Arztkittel trug Maschmeyer bald Anzug, statt Diagnosen stellte er Finanzpläne aus. Mit dem Finanzvertrieb AWD wurde er reich, sehr reich sogar. Das Geschäftsmodell: ein Heer von nebenberuflichen Verkäufern mit oder ohne Finanzausbildung, die Versicherungen und Anlageprodukte an Familie und Freunde vertrieben. Viele Kunden hätten später viel Geld verloren, werfen ihm Kritiker vor. Über diesen Teil seiner Geschichte spricht er heute allerdings nicht mehr so gern. Es sei doch schon alles dazu gesagt worden, so winkt sein Pressesprecher noch vor dem Treffen ab.

Über andere dunkle Kapitel hingegen spricht Maschmeyer erstaunlich offen. Seine Tablettensucht etwa nennt er «die härteste Zeit meines Lebens». Von Wahnvorstellungen erzählt er, von schlaflosen Nächten und dem Entzug. Bis er am 4. Juli 2010 – natürlich erinnert er sich an das genaue Datum – die letzte Tablette ins Klo warf. «Seitdem», sagt er, «ist der 4. Juli nicht nur der Unabhängigkeitstag der Amerikaner, sondern auch meiner.»

«Château Poulet» statt Chefsessel

Der Abend neigt sich dem Ende zu, die Reihen im Restaurant lichten sich. Das Angebot, noch ein Dessert zu bestellen, schlägt Maschmeyer aus: «Ich wäre froh, wenn Sie mich dazu nicht verführen» – in den Tagen vor Weihnachten bekomme er bei jedem Meeting ohnehin schon Pralinen und Gebäck serviert. Auch ein Espresso kommt für ihn nicht infrage. «Ich trinke erstens keinen Kaffee, sondern Tee», sagt er. Und selbst den nur zu bestimmten Zeiten: «Ich muss so 15, 16 Uhr mit Koffein aufhören», sagt der Mann, der einst mit Schlaftabletten kämpfte.

Heute findet der Ex-AWD-Chef seine Ruhe bei der Familie – und bei Eseln. Auf seinem «kleinen landwirtschaftlichen Betrieb» in Südfrankreich, wie er sein Anwesen bescheiden nennt, stehen 13 von ihnen. «Unsere Esel sind etwas Besonderes, sie geben mir Energie und Ruhe.» Den Tieren serviert er im Sommer gekühlte Apfelstücke. «Apfeleis» nennt er das. Wenn die Esel dann glücklich ihre Leckerei verspeisen, sehe das «fast wie ein Luxus-Spa für Tiere» aus. Auch 25 Hühner hat er dort untergebracht – in einem Gehege namens «Château Poulet».

Seine zweite Berufung hat er als Grossvater gefunden. Auch hier wieder die typische Maschmeyer-Präzision: Für seinen Enkel habe er eine Murmelbahn gebaut – «671 Holzteile, die ich geschmirgelt und zusammengepuzzelt habe». Elf Tage habe er daran gearbeitet. «Es war geradezu meditativ», sagt er.

Der Mann, der einst pausenlos unter Strom stand, scheint langsam zur Ruhe zu kommen. «Rückblickend frage ich mich, warum ich mit 35 Jahren 18-Stunden-Tage hatte und Samstag und Sonntag gearbeitet habe, im Urlaub nachgereist bin, früher abgereist bin oder ihn unterbrochen habe», sagt er nachdenklich. Drei Stunden weniger, gesteht er heute, wären auch möglich gewesen.

Die Wurzeln dieses rastlosen Antriebs reichen tief: Der Stiefvater schlug ihn, sperrte ihn im Kohlekeller ein. Von der Mutter gab es statt Liebe nur funktionale Anerkennung. «Ich habe von ihr nie den Satz gehört: ‹Ich liebe dich›», sagt er. Sie habe immer nur gesagt: «Das hast du gut gemacht.»


«Zmittag»: Die kulinarische Gesprächsreihe der NZZ

Pfeffer, Salz und viele Fragen: «Zmittag» ist der Schweizer Ausdruck für einen Mittagsimbiss – und zugleich der Name unserer Serie. Bei einer gemeinsamen Mahlzeit sprechen Politiker, Wirtschaftslenker, Sportler und Künstler darüber, was sie antreibt, wo sie hinwollen und was ihnen schmeckt.

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