Freitag, November 1

Seit gut einem Jahr ist die Generikasparte von Novartis unter dem Namen Sandoz ein eigenständiges Unternehmen. Die Investoren mussten die Reize der Gesellschaft erst entdecken. Die höhere Bewertung ist verdient.

Der Einstieg in die Unabhängigkeit ist geglückt. Das einstige Generikageschäft von Novartis ging als Sandoz vor gut einem Jahr an die Börse. Seither haben die Aktien über 60% zugelegt. Diesen Donnerstag kletterte der Kurs des Börsenneulings erstmals über 40 Fr.

Seit dem Ende der bei Abspaltungen üblichen Bereinigung des Aktionariats – meist sind es angelsächsische Aktionäre, die keine nur in der Schweiz kotierten Valoren besitzen wollen – befindet sich der Aktienkurs von Sandoz im Aufwind. Die Titel reihen sich in die Gruppe anderer Spin-offs wie Alcon📈, Accelleron 📈und Galderma📈 ein, deren Reize auch erst als separat kotiertes Unternehmen voll zum Tragen gekommen sind.

Mehr als nur ein Generikahersteller

Dass es bei Sandoz eine Weile gedauert hat, bis sich die Investoren für das Geschäftsmodell erwärmen konnten, hat Gründe. In der Obhut von Novartis galt Sandoz lange als das hässliche Entlein, das die guten Margen des Pharmageschäfts trübte und für die Mutter strategisch nur zweitrangig war.

Dieser Schein trügt: Wie attraktiv das Generikageschäft von Sandoz tatsächlich ist, zeigte sich erst, als sich das Unternehmen eigenständig präsentieren konnte. Seit der Kotierung stellt Sandoz ihre Mutter Novartis an der Börse denn auch deutlich in den Schatten. Aus dem hässlichen Entlein ist ein Schwan geworden.

Der eher schlechte Ruf der Generika ist, dass mit Nachahmerprodukten weniger gute Margen als mit Originalpräparaten drinliegen. Dafür ist aber auch das Risiko geringer als bei neuartigen Medikamenten, wo die Ausfallwahrscheinlichkeit generell hoch ist. Unter den Pharmaprodukten schafft es nur etwa jedes zehnte bis zur Marktreife. Weil die wenigen Volltreffer die Ausgaben der vielen Flops kompensieren müssen, sind im Pharmageschäft entsprechend höhere Margen nötig. Den Herstellern von Originalpräparaten wird deshalb ein mehrjähriger Patentschutz gewährt.

Der Konkurrenzkampf im Generikageschäft ist hart. Margen müssen mit Effizienz und Geschwindigkeit erkauft werden. Wer zuerst eine Kopie auf den Markt bringt, sobald der Patentschutz des Originalpräparats ausläuft, hat einen grossen Vorteil. Mehr als drei oder vier Kopien eines Originalprodukts verträgt der Markt in der Regel nicht. Ein erfolgreicher Generikahersteller braucht ein breites Verkaufsnetz. Effizienzgewinne erzielt er dank Grössenvorteilen in der Produktion und im Einkauf.

In dieser Disziplin ist Sandoz nicht viel besser als die Konkurrenten, obwohl sie auf eine lange Tradition, ein extrem breites Sortiment und eine schlagkräftige Distribution zurückblicken darf. Indische und amerikanische Konkurrenten haben Kostenvorteile. Deshalb wollte Novartis vor einigen Jahren ihr amerikanisches Generikageschäft abstossen; mit dem indischen Generikaproduzenten Aurobindo war ein Käufer gefunden worden. Doch der Deal platzte, als Alternative blieb nur die Redimensionierung und Restrukturierung des Geschäfts. Das grosse Geld macht Sandoz damit nicht mehr. Immerhin belastet es die Rentabilität des Gesamtkonzerns nicht mehr. «Es ist eher ein taktisches Geschäft», erklärte Konzernchef Richard Saynor diese Woche anlässlich der Publikation der Umsatzzahlen zum dritten Quartal.

Je komplexer, umso besser

Der Trumpf von Sandoz – und aus Sicht von The Market das Hauptargument für ein Engagement in die Aktien – ist die herausragende Position, die sie im Bereich Biosimilars hat. Biosimilars sind Kopien von biotechnologisch, aus lebenden Zellkulturen hergestellten Eiweissverbindungen.

Dieses Geschäft ist viel aufwendiger und riskanter als das Kopieren von chemisch hergestellten Arzneimitteln. Die Entwicklungskosten eines Biosimilar können 250 bis 300 Mio. $ betragen, bei chemischen Generika ist es ein Bruchteil davon. Indes sind die potenziellen Margen bei Biosimilars um einiges höher und der Wettbewerb geringer, denn sie erfordern einen anspruchsvollen Produktionsprozess, den nicht jeder beherrscht.

Bei Biosimilars ist Sandoz der Pionier und die klare Nummer eins in Europa sowie die Nummer vier in den USA. Sowohl in Europa (2006, Omnitrop) als auch in den USA (2015, Zarxio) waren die Schweizer die Ersten, die ein Biosimilar auf den Markt brachten. Mit einem Marktanteil von 38% hat das Wachstumshormon Omnitrop mittlerweile das Original überholt und wächst selbst achtzehn Jahre nach der Einführung immer noch zweistellig.

Strategisch steht bei Sandoz Europa im Mittelpunkt. Zuerst entwickelt sie für diese Region ein Biosimilar, anschliessend wird versucht, auch für den amerikanischen Markt die Zulassung zu bekommen. Im Pharmageschäft ist es genau umgekehrt. Dort hat der US-Markt Priorität, weil in den USA die besten Margen locken.

Diese Diskrepanz hat juristische Gründe. In den USA ist das Rechtswesen die schärfste Waffe der Originalhersteller. Sie nutzen es (aus), um den Patentschutz ihrer Produkte zu verlängern oder im besten Fall auszubauen, um die Konkurrenz möglichst lange auf Distanz zu halten. Der Fantasie sind dabei keine Grenzen gesetzt. Mit neuen Dosierungen, einer anderen Art der Verabreichung oder der Erweiterung auf zusätzliche Therapiegebiete wird versucht, den Patentschutz aufrechtzuerhalten und den Biosimilars den Marktzugang zu versperren.

Eine weitere Abwehrtaktik ist es, Grossabnehmern grosszügige Rabatte zu gewähren, damit sie dem Original treu bleiben und es sich für den Biosimilar-Hersteller weniger lohnt. Gerichtsverfahren gehören deshalb zum Alltagsgeschäft von Sandoz.

Dabei geht es um sehr viel. In den nächsten zehn Jahren läuft der Patentschutz von Medikamenten im Umfang von mehr als 400 Mrd. $ jährlich aus, fast doppelt so viel wie derzeit. Ein grosser Anteil davon betrifft Biosimilars, deren Anteil sich laut Marktforschern von knapp 11 auf fast 28% mehr als verdoppeln sollte.

Die Bedeutung der Biosimilars für das Gesamtergebnis von Sandoz nimmt laufend zu. Kamen sie im Geschäftsjahr 2022 auf einen Umsatzanteil von knapp 21%, waren es im dritten Quartal dieses Jahres bereits 27%. Bis 2028 könnten es gegen 40% sein. Während das Geschäft mit Generika weitgehend stagnierte (Q3 2024: +4%), lagen die Einnahmen mit Biosimilars um 37% über dem Vorjahr.

Die über den Erwartungen ausgefallenen Drittquartalszahlen veranlassten das Sandoz-Management am Mittwoch zu einer leichten Anpassung der Umsatzprognose für 2024 sowie zu einer Bestätigung der Ebitda-Marge von 20%, was eine grandiose zweite Jahreshälfte bedingt. Entsprechend positiv reagierte der Aktienkurs.

Derzeit befindet sich rund ein Dutzend Biosimilars von Sandoz auf dem Markt. In Zukunft werden es deutlich mehr sein. Bis 2029 will das Unternehmen mit vierzehn weiteren Produkten Anteile in einem 155 Mrd. $ grossen Markt erobern. In der Pipeline befinden sich 25 Biosimilars, elf davon im kommerziellen Stadium. Nach Unternehmensangaben sollen Biosimilars trotz dem geringeren Umsatzanteil rund die Hälfte des bis 2028 erzielbaren Wachstums beisteuern.

Zuerst Europa, dann Nordamerika

Dabei spielt Nordamerika trotz den widrigen Bedingungen für Generikahersteller eine entscheidende Rolle. Schon jetzt glänzt diese Region mit überdurchschnittlich hohen Zuwachsraten. Sowohl im dritten Quartal (+15%) als auch in den ersten neun Monaten 2024 (+15%) nahm der Umsatz in dieser Region stärker zu als in der Gruppe (+12 bzw. +9%).

Vor allem die Markteinführung von Hyrimoz, Sandozʼ Biosimilar für den Verkaufsschlager von AbbVie Humira, verläuft erfolgreich. Laut dem Marktforscher Iqvia haben die Hersteller von Humira-Kopien in den USA einen Marktanteil von 19% erobert. Von diesem Anteil entfallen 77% auf Hyrimoz, was es zu dem mit Abstand meistverkauften Nachahmerprodukt für das zur Bekämpfung von Immunkrankheiten eingesetzte Medikament macht.

Damit scheint das Ende der Fahnenstange aber noch nicht erreicht. «Unser Ziel ist, in den USA Marktführer bei Biosimilars zu sein», sagte Saynor. Derzeit ist Sandoz die Nummer vier. Es gebe viele Gelegenheiten in diesem Geschäft, «wir wollen investieren».

Aber auch bei den Generika steht Sandoz nicht still. Indes will sie sich auf die komplexeren Kopien konzentrieren, vor allem solche, die in gespritzter Form verabreicht werden müssen. Rund neunzehn Kandidaten hat sie in der Entwicklung. Ein Ausstieg aus dem Generikageschäft steht nicht mehr zur Debatte. Laut Saynor sind 60% der Medikamente, die in den nächsten zehn Jahre den Patentschutz verlieren, chemischen Ursprungs. Zudem gebe es zwischen Biosimilars und Generika viele Synergien, ergänzte er.

Profiteur des Hypes um Abnehmspritzen

Auch beim derzeitigen Modethema Abnehmspritzen will Sandoz mitreden. Für sechs von acht Originalpräparaten seien Kopien in Entwicklung, heisst es. In Brasilien, der Türkei und Kanada wird der Patentschutz für Wegovy (Novo Nordisk) bereits 2026 auslaufen. In den USA und Europa wird das ab 2030 der Fall sein. Allfällige Einnahmen davon sind weder in den Prognosen von Sandoz noch in denen der Analysten enthalten. Doch sie sind ein Joker, der in einigen Jahren ausgespielt werden kann.

Dieses enorme Volumenwachstum kann Sandoz nur bewältigen, weil sie auf die Produktionskapazitäten von Zulieferern zurückgreift. Noch während Jahren wird Novartis Biosimilars für Sandoz herstellen. Erst mit dem neuen Werk in Slowenien wird Sandoz über eine eigene Biosimilars-Fabrik verfügen. 2026 wird sie fertig sein und rund zwei Jahre später voll produzieren. Mit dieser Strategie hält Sandoz die Kapitalinvestitionen gering. Rund 2 Mrd. $ jährlich sollten ausreichen und aus dem Cashflow finanzierbar sein.

Investoren lassen sich überzeugen

Seit der Kotierung hat sich die Einstellung der Investoren gegenüber Sandoz grundlegend verändert. Am besten beschreibt den Stimmungsumschwung wohl die Entwicklung des Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV) auf Basis der Gewinnschätzungen der nächsten zwölf Monate. Lag es zum Zeitpunkt des Börsengangs noch bei rund 10 und im Rahmen anderer Generikahersteller, sind es mittlerweile fast 15, auf Basis des diesjährigen Gewinns sogar 18.

Damit haben die Titel ein Niveau erklommen, das sich mit dem Gewinnpotenzial des Unternehmens nach wie vor erklären lässt. Sandoz kann als Hybrid zwischen einem reinen Generikahersteller und einem Pharmakonzern betrachtet werden. Entsprechend sollte auch die Bewertung zwischen den beiden Polen liegen, wo sie nun auch ist.

Selbst wenn es nicht zu einer weiteren Bewertungsexpansion kommen sollte, bleiben die Aussichten für Sandoz vielversprechend. Die Qualität der Produktpipeline lässt eine helle Zukunft erwarten. The Market geht weiterhin davon aus, dass sich ein Engagement in Sandoz auszahlen wird.

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