Pakistan zieht seinen Botschafter aus Teheran ab. In letzter Zeit hatten sich die Beziehungen der beiden Länder eigentlich positiv entwickelt. Was steckt hinter der Eskalation?
Zwei Tage nachdem iranische Raketen auf pakistanischem Boden eingeschlagen waren, hat Pakistan am Donnerstag mit einem Luftangriff Ziele in Iran attackiert. Die beiden Nachbarn argumentierten, die Angriffe hätten einer Terroristengruppe auf dem jeweiligen Staatsgebiet des anderen gegolten.
Beide Angriffe zielten angeblich auf Separatistengruppen. Der pakistanische Angriff galt der Baloch Liberation Front, der iranische der Terrororganisation Jaish al-Adl. Die sunnitische Islamistengruppe Jaish al-Adl ist seit 2012 im pakistanisch-iranischen Grenzgebiet aktiv, die Gründung der Baloch Liberation Front geht in die 1960er Jahre zurück.
Beide Gruppen fordern die Unabhängigkeit von Belutschistan, einem Gebiet, dass sich zwischen den Staaten erstreckt. Dazu gehören die iranische Provinz Sistan-Belutschistan und die pakistanische Provinz Belutschistan.
Attacken auf Sicherheitskräfte nehmen zu
Pakistan und Iran beschuldigen sich gegenseitig, zu wenig gegen die Separatisten zu unternehmen. In den vergangenen Monaten hatten Angriffe auf iranische und pakistanische Sicherheitskräfte im Grenzgebiet zugenommen. Im Dezember attackierte Jaish al-Adl einen Polizeiposten in Iran.
Laut den pakistanischen Behörden wurden beim iranischen Angriff vom Dienstag zwei Kinder getötet und drei Erwachsene verwundet. Pakistanische Offizielle bezeichneten den Angriff als «illegal», weil er die pakistanische Souveränität verletze. Pakistan zog seinen Botschafter aus Iran ab und blockierte die Rückreise des iranischen Botschafters nach Teheran. Am Donnerstag feuerte Pakistan dann seinerseits Raketen auf iranisches Staatsgebiet.
Das iranische Staatsfernsehen berichtete, dass neun Menschen bei der Attacke umgekommen seien, unter ihnen Kinder. Der Angriff soll vier Wohnhäuser zerstört haben. Laut iranischen Offiziellen waren die Toten pakistanische Staatsbürger, es liefen Untersuchungen, wie diese auf iranisches Staatsgebiet gekommen seien.
Peking ruft zu Zurückhaltung auf
Zuvor, am Dienstag, hatte Iran zudem Raketen auf syrisches und irakisches Gebiet abgefeuert. Laut Teheran handelte es sich um gezielte Schläge gegen «antiiranische Terrorgruppen» und den israelischen Geheimdienst Mossad. Man habe damit auf angebliche israelische Angriffe reagiert, bei denen Befehlshaber der iranischen Revolutionswächter getötet wurden.
Mit dem Konflikt zwischen Pakistan und Iran spitzt sich die angespannte Lage im Nahen Osten weiter zu. Teheran unterstützt nicht nur die Hamas, sondern auch die libanesische Schiiten-Miliz Hizbullah in ihrem Kampf gegen Israel.
Der gegenseitige Beschuss erfolgt zu einem Zeitpunkt, zu dem sich die beiden Länder eigentlich einander annäherten. Der iranische und der pakistanische Aussenminister hatten sich am WEF in Davos zu Gesprächen getroffen. Erst am Dienstag hielten die beiden Länder eine gemeinsame Marineübung ab, wie Irans Staatsagentur Irna berichtete. Laut Quellen der Nachrichtenagentur DPA stand auch ein gemeinsames Vorgehen der beiden Länder gegen militante Gruppen auf der Agenda.
Sowohl Iran als auch Pakistan sind enge Verbündete Chinas. Dieses dürfte versuchen, im Konflikt zwischen den beiden Staaten eine Vermittlerrolle einzunehmen. Pakistan ist eine Atommacht, und auch Iran strebt wohl die Entwicklung nuklearer Sprengköpfe an. Peking hatte die Nachbarn schon nach der iranischen Attacke zu Zurückhaltung aufgerufen und forderte sie auf, die Spannungen nicht eskalieren zu lassen.
Pakistans Krise überschattet Wahlen
In Pakistans grösster Provinz Belutschistan sind seit vielen Jahren Unabhängigkeitskämpfer aktiv. Zwar versuchte Pakistan jüngst, die Grenzregion mittels Checkpoints besser zu kontrollieren. Die Grenze bleibt aber durchlässig. Sie besteht vorwiegend aus Wüste und Bergen und ist kaum mit Patrouillen zu kontrollieren. Seit die Taliban 2021 die Macht in Afghanistan übernommen haben, mehren sich die Attacken im pakistanischen Grenzgebiet. Terroranschläge von islamistischen Gruppen gehören heute zur Tagesordnung: Sowohl der Islamische Staat als auch die pakistanischen Taliban sind im Grenzgebiet aktiv.
Pakistans Sicherheitskrise überschattet auch die Wahlen, die im Februar stattfinden sollen. Der populäre Oppositionskandidat Imran Khan wird kaum antreten dürfen, er sitzt derzeit in Haft. Es wird jener Kandidat gewinnen, der die Unterstützung des in Pakistan sehr mächtigen Militärs geniesst.
Mit der Gegenattacke auf Iran demonstrierten die Militärs vor den Wahlen Stärke, meint Michael Kugelman, Südasien-Analyst des Wilson Center. Kugelman schreibt: «Die beiden Seiten sind nun quitt, sozusagen. Das eröffnet die Möglichkeit zur Deeskalation, wenn die kühlen Köpfe sich durchsetzen. Aber das ist ein grosses Wenn.»