Donnerstag, Oktober 3

Nach längerer Verzögerung hat Teheran Hunderte Kurzstreckenraketen an Russland verkauft. Sie könnten schon in Kürze in der Ukraine zum Einsatz kommen. Die westlichen Staaten reagierten prompt und verhängten weitere Sanktionen.

Es hat lange gedauert, bis Iran geliefert hat. Schon vor knapp zwei Jahren gab es Berichte, dass Teheran Russland die Lieferung von Raketen für den Krieg in der Ukraine zugesagt habe. Von mehreren hundert Raketen vom Typ Zolfaghar und Fateh-110 war im Oktober 2022 die Rede. Viele Experten erwarteten damals, dass sie in Kürze auf dem Gefechtsfeld zum Einsatz kommen würden. Gesehen hat man davon aber nichts – bis jetzt. Nun heisst es aus westlichen Regierungskreisen, Iran habe kürzlich die ersten Raketen nach Russland geschickt.

Das «Wall Street Journal» und andere Medien berichteten unter Berufung auf amerikanische und europäische Vertreter, Teheran habe auf dem Seeweg Hunderte Raketen nach Russland verschifft. Der amerikanische Aussenminister Antony Blinken sagte vor einer Reise nach Kiew, die Raketen könnten schon in den nächsten Wochen zum Einsatz kommen. Die Ukraine bestellte aus Protest Irans Geschäftsträger in Kiew ein und erklärte, alle Optionen seien auf dem Tisch.

Die Regierung in Teheran bestritt dagegen die Lieferungen. Irans Mission bei den Vereinten Nationen betonte am Wochenende, Iran habe keiner Partei im Ukraine-Krieg Waffen geliefert und rufe andere Länder auf, ebenfalls darauf zu verzichten. Dies entspricht Teherans alter Position in der Frage. Sehr glaubwürdig ist diese aber nicht: Es gibt zahllose Berichte, die den Verkauf von iranischen Shahed-Drohnen an Russland und ihren Einsatz in der Ukraine belegen.

Die Europäer verhängen prompt neue Sanktionen

Als Reaktion auf die Waffenhilfe kündigten Grossbritannien, Frankreich und Deutschland neue Sanktionen gegen Iran an. Die Lieferung der Raketen sei «eine weitere Eskalation von Irans militärischer Unterstützung für Russlands Angriffskrieg», schrieben sie am Dienstag in einer gemeinsamen Erklärung. Die Sanktionen betreffen die iranische Fluggesellschaft Iran Air sowie die Kündigung von bestehenden Serviceverträgen für die Luftfahrtbranche. Auch Blinken verkündete neue Sanktionen – unter anderem gegen Iran Air.

Laut Blinken handelt es sich bei der iranischen Lieferung um taktische Kurzstreckenraketen vom Typ Fath-360. Dieser Typ sei mit den amerikanischen Himars-Raketen vergleichbar, sagt der Militärexperte Fabian Hinz vom International Institute for Strategic Studies in Berlin. Ausserdem seien die kleineren Ababil-Raketen geliefert worden. Die beiden satellitengesteuerten ballistischen Raketentypen hätten eine Reichweite von 120 beziehungsweise 86 Kilometern, sagt Hinz.

Die Nachrichtenagentur Reuters hatte vor einem Monat unter Berufung auf europäische Geheimdienstvertreter berichtet, Dutzende russische Militärangehörige würden in Iran an der Fath-360 ausgebildet. Blinken bestätigte dies nun. Die Fath-360 hat einen Sprengkopf von 150 Kilo, die Ababil einen von 45 Kilo. Sie war vergangenes Jahr von den Iranern an einer Rüstungsmesse in Moskau präsentiert worden. Die Raketen werden meist aus mehreren Containern auf einem Startfahrzeug abgefeuert.

Eigentlich wollte Pezeshkian wieder näher an den Westen

Es ist unklar, warum Iran diese Kurzstreckenraketen verkauft hat und nicht Raketen mit einer längeren Reichweite wie die Fateh-110 und die Zolfaghar, an denen Russland ursprünglich interessiert war. Laut Hinz wollte Iran womöglich wegen der Spannungen mit Israel nicht darauf verzichten. Ebenfalls unklar ist, ob die Raketen aus Irans Beständen kommen oder extra produziert wurden. Es sei aber bekannt, dass die Iraner ihre Produktionskapazitäten ausgebaut hätten, sagt Hinz.

Die Lieferung der Raketen markiert eine weitere Ausweitung der Unterstützung für Russland. Sie steht im Widerspruch zum Versprechen des neuen iranischen Präsidenten Masud Pezeshkian, sich für eine Verbesserung des Verhältnisses zum Westen und für eine Aufhebung der Sanktionen einzusetzen. Wahrscheinlich wurde die Lieferung aber noch vor Pezeshkians Wahl Anfang Juli vereinbart. Auch hat der Präsident in Iran nur bedingt Einfluss auf die Aussenpolitik.

Diese unterliegt in erster Linie der Kontrolle des Revolutionsführers Ayatollah Ali Khamenei und der Revolutionswächter. In den vergangenen Jahren hat sich Iran immer mehr Russland angenähert. Konfliktfrei sind die Beziehungen aber nicht: Teheran wünscht sich seit Jahren neue Kampfjets vom Typ Su-35 sowie Kampfhelikopter aus Russland, hat diese aber bis heute nicht erhalten. Auch den Verkauf moderner Flugabwehrsysteme hat Moskau verweigert. Nun gibt es aber Berichte, dass Moskau die Lieferung von Su-35 zugesagt habe.

Moskaus Haltung im Südkaukasus sorgt für Streit

Für Spannungen sorgte jüngst auch Russlands Unterstützung für Aserbaidschan im Streit mit Armenien um den Sangesur-Korridor. Dabei handelt es sich um eine Strassenverbindung von Aserbaidschan durch Armenien in die aserbaidschanische Exklave Nachitschewan. Der Korridor soll nahe der iranisch-armenischen Grenze verlaufen. Sollte er von Aserbaidschan kontrolliert werden, befürchtet Iran, dadurch seinen Zugang zu Armenien und zu Europa zu verlieren.

Irans Aussenminister Abbas Araghchi sagte Anfang September, jede Veränderung der Grenzen sei eine rote Linie für Iran. Aus Protest bestellte die Regierung den russischen Botschafter in Teheran ein. Kommentatoren in den iranischen Medien klagten, Russland nehme keine Rücksicht auf die iranischen Interessen. Einige stellten auch Irans Unterstützung für den Krieg in der Ukraine infrage. Offensichtlich war der Ärger über Moskau am Ende aber nicht gross genug, um Teheran von der Lieferung der Raketen abzuhalten.

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