Donnerstag, Januar 23

Im Juni 2021 beobachteten Journalisten von «Bund» und «Berner Zeitung» einen angeblich brutalen Polizeieinsatz gegen einen dunkelhäutigen Mann. Die Journalisten verglichen das Vorgehen mit dem Mord am Afroamerikaner George Floyd in den USA.

Mitte Juni 2021, vor sieben Uhr morgens, hat die Berner Kantonspolizei vor der Heiliggeistkirche beim Bahnhof Bern einen jungen Mann mit dunkler Hautfarbe angehalten und festgenommen. Der Einsatz wurde bekannt, weil offenbar zufällig zehn Journalistinnen und Journalisten der «Berner Zeitung» und des «Bundes» vor Ort waren.

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Der «Bund» schrieb: «Plötzlich spielen sich wenige Meter vor uns verstörende Szenen ab.» Die Polizei habe den Mann, einen Nordafrikaner, bei der Festnahme überwältigt, ihm ein Knie in den Bauch gerammt, ihn zu Boden gedrückt und verletzt in einen Kastenwagen gestossen. «Wir hören, wie sein Kopf auf dem Kabinenboden aufschlägt», schrieb die «Berner Zeitung». Der Mann sei reglos im Wagen liegen geblieben.

Auch ein Fotograf war anwesend. Auf einem seiner Bilder sieht es aus, als ob ein Polizist sein Knie dem Mann auf den Hals legt. Die Journalisten bestätigten dies und zogen Parallelen zur Festnahme des Afroamerikaners George Floyd in den USA. Floyd wurde im Frühjahr 2020 von einem Polizisten mit dem Knie stark zu Boden gedrückt und erstickt. Floyds Tod löste die «Black Lives Matter»-Bewegung aus. Der Titel des ersten Berichts des «Bundes» lautete: «Das Knie auf dem Hals. Verstörende Aktion der Berner Polizei».

Die Berichterstattung und vor allem der Vergleich mit dem Fall George Floyd seien irreführend und vorverurteilend gewesen, schreibt nun der Berner Regierungsrat in einem Bericht an den Grossen Rat. «Sie hatten die Anhaltung damit wider besseres Wissen wesentlich gefährlicher dargestellt, als sie es tatsächlich gewesen ist.»

Erinnerung an George Floyd

Der Regierungsrat stützt sich auf die Stellungnahme der Polizei, wonach der Mann hat überwältigt werden müssen, weil er sich bei der Anhaltung gewehrt habe. Die Polizei sagte 2021, der Polizist habe sich bei der Auseinandersetzung die Hand verletzt, deshalb habe er zum Festhalten des Mannes sein Knie gebraucht. «Bei der Fixierung am Boden und dem Anlegen der Handschellen rutschte dem Polizisten das Schienbein unbeabsichtigt für kurze Zeit auf den Hals des Mannes», schreibt nun der Regierungsrat im Bericht.

Die Journalisten schrieben hingegen, das Knie habe sich klar auf dem Hals des Mannes befunden, und dies nicht nur für kurze Zeit. Der Fall wurde in der öffentlichen Debatte zunehmend auf die Knieszene reduziert. Und der Berner Polizist wurde mit jenem in den USA verglichen, der wegen Mordes an George Floyd verurteilt wurde.

Doch eine genaue Angabe, wie lange das Knie auf dem Mann war, fehlt in der Berichterstattung. Laut einer früheren Aussage des Sicherheitsdirektors Philippe Müller lag das Knie im Fall von Bern 1 Minute und 13 Sekunden auf dem Hals des Mannes. Die Fixierung sei ungefährlich gewesen. Bei George Floyd waren es 10 Minuten. Der Regierungsrat schreibt im Bericht, die Medien seien von einem Rechtsmediziner darauf hingewiesen worden, dass der Vergleich mit George Floyd fehlerhaft sei. Trotzdem hätten sie den Polizisten weiterhin mit einem verurteilten Mörder in den USA gleichgesetzt.

Laut dem Regierungsrat erfolgte die Richtigstellung von «Bund» und «Berner Zeitung» erst eine Woche nach den ersten Berichten zum Vorfall. Damit sei sie zu spät erfolgt.

Nach den Anschuldigungen gegen den Polizisten hatte die Staatsanwaltschaft eine Untersuchung wegen Amtsmissbrauch eröffnet. Im September 2023 hat das Regionalgericht Bern-Mittelland den Mann freigesprochen. Sicherheitsdirektor Müller bezeichnete die mediale Berichterstattung schon damals als «voreingenommen und unvollständig». Die Journalisten hätten eine öffentliche Vorverurteilung des Polizisten in Kauf genommen.

Der Regierungsrat stützt sich im Bericht auch auf die Einschätzung eines Experten für Medienrecht. Dieser kommt zu dem Schluss, dass die Berichterstattung von «Bund» und «Berner Zeitung» zwar in weiten Teilen angemessen gewesen sei, die Redaktion der Zeitung «Bund» jedoch der «Wahrheitssuche ungenügend nachgekommen» sei und ihre journalistische Sorgfaltspflicht und damit den Schweizer Journalistenkodex verletzt habe. Zudem hätten die Zeitungen die Berichte bis heute nicht korrigiert.

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