Ein Paar bewältigt den Alltag mit einer mysteriösen Krankheit. Aus der Hilflosigkeit schöpft Mercedes Lauenstein brillante Beobachtungen.

Wie sieht das Leben aus, wenn der Partner von einer rätselhaften Krankheit heimgesucht wird? Die Ich-Erzählerin in «Zuschauen und Winken» begleitet ihren Freund Miro zu Heilpraktikern und in Krankenhäuser, doch niemand weiss, was los ist. Eine lang zurückliegende Grippe sei in tausend Symptome zersplittert, lautet Miros Theorie. Mal sind es diffuse Schmerzen, mal wandern rote Linien auf seiner Haut. Und manchmal ist alles gut.

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«Man darf keine Sekunde Gesundheit mit dem Gedanken an Symptome verschwenden, jeder neue Moment ist ein neues Leben», weiss die Protagonistin. Sie macht, was sie am besten kann: Sie beobachtet München, die Stadt, in der sie wohnt, und kostet jeden Augenblick aus. Nebenbei schreibt sie eine kulturgeschichtliche Arbeit über das Moor: «Ich verliere mich darin. Ich gerate auf Abwege und Umwege und finde nie zurück zum Eigentlichen.» Die Professorin riet ihr, alles zu notieren, «Träume, Ängste, Spekulationen, Assoziationen, Erinnerungen». Die Notizen der Erzählerin wuchern in alle Richtungen.

Krankheit, Moor, Orientierungslosigkeit. Ist das nicht ultradeprimierend? Im Gegenteil. Mercedes Lauenstein ordnet die feinfühligen und neurotischen Gedanken ihrer Hauptfigur in kurze, hochdosierte Sequenzen und lässt dazwischen viel Platz zum Atmen. Der absurde Alltag wird zur unerschöpflichen Quelle humorvoller Melancholie.

Über Schweres redet die Protagonistin mit einer Plastik-Eule in einem Turnschuh. Sie unternimmt Spaziergänge, trifft auf Mitmenschen, die stehlen oder herumschreien. Unter der Dusche fürchtet sie sich vor dem Leitungswasser, da es aus dunklen Röhren kommt. Eine Reise aufs Land entspannt sie nicht. Dazwischen bahnt sich ein Nervenzusammenbruch an, der mit einem kaputten Drucker zu tun hat. Alle Menschen seien im Grunde «Fünfjährige, die ihre Eltern verloren haben», erklärt sie sich.

Der Roman kreist um eine in der Literatur selten vorkommende Beziehung, die auf Unabhängigkeit, Ruhe und gegenseitigem Respekt basiert: «Ich glaube, dass wir beide mit einer Erwartungs- und Konventionenallergie auf die Welt gekommen sind – wir können Dinge nur aus freien Stücken tun.» Miro kompiliert als Musiker Alltagsgeräusche, die Protagonistin sammelt Beobachtungen. Diese Tätigkeiten erinnern an den Essay «Tragtaschentheorie des Erzählens» der Science-Fiction-Autorin Ursula K. Le Guin. Sie hinterfragte die gängige lineare Heldenreise, überzeugt, dass das wahre Abenteuer in den Nuancen der zwischenmenschlichen Begegnungen stattfindet – während des Sammelns. Genau dies geschieht auch in dieser Erzählung.

Lauensteins Sprache ist präzis, voller Weisheit und trotzdem nie prätentiös. «In der Wohnung über uns bohrt jemand verunsichert Löcher in die Wand», ist so ein schlichter, phantastisch humorvoller Satz, der in seinem Mix aus Genervtheit und Mitgefühl sofort verständlich ist.

Mercedes Lauenstein: Zuschauen und Winken. Aufbau 2025. 192 S.

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