Mittwoch, Februar 5

Das Serverzentrum der Terrororganisation soll mit dem Stromnetz des Uno-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge verbunden gewesen sein. Israel fordert den Rücktritt des Schweizer UNRWA-Chefs Philippe Lazzarini. Der will von nichts gewusst haben.

Das israelische Militär hat laut eigenen Angaben ein Datenzentrum der Hamas unter dem UNRWA-Hauptquartier in Gaza gefunden. Die israelischen Streitkräfte teilten am Samstagabend mit, dass sie bei Grabungen auf einen Tunnel gestossen seien, der sich direkt unter dem Hauptquartier der UNRWA befinde. Der Eingang zu diesem Tunnel befinde sich in 700 Metern Entfernung zu einer Schule des Uno-Hilfswerks für Palästina-Flüchtlinge.

In dem Tunnel entdeckte die israelische Armee einen Serverraum sowie Besprechungs- und Arbeitsräume der Terrororganisation. Laut den israelischen Streitkräften hat die Hamas in dem unterirdischen Datenzentrum Informationen gesammelt, ausgewertet und geteilt. Im UNRWA-Hauptquartier hat die israelische Armee ausserdem Granaten, Raketen, grosse Mengen Sprengstoff und Sturmgewehre gefunden. Weitere Indizien deuteten darauf hin, dass Büros und Räumlichkeiten der UNRWA-Zentrale von Hamas-Terroristen genutzt worden seien. Es sei jedoch unklar, ob diese Nutzung vor oder nach Kriegsbeginn erfolgt sei.

Ein Oberst der israelischen Armee sagte der Zeitung «The Times of Israel», es gebe keinen Zweifel, dass die UNRWA über den Hamas-Tunnel unter ihrem Hauptquartier informiert gewesen sei. «Hier gibt es eine Mauer, ein Tor, Überwachungskameras. Wer auch immer bei der UNRWA gearbeitet hat, wusste ganz genau, wer hineinkommt.» Laut der Zeitung hat die israelische Armee den Tunnel bereits gesprengt.

Die UNRWA streitet die Vorwürfe ab

Die UNRWA bestreitet die Vorwürfe. Am Samstagabend schrieb der Schweizer Chef des Uno-Hilfswerks, Philippe Lazzarini, auf X, dass seine Organisation nicht gewusst habe, was sich unter dem Hauptquartier befinde. Das UNRWA-Personal habe das Gelände am 12. Oktober verlassen und das Gebäude seitdem nicht mehr verwendet.

«Israel hat uns im Vorfeld keinerlei Beweise oder Informationen über den Tunnel zukommen lassen», sagt die UNRWA-Sprecherin Tamara Alrifai am Sonntag auf Anfrage der NZZ. Da seit Monaten kein UNRWA-Mitarbeiter mehr vor Ort gewesen sei, könne die Organisation nicht sagen, ob die von Israel veröffentlichten Informationen zutreffend seien oder nicht.

Laut Alrifai ist die UNRWA in der Vergangenheit jedem Hinweis auf einen Tunneleingang nachgegangen. «Jedes Mal, wenn wir einen Eingang sahen, haben wir die Israeli und die De-facto-Hamas-Autoritäten informiert.» Den Vorwurf, dass der Hamas-Serverraum mit dem Stromnetz der UNRWA-Zentrale verbunden gewesen sei, könne sie nicht kommentieren. «Alles, was wir über die Anschuldigungen wissen, haben wir aus den Medien.»

Die israelische Behörde für Regierungsaktivitäten in den palästinensischen Gebieten (Cogat) bezweifelt diese Darstellung. Auf X schrieb die Behörde an Lazzarini: «Oh, Sie wussten Bescheid.» Es dauere länger als vier Monate, einen Tunnel zu graben. Cogat habe Uno-Mitarbeiter in der Vergangenheit darüber informiert, dass die Hamas das UNRWA-Hauptquartier nutze. «Sie haben sich dazu entschieden, die Fakten zu ignorieren, so dass Sie sie später abstreiten können.»

UNRWA steht vor dem finanziellen Kollaps

Das Uno-Hilfswerk steht unter massivem Druck. Vor zwei Wochen beschuldigte Israel zwölf UNRWA-Mitarbeiter, sich am Hamas-Massaker vom 7. Oktober beteiligt zu haben. US-Aussenminister Antony Blinken bezeichnete die Vorwürfe als «sehr glaubwürdig». Sechzehn Geberländer der UNRWA stellten daraufhin ihre Zahlungen ein. Über die Hälfte des jährlichen Budgets in Höhe von 880 Millionen Dollar sei blockiert, sagt die Sprecherin Alrifai. «Wenn noch mehr Länder ihre Zahlungen einfrieren, wird es für uns sehr schwierig werden, unsere Operationen fortzuführen.»

Die UNRWA ist nicht nur für die humanitäre Hilfe in Gaza zuständig, sondern betreibt auch Schulen, Spitäler und weitere soziale Dienstleistungen im Westjordanland, in Libanon, Jordanien und Syrien. Sie unterstützt damit die palästinensischen Flüchtlinge, die mit der israelischen Staatsgründung 1948 aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Allerdings werden auch Nachkommen von 1948 vertriebenen Palästinensern von der Uno-Behörde als Flüchtlinge anerkannt und können Unterstützung erhalten. Das Hilfswerk ist heute laut eigenen Angaben für 5,9 Millionen Menschen zuständig.

Israel fordert Rücktritt von Lazzarini

Aufgrund der humanitären Katastrophe in Gaza habe die Arbeit der UNRWA an Relevanz gewonnen, heisst es etwa aus deutschen Regierungskreisen. Deutschland, das zweitwichtigste Geberland, habe die «unerträglichen Vorwürfe» gegen UNRWA-Mitarbeiter nicht ignoriert, sagte die deutsche Aussenministerin Annalena Baerbock Anfang Februar. Doch die Situation in Gaza sei «einfach die Hölle». Die UNRWA sei fast der alleinige Versorger in Gaza, da alle anderen Hilfsorganisationen dort «derzeit so gut wie nicht mehr aktiv sein können».

Israel fordert seit Jahren die Reform oder die Auflösung der UNRWA. Angesichts der jüngsten Vorwürfe sind diese Forderungen lauter geworden. Der israelische Aussenminister Israel Katz forderte am Samstag die prompte Ablösung des Schweizers. «Sein sofortiger Rücktritt ist unabdingbar», schrieb Katz auf X.

Angesprochen auf die Rücktrittsforderung, erinnert die Sprecherin Alrifai daran, dass der UNRWA-Chef sein Mandat von der Uno-Generalversammlung erhalte. Besonders viel Bedeutung misst sie der israelischen Forderung daher nicht bei: «Israel ist nur ein Mitglied der Generalversammlung von insgesamt 193.» Der Uno-Generalsekretär António Guterres stehe hinter Lazzarini.

Nach den ersten Vorwürfen gegen die UNRWA hatte Guterres vergangene Woche eine unabhängige Untersuchungskommission ins Leben gerufen. Diese soll herausfinden, ob das Hilfswerk alles tue, um seine Neutralität sicherzustellen. Ein erster Zwischenbericht soll Ende März veröffentlicht werden. Die Sprecherin Alrifai begrüsst die Untersuchung und stellt klar, dass die UNRWA vollständig kooperiere und bereits von Ermittlern befragt worden sei. «Es ist in unserem Interesse, dass alle Vorwürfe aufgeklärt werden. Nur so können wir weiterhin unsere humanitäre Hilfe leisten.»

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