Beim israelischen Angriff auf Iran am 26. Oktober wurde auch die Einrichtung «Taleghan 2» südlich von Teheran getroffen. Eigentlich galt diese als stillgelegt – ein brisanter Bericht behauptet nun das Gegenteil.
Als israelische Kampfjets in der Nacht auf den 26. Oktober mehrere Ziele in Iran bombardierten, nahmen sie in erster Linie die iranische Raketenproduktion und die Flugabwehr ins Visier – aber offenbar nicht nur. Wie das amerikanische Portal «Axios» am Freitag berichtet hat, soll auch eine streng geheime Forschungsanlage für Atomwaffen zerstört worden sein. Dabei beruft sich das Medium auf Aussagen von mehreren amerikanischen und israelischen Beamten, die sich nicht unabhängig verifizieren lassen.
Der Bericht ist aus mehreren Gründen brisant: So hatte nicht nur Iran, sondern auch die amerikanische Regierung den jüdischen Staat ausdrücklich davor gewarnt, Anlagen des iranischen Nuklearprogramms anzugreifen. Vor allem aber hat Iran immer wieder behauptet, sein Atomprogramm diene rein zivilen Zwecken und es arbeite nicht an der Entwicklung einer Atombombe. Noch vergangene Woche hatte der iranische Aussenminister Abbas Araghchi gesagt: «Iran ist nicht an Atomwaffen interessiert, Punkt.»
Eine stillgelegte Anlage soll zum Leben erwacht sein
Laut «Axios» handelt es sich bei der zerstörten Anlage um «Taleghan 2», ein Gebäude auf der Militärbasis Parchin rund dreissig Kilometer südöstlich der Hauptstadt Teheran. Bisher waren Experten davon ausgegangen, dass die Anlage seit über zwanzig Jahren stillgelegt sei. Davor war sie ein Teil des iranischen Amad-Projekts zur Entwicklung von Atomwaffen, das Teheran im Jahr 2003 aber eingestellt haben soll. In «Taleghan 2» wurden damals Sprengstoffe getestet, die für die Zündung einer Atomwaffe gebraucht werden.
Das untenstehende Bild zeigt «Taleghan 2» vor und nach seiner Zerstörung:
At Parchin, the old Taleghan 2 building was attacked for more than one reason, according to an Israeli government source. But the one he would confirm was to send a signal. Remember the Iranians claimed they never had any nuclear activity at this site, so Iran (or others) cannot… pic.twitter.com/spWlg5BU0T
— Inst for Science (@TheGoodISIS) November 5, 2024
Dass das Gebäude zerstört wurde, ist schon seit Ende Oktober bekannt. Einige Beobachter hatten den Angriff auf die vermeintlich inaktive Anlage damals als eine symbolische Warnung an das iranische Regime interpretiert, dass Israel bei einem nächsten Angriff andere Anlagen des iranischen Nuklearprogramms ins Visier nehmen könnte.
Gemäss den Quellen von «Axios» war die Anlage jüngst aber wieder zum Leben erwacht. Gemäss dem Bericht waren amerikanische und israelische Geheimdienste im Verlauf des Jahres auf verschiedene Aktivitäten aufmerksam geworden. So sollen iranische Forscher mit Sprengstoff und Computermodellen experimentiert haben. «Sie führten wissenschaftliche Aktivitäten durch, die den Grundstein für die Herstellung einer Atomwaffe legen könnten. Das war eine streng geheime Sache. Ein kleiner Teil der iranischen Regierung wusste davon», so wird ein anonymer amerikanischer Beamter zitiert.
Angeblich hatte Washington die Iraner schon im Juni aufgefordert, die verdächtigen Aktivitäten einzustellen, allerdings ohne Erfolg. Im August berichtete das «Wall Street Journal», dass die amerikanischen Geheimdienste in einem Bericht an den Kongress einen zentralen Satz weggelassen hätten, der in den Jahren zuvor immer darin enthalten gewesen sei: «Iran unternimmt derzeit keine Aktivitäten, die für die Herstellung einer testbaren Atombombe erforderlich sind.»
Die Fatwa des Ayatollah
Treffen die Angaben von «Axios» zu, hat Iran in jüngerer Zeit aber durchaus solche Aktivitäten unternommen. Bekannt ist, dass Iran seit 2022 Uran auf einen Grad von 60 Prozent anreichert. Laut der Internationalen Atomenergieagentur reichen die Vorräte an hoch angereichertem Uran, um nukleares Spaltmaterial für vier Atombomben zu gewinnen. Weil davon ausgegangen wird, dass Iran über das Know-how für den Bau eines Atomsprengkopfs verfügt, gilt das Land als «nuklearer Schwellenstaat».
Nachdem Iran am 1. Oktober Israel mit 180 ballistischen Raketen angegriffen hatte, warnte der amerikanische Präsident Joe Biden die israelische Regierung davor, das iranische Nuklearprogramm anzugreifen. Einige israelische Politiker hatten zuvor genau das gefordert. Doch «Taleghan 2» gehört nicht zu den offiziell deklarierten iranischen Nuklearanlagen. Hätte Iran die Zerstörung der Anlage als Angriff auf das Nuklearprogramm gewertet, hätte es folglich zugeben müssen, gegen den Atomwaffensperrvertrag verstossen zu haben.
Nach wie vor ist unklar, ob und wie Iran auf den israelischen Angriff am 26. Oktober reagieren wird. Nachdem das Regime in Teheran den Gegenschlag zunächst heruntergespielt hatte, gab es ab Anfang November martialische Parolen heraus. Hossein Salami, der Kommandant der iranischen Revolutionswächter, drohte mit einer «vernichtenden Antwort». Kamal Kharrazi, ein Berater des iranischen Revolutionsführers Ali Khamenei, brachte in einem Interview gar eine Änderung der iranischen Nukleardoktrin ins Spiel.
Allein die Fatwa des Obersten Führers verbiete derzeit noch die Entwicklung einer Atomwaffe, sagte Kharrazi. Khamenei hatte 2003 ein religiöses Urteil gefällt, gemäss dem die Produktion, die Lagerung und der Einsatz von nuklearen Waffen im Islam verboten seien. Der Revolutionsführer hat dieses zumindest öffentlich nie revidiert. Aber glaubt man dem Bericht von «Axios», hat Iran zumindest vorbereitende Massnahmen zur Herstellung einer Atombombe eingeleitet – und Israel ist ihm auf die Schliche gekommen.