Mittwoch, Oktober 2

Drohnen abzufangen, ist schwierig und teuer. Das hat sich die letzten Monate im Nahen Osten gezeigt. Von Iran unterstützte Milizen wie die Hamas oder die Huthi-Rebellen nutzen das aus.

Israel ist gewappnet, wenn seine Feinde mit Raketen angreifen. Das Land hat die letzten Jahre ein umfassendes Abwehrsystem aufgebaut. Dieses hält sogar einem grossen Angriff Irans weitgehend stand, wie sich am Dienstagabend gezeigt hat.

Doch Israel hat eine Schwäche bei der Luftverteidigung. Das Land ist nicht gerüstet für umfassende Angriffe mit Drohnen. In den letzten Monaten haben die schiitischen Milizen Israel mit diesem neuen Mittel des Luftangriffs immer wieder herausgefordert.

Als die Hamas vor einem Jahr ihren grossen Terrorangriff auf Israel begann, machte sich die islamistische Organisation eine Lücke in der israelischen Hightech-Abwehr zunutze. Die Hamas schaltete am 7. Oktober Teile der modernen Sperranlage zum Gazastreifen mittels handelsüblicher Drohnen aus. Israel schaffte es nicht, die Drohnen abzufangen.

Dieses Versagen ist erstaunlich. Israel ist eine Hightech-Nation, die der Hamas im technologischen Bereich weit überlegen ist. Mit dem System Iron Dome hat das Land eine moderne Raketenabwehr aufgebaut. Zudem war die Bedrohung durch Drohnen der Hamas eigentlich bekannt. Sie wurde offensichtlich unterschätzt.

Der Drohnenangriff der Hamas steht beispielhaft für die Veränderungen, welche unbemannte Fluggeräte in Konflikten bringen – und noch bringen werden. In der Ukraine zeigt sich, wie der massenhafte Einsatz von Drohnen auf beiden Seiten einen offenen Krieg zwischen zwei Armeen verändert. Der Konflikt im Nahen Osten wiederum ist ein Lehrstück darüber, wie Drohnen asymmetrischen Konflikten zwischen ungleichen Parteien eine neue Dynamik verleihen.

Aus dem Nahostkonflikt der letzten Monate lassen sich drei Thesen zu Drohnen ableiten.

These 1: Die Bedrohung wird unterschätzt

Das Versagen des israelischen Sicherheitsapparats besteht darin, dass man das Risiko von Drohnenangriffen der Hamas nicht ernst genommen hatte. Dabei waren die Warnungen da. Bereits 2017 machte ein Bericht der staatlichen Finanzkontrolle Israels auf Lücken in der Drohnenabwehr aufmerksam. Eine erneute Kontrolle ergab 2021, dass die israelische Luftwaffe «noch immer über kein vollständiges Abwehrkonzept gegen die Bedrohung durch Drohnen» verfüge.

Der Bericht legte offen, dass die grosse Mehrheit der Stützpunkte und Einrichtungen der israelischen Streitkräfte (IDF) über kein Abwehrsystem für unbemannte Fluggeräte verfügt. Dies war offensichtlich auch am 7. Oktober 2023 noch der Fall, als die Hamas mit handelsüblichen Drohnen die Kommunikation zwischen den Einheiten verhinderte und blinde Flecken in der Überwachung der Grenze schuf.

Dass die IDF die Sperranlage nicht schützen konnten, erstaunt. Die israelische Drohnenexpertin Liran Antebi schrieb bereits wenige Wochen nach dem Terrorangriff vom 7. Oktober in einem Aufsatz: «Die Beobachtung anderer Schlachtfelder auf der ganzen Welt hätte eigentlich die Alarmglocken läuten lassen und zu einer besseren Vorbereitung führen müssen.»

An mangelnden technologischen Fähigkeiten lag die Untätigkeit der Israeli nicht. Mehrere israelische Firmen haben in den letzten Jahren Systeme zur Abwehr entwickelt und vorgeführt. Welche genau an der Grenze zum Gazastreifen im Einsatz waren, ist unklar.

Es gibt Hinweise darauf, dass zumindest an gewissen Stellen oder zeitweise elektronische Systeme stationiert waren, welche handelsübliche Drohnen zur Landung bringen können. Doch dass die vorhandenen Systeme nicht ausgereicht haben, hat der 7. Oktober bewiesen. Israel hat die Hamas technologisch unterschätzt.

Die grosse Frage ist, ob westliche Staaten und insbesondere die Nato ihre Lehren aus dem Einsatz von Drohnen in der Ukraine oder im Nahen Osten gezogen haben – und sich der Bedrohung mit der nötigen Priorität annehmen.

Das Beispiel von Brunsbüttel zeigt zumindest, dass Deutschland nicht vorbereitet ist. Dort waren in den letzten Wochen über Industrieanlagen und kritischen Infrastrukturen verdächtige Drohnen aufgetaucht. Die Behörden waren heillos überfordert.

These 2: Die Abwehr ist schwierig und teuer

Was sich in der Samstagnacht vom 13. April im Luftraum über dem Nahen Osten abgespielt hat, hatte es bisher noch nie gegeben. Iran schickte über 300 Geschosse Richtung Israel los: Marschflugkörper, ballistische Raketen und Drohnen verschiedener Art. Der Luftangriff enormen Ausmasses war als Vergeltung für die Bombardierung der iranischen Botschaft in Damaskus gedacht, bei der Israel Anfang April mehrere hochrangige Offiziere der iranischen Revolutionswächter tötete.

Doch der Erfolg des iranischen Angriffs war bescheiden. Von den gut 300 Geschossen schlugen schliesslich nur 5 Raketen in Israel ein. Die rund 170 Drohnen konnten alle abgeschossen werden, noch bevor sie den israelischen Luftraum erreichten.

Doch der Aufwand dafür war enorm. Nötig war dafür eine Luftoperation, an der neben Israel auch die USA, Grossbritannien, Frankreich und Jordanien beteiligt waren. Alle diese Staaten waren mit eigenen Kampfjets im Einsatz. Die westlichen Verbündeten steuerten Radarinformationen bei, und die USA haben die Operation von ihrem Regionalkommando Centcom in Katar aus koordiniert. Arabische Staaten sollen Informationen beigesteuert haben.

Militärisch gesehen war die Operation zum Schutz Israels ein Erfolg. Finanziell betrachtet ist die Bilanz jedoch verheerend. Die Abwehr der Drohnen und anderer Geschosse habe insgesamt rund 1 Milliarde Dollar gekostet, schätzt die Nachrichtenagentur Reuters. Die Kosten aufseiten des Angreifers, Irans, sollen nur gerade 80 bis 100 Millionen Dollar betragen haben.

Die Abwehr von Drohnen ist ungemein aufwendig. Auf den gesamten Angriff Irans bezogen, kostete die Verteidigung zehnmal mehr als der Angriff. Ein solches Missverhältnis mag bei einem einmaligen Angriff tragbar sein. In einem länger andauernden Konflikt wird dieses Ungleichgewicht zur gefährlichen Belastung. Das zeigen auch russische Angriffe mit billigen iranischen Drohnen in der Ukraine, welche mit teuren Mitteln abgefangen werden müssen.

Die Suche nach einer effizienten Möglichkeit zur Abwehr von Drohnen läuft weltweit auf Hochtouren. Teilweise wird Drohnen, welche andere Drohnen abfangen, grosses Potenzial zugeschrieben. Israel arbeitet bereits seit Jahren an einem Lasersystem zur Abwehr unbemannter Flugobjekte. Dieses System namens Iron Beam soll nächstes Jahr in den Einsatz gebracht werden.

Doch die Kosten sind nur das eine. Derzeit gibt es gar keine verlässlichen Instrumente, die verschiedenen Arten von Drohnen grossflächig überhaupt nur zu erkennen und nachzuverfolgen. Die Industrie testet derzeit verschiedene Systeme, die oft verschiedene Sensoren kombinieren. Radar und eine optische Erkennung kommen dabei häufig vor.

Die Ukraine hat zum Beispiel ein Netz mit Tausenden akustischen Sensoren zur Früherkennung russischer Drohnen aufgebaut. Eine kostengünstige Lösung. Allerdings gibt es bei dieser Art auch Umgebungsgeräusche, die stören können. So haben Versuche in der Schweiz gezeigt, dass Kuhglocken äusserst schwierig herauszufiltern sind.

These 3: Drohnen bringen der schwächeren Kriegspartei einen Vorteil

Die Drohne kam ohne Vorwarnung in der Nacht. Am 19. Juli schlug in einem Wohngebäude in Tel Aviv ein unbemanntes Fluggerät ein. Eine Person kam ums Leben, zehn wurden verletzt. Die Drohne war Stunden zuvor in Jemen gestartet, rund 2000 Kilometer von Tel Aviv entfernt. Vom Mittelmeer her soll sie Israel erreicht haben.

Israel reagierte nicht. Kein Alarm, kein Versuch, das Flugobjekt abzuschiessen. Die Streitkräfte teilten später mit, dass ihre Systeme die Drohne erkannt, erfasst und sechs Minuten lang verfolgt hätten. Aufgrund eines menschlichen Fehlers sei sie aber nicht als Bedrohung identifiziert worden, weshalb es auch keine Abwehrmassnahmen gab. Es soll das erste Mal gewesen sein, dass eine Drohne der Huthi-Rebellen in Jemen überhaupt Tel Aviv erreicht hat.

Der Vorfall zeigt, welche neuen Möglichkeiten Drohnen einem kleineren Akteur geben können. Die Huthi erhalten die Drohnen und das nötige Wissen von Iran. Damit ist es der schiitischen Miliz gelungen, den gesamten Welthandel zu beeinflussen.

Die Huthi führen seit dem vergangenen November regelmässig Drohnenangriffe auf Frachtschiffe im Roten Meer durch und zwingen die Reeder damit zu grossen Umwegen. Die westlichen Staaten sind hilflos. Ihre Luftangriffe erzielten kaum eine Wirkung.

Das Beispiel zeigt: Richtig eingesetzt, können Lowtech-Drohnen selbst für Hightech-Armeen zur Herausforderung werden. Die einstige Überlegenheit der Grossmächte im Luftraum, wie sie zum Beispiel die USA bei Einsätzen im Irak oder in Afghanistan früher hatten, verschwindet. Selbst einfache Milizen erhalten mit Drohnen eine «Luftwaffe des kleinen Mannes». Eine Antwort darauf haben die westlichen Armeen noch nicht gefunden.

Fazit: Der Drohnenkrieg hat erst begonnen

Dass Drohnen die Kriegsführung verändern, ist anerkannt. Doch damit fängt die Problematik erst an. Wie sich Streitkräfte künftig aufstellen müssen, wie sie eigene Drohnen in Einsätze integrieren können und wie die besten Mittel zur Drohnenabwehr aussehen, ist noch offen. Ebenso offen ist noch das Rennen um die richtigen Mittel zur Drohnenabwehr.

Die grössten Herausforderungen bringen Drohnen bei den grundlegenden Kräfteverhältnissen. Die technologische Entwicklung demokratisiert Mittel im Luftraum, die früher fast ausschliesslich staatlichen Organisationen vorbehalten waren. Milizen oder auch einzelne Terroristen können jetzt aus der Luft angreifen. Die Drohne dazu gibt es bei jedem Händler.

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