Mittwoch, November 12

Im Januar hatte das israelische Militär verkündet, die Infrastruktur der Hamas in Gaza-Stadt zerschlagen zu haben. Seit Tagen finden dort wieder heftige Gefechte statt – nun scheint eine grössere Offensive bevorzustehen.

Am Mittwoch hat es über Gaza-Stadt wieder einmal Tausende von Flugblättern geregnet. «Wichtige Ankündigung», steht auf den Papieren, darunter ist eine Karte des Gazastreifens gedruckt, auf der gelbe Pfeile in Richtung Süden zeigen. Die Bewohner der Stadt wissen nach neun Monaten Krieg, dass die Flugblätter der israelischen Armee nichts Gutes bedeuten: Auf sie folgen jeweils heftige Kämpfe.

Die Flugblätter fordern die Bewohner von Gaza-Stadt auf, nach Deir al-Balah in der Mitte des Küstengebiets zu fliehen. Während in den vergangenen Monaten auf diese Art oft nur einzelne Quartiere in verschiedenen Städten des Gazastreifens zur Evakuierung aufgefordert wurden, richten sich die Flugblätter dieses Mal «an alle in der Stadt Gaza». Nach Schätzungen der israelischen Armee befinden sich nach wie vor rund 200 000 Menschen im Norden des Gazastreifens.

Es ist das erste Mal seit Oktober, als Israel nach dem Terrorangriff der Hamas seine Bodenoffensive begonnen hatte, dass sämtliche Bewohner die Stadt im Norden verlassen sollen. «Die Stadt Gaza bleibt ein gefährliches Kampfgebiet», schreibt die Armee auf den Flugblättern.

Ziele sind noch unklar

Der Befehl zur Evakuierung der gesamten Bevölkerung lässt vermuten, dass nun wieder grossflächige Kämpfe in der Stadt folgen werden. Bereits in den Tagen zuvor war ein Konvoi von israelischen Panzern in Gaza-Stadt eingefahren, Bewohner sprachen von den schwersten Kämpfen seit dem Beginn des Kriegs. Laut Augenzeugen hatten israelische Soldaten in einigen Gebieten Hausdurchsuchungen durchgeführt.

Am Mittwoch veröffentlichten die Kassam-Brigaden, der bewaffnete Flügel der Hamas, ein Video, das ihre Kämpfer bei Angriffen auf die israelischen Streitkräfte in Gaza-Stadt zeigt. Auf den Aufnahmen ist zu sehen, wie sie Strassen mit Sprengsätzen präparieren, worauf diese unter Bulldozern und Panzern der Armee explodieren. Von wann die Aufnahmen stammen, ist nicht bekannt.

Bemerkenswert ist der Evakuierungsbefehl für das Gebiet auch deshalb, weil der israelische Militärsprecher Daniel Hagari schon vor sechs Monaten an einer Pressekonferenz verkündet hatte, die Armee habe die «militärische Struktur» der Hamas in Gaza-Stadt «zerschlagen». Es könne im nördlichen Gazastreifen zwar noch zu Gefechten und sporadischem Raketenbeschuss kommen, aber die Infrastruktur der Hamas sei ausser Gefecht gesetzt. Die Terrororganisation könne keine grossangelegten Angriffe mehr durchführen.

Es ist ein Muster, das sich seit Monaten wiederholt: Die Armee muss immer wieder an Orte zurückkehren, an denen sich die Hamas trotz schweren Kämpfen offenbar neu aufstellen konnte. Die Armee beklagt inzwischen öffentlich, dass die Regierung keinen politischen Plan für die Zukunft des Gazastreifens formuliert habe, und befürchtet einen endlosen Krieg. Die Armeeführung hat bisher nicht bekanntgegeben, welche Ziele sie in Gaza-Stadt genau verfolgt.

Jüngst war es an verschiedenen Orten im Gazastreifen wieder zu heftigen Gefechten gekommen. Für viele Menschen im Gazastreifen bedeuten die sich ständig verschiebenden Kämpfe, dass sie erneut ihr Hab und Gut zusammenpacken und flüchten müssen. Im Krieg, in dem laut dem von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministerium bisher über 38 000 Menschen getötet wurden, sind mittlerweile rund 90 Prozent der Bewohner intern vertrieben. Viele von ihnen mussten bereits mehrfach fliehen. Laut Medienberichten wächst in Teilen der Bevölkerung inzwischen die Wut auf die Hamas.

Amerikanischer Pier wird wohl abgebaut

Derweil sorgen Berichte über mehrere Angriffe auf Schulen im Gazastreifen für internationale Kritik. Am Dienstag soll ein Luftangriff in der südlichen Stadt Khan Yunis eine Schule getroffen haben, in der Vertriebene Schutz gesucht hatten. Mindestens 25 Menschen sind dabei laut palästinensischen Angaben getötet worden. Dies liess sich nicht unabhängig überprüfen. Das israelische Militär teilte mit, das Ziel des Angriffs sei ein Hamas-Terrorist gewesen. Es kündigte an, die Berichte über zivile Opfer zu untersuchen. «Dass Menschen getötet werden, die in Schulen Schutz suchen, ist nicht hinnehmbar», teilte das deutsche Auswärtige Amt am Mittwoch mit. Die wiederholten Angriffe der israelischen Armee auf Schulen müssten aufhören.

Zudem bleibt die Versorgung der Bevölkerung mit humanitären Gütern ein grosses Problem. Am Mittwoch wurde bekannt, dass der temporäre Steg, den die USA an der Küste des Gazastreifens errichtet hatten, in den nächsten Tagen wohl permanent abgebaut wird. Davor sollen noch die letzten Hilfsgüter auf dem schwimmenden Pier an Land gebracht werden. Wegen schlechter Wetterbedingungen musste der Steg bereits mehrere Male repariert werden.

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