Die israelische Regierung will den Krieg im Gazastreifen ausweiten – und bereitet womöglich einen direkten Militärschlag in Jemen vor.

Am Sonntag wurden viele Israeli mit voller Kraft an den Krieg erinnert. In den Morgenstunden heulten die Alarmsirenen im Zentrum des Landes – erneut ein Angriff der Huthi-Miliz aus dem weitentfernten Jemen. In den vergangenen Tagen und Wochen wurden die ballistischen Raketen der Islamisten meist abgefangen. Nicht so diesmal.

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Die Huthi-Rakete schlug in der Nähe des grössten israelischen Flughafens in Tel Aviv ein, die Strasse zum Abflugterminal wurde beschädigt. Die israelischen Flugabwehrsysteme haben versagt. Mindestens sechs Personen wurden verletzt. Viele internationale Fluggesellschaften stellten ihre Flüge von und nach Israel für die nächsten Tage umgehend ein, darunter auch Swiss und Lufthansa.

Doch nicht nur die Flugpläne werden durcheinandergewirbelt. Zehntausende Israeli müssen in den nächsten Tagen zum Dienst an der Waffe erscheinen. Zunächst berichteten israelische Medien über die massenhafte Einberufung von Reservisten, dann bestätigte eine Quelle in den Streitkräften der NZZ die Mobilisierung.

Israels Regierung will den Krieg im Gazastreifen offenbar massiv ausweiten, um die Hamas zur Kapitulation und Freilassung der Geiseln zu zwingen. Am Abend wird das Kabinett über die erweiterten Militäroperationen in dem Küstenstreifen abstimmen – eine Zustimmung zu härteren Kämpfen in Gaza scheint ausgemacht.

Noch davor hat die Regierung über eine Reaktion auf den Huthi-Angriff beraten. Ein weiterer direkter Luftangriff Israels gegen die Islamisten in Jemen ist wahrscheinlich. In einer Videobotschaft sagte Ministerpräsident Benjamin Netanyahu am Sonntag, Israel sei in der Vergangenheit gegen die Huthi vorgegangen und werde das auch in Zukunft tun.

Israels Reservisten sind erschöpft

Viele Israeli hatten sich nach achtzehn Monaten Krieg mit der Situation arrangiert. Das normale Leben ist längst zurückgekehrt. Am Samstagnachmittag waren an den Stränden Tel Avivs alle Sonnenliegen belegt, Kinder badeten in den noch kühlen Wellen des Mittelmeers, und braungebrannte junge Männer spielten Matkot, das in Israel populäre Strandtennis. Der Krieg, der 70 Kilometer weiter südlich erbarmungslos tobt, schien in Vergessenheit geraten zu sein.

Jetzt werden Zehntausende junge Menschen wieder wochenlang aus ihrem Alltag gerissen und müssen in den Kampfeinsatz. Laut dem israelischen Nachrichtenportal «Ynet» werden einige der eingezogenen Reservisten im Gazastreifen kämpfen. Der Grossteil soll allerdings Berufssoldaten ersetzen, die derzeit an anderen Orten wie Israels Nordgrenze und dem Westjordanland im Einsatz sind und nach Gaza verlegt werden.

Noch bleibt offen, wie viele einberufene Reservisten tatsächlich zum Dienst erscheinen. Während zu Beginn des Krieges 100 Prozent aller mobilisierten Reservesoldaten die Waffe ergriffen, hat sich in den letzten Wochen Unzufriedenheit in Israels Volksarmee ausgebreitet. Teilweise aus politischen Gründen und immer öfter aus Erschöpfung verweigern laut Medienberichten derzeit rund 100 000 Israeli den Reservedienst, der bis zum vierzigsten Lebensjahr verpflichtend ist. Generalstabschef Eyal Zamir gestand jüngst ein, dass Israel wegen der fehlenden Reservisten seine Operationen nicht wie geplant durchführen könne.

Darüber, was die neue Offensive im Gazastreifen bewirken soll, gibt es unterschiedliche Angaben. Am vergangenen Donnerstag sagte Netanyahu, das wichtigste Kriegsziel sei der Sieg über die Hamas. Der oberste Militär Zamir widersprach dem Regierungschef tags darauf. Das höchste Ziel der Streitkräfte bleibe weiterhin, die 59 im Gazastreifen verbliebenen Geiseln zurückzubringen. Bis zu 24 der von der Hamas nach Gaza verschleppten Menschen sollen noch am Leben sein.

Katastrophe für die Menschen im Gazastreifen

Eines ist klar: Für die Menschen im Gazastreifen ist die Ausweitung der Kämpfe eine Katastrophe. Seit zwei Monaten blockiert Israel alle Hilfslieferungen in die Küstenenklave. In Gaza herrscht längst eine Hungerkrise, gemäss Angaben von lokalen Krankenpflegern ist jedes fünfte Kind unterernährt.

Selbst wenn Israel in Zukunft wieder Nahrungsmittel in den Gazastreifen hineinlassen sollte, wird eine Grossoffensive die Versorgungslage zwangsläufig weiter verschlimmern. Schon jetzt zwängen israelische Evakuierungsbefehle die über zwei Millionen Palästinenser «gewaltsam in dichtgedrängte, behelfsmässige Zonen», sagte Ende April Franz Luef von Ärzte ohne Grenzen im Gazastreifen. Nicht nur breiten sich so Krankheiten schneller aus, auch wird es für die Menschen in Gaza schwieriger, die wenigen verbliebenen Strassenküchen zu erreichen.

Die Terrororganisation Hamas scheint das unermessliche Leid der Palästinenser wenig zu kümmern. Im Gegenteil, der Terror gegen die eigene Bevölkerung nimmt zu: In den vergangenen Tagen hat die Hamas laut eigenen Angaben einen angeblichen Dieb exekutiert, der Hilfslieferungen gestohlen haben soll. Auch zirkulierte ein Video, das die Terroristen zeigt, wie sie einen Mann auf offener Strasse mit Eisenstangen verprügeln. Es muss daher bezweifelt werden, dass die Hamas einlenkt, wenn der militärische Druck Israels zunimmt und die Situation für die Zivilisten in Gaza noch unerträglicher wird.

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