Israel treibt für die Palästinenserbehörde Steuern ein – so will es das Oslo-Abkommen. Im eskalierten Konflikt nutzen beide Seiten diesen Umstand als Druckmittel.
Die israelische Regierung hat am Sonntag entschieden, palästinensische Steuergelder zur Verwahrung nach Norwegen zu überweisen. Es handelt sich um Gelder, mit denen die im Westjordanland regierende Palästinensische Autonomiebehörde (PA) ihre Mitarbeiter im Gazastreifen bezahlt. Seit dem Hamas-Angriff vom 7. Oktober weigert sich Israel, dieses Geld freizugeben – aus Sorge, es könnte in die Hände der Terroristen gelangen.
Künftig sollen die für den Gazastreifen bestimmten Steuergelder, die Israel im Namen der PA eintreibt, jeden Monat auf ein norwegisches Treuhandkonto überwiesen werden. Gemäss dem Entscheid ist es Oslo untersagt, diese Mittel ohne die ausdrückliche Genehmigung des israelischen Finanzministers an die Palästinenserbehörde oder eine Drittpartei zu überweisen. Die USA sollen als Garant für die Umsetzung des Abkommens fungieren.
Um zu verstehen, weshalb Israel überhaupt über palästinensische Steuergelder verfügt und was das mit Norwegen zu tun hat, ist ein Rückblick in die Geschichte nötig.
Ramallah überweist immer noch Löhne nach Gaza
Es ist eine Ironie des Nahostkonflikts, dass die jahrzehntelange Auseinandersetzung zwischen Israel und den Palästinensern nicht nur zu einer Entfremdung, sondern auch zu einer zunehmenden Verflechtung der beiden Seiten geführt hat. Entscheidend dabei waren die beiden Oslo-Abkommen der neunziger Jahre – so getauft, weil ihnen Geheimgespräche in der norwegischen Hauptstadt vorausgegangen waren. Damals schien der Frieden in greifbarer Nähe zu sein.
Im Rahmen dieser Abkommen wurde nicht nur die PA als Verwaltungsorgan geschaffen, sondern es wurde auch festgelegt, dass Israel im Namen der Behörde Steuern eintreibt und diese monatlich nach Ramallah überweist. Mit den Geldern bezahlte die PA unter anderem ihre Angestellten im öffentlichen Dienst, sowohl im Westjordanland wie auch im Gazastreifen.
Im Jahr 2007 errang jedoch die islamistische Hamas die Kontrolle über den Gazastreifen. Trotzdem behielten viele Angestellte der Behörde ihre Arbeitsplätze, die weiterhin mit den Steuergeldern aus Ramallah finanziert wurden. Nach dem Terrorangriff vom 7. Oktober entschied die israelische Regierung, zwar weiterhin Steuereinnahmen an die PA zu überweisen, aber den für Gaza bestimmten Anteil zurückzuhalten. Seither weigert sich die Behörde, die israelischen Zahlungen in der Höhe von rund 70 Millionen Franken anzunehmen, solange die Gaza-Gelder nicht auch ausbezahlt werden.
Die Autonomiebehörde rudert zurück
In den vergangenen Jahren war es mehrfach vorgekommen, dass Israel die Zahlung der Steuergelder vorübergehend einstellte oder diese teilweise zurückhielt, etwa weil Ramallah damit auch die Familien palästinensischer Terroristen unterstützt. Nun ist die PA seit Monaten nicht in der Lage, ihren Angestellten ihren vollständigen Lohn zu bezahlen. Davon betroffen sind auch die Sicherheitskräfte der Behörde, die in bestimmten Teilen des Westjordanlands für die Bekämpfung des Terrorismus zuständig sind.
Laut einem Medienbericht mahnte deshalb kürzlich der israelische Inlandsgeheimdienst Shin Bet, die palästinensischen Polizeikräfte könnten ihre Waffen aus Frustration über die ausbleibenden Saläre auf die israelische Armee richten, mit der sie eigentlich kooperieren sollten. Auch die USA haben Israel wiederholt dazu aufgerufen, die Gelder freizugeben, um eine Eskalation im Westjordanland zu vermeiden.
Der Entscheid vom Sonntag, die Gaza-Gelder in norwegische Hände zu geben, dürfte ein Versuch sein, aus dieser Sackgasse zu gelangen. Weil Israel damit faktisch nicht mehr über die Steuergelder verfügt, könnte die PA einwilligen, die übrigen Mittel wieder anzunehmen, so die Überlegung.
Im Westjordanland sorgte die Ankündigung jedoch zunächst nicht für Begeisterungsstürme. So liess die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO), die Dachorganisation der palästinensischen Fraktionen, verlauten, sie werde nur den vollen Betrag akzeptieren. Am Montag jedoch schien die PA zurückzurudern. So sagte der palästinensische Ministerpräsident Mohammed Shtayyeh, die Behörde lehne die Überweisung von Steuergeldern ins Westjordanland nicht ab, warte aber auf weitere Details. «Jedes Ergebnis der Konsultationen wird nicht auf Kosten unseres Engagements für den Gazastreifen und die dort lebenden Menschen gehen», sagte Shtayyeh.