Donnerstag, Oktober 10

Seit zehn Tagen operieren israelische Truppen in Südlibanon. Am Donnerstag wurde offenbar eine Basis der Uno-Friedenstruppen beschossen. Derweil bleibt unklar, wie der jüdische Staat auf den iranischen Raketenangriff vom 1. Oktober reagieren wird.

Der sogenannte «iranische Garten» im südlibanesischen Dörfchen Maroun al-Ras war ein propagandistisches Prunkstück der iranisch geführten «Achse des Widerstands». Auf der Anlage, die im Jahr 2010 vom damaligen iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinejad höchstpersönlich eingeweiht wurde, stand etwa ein kleines Replikat der Jerusalemer Al-Aksa-Moschee. Später wurde auch eine Statue von Kassem Soleimani dort errichtet, jenem Kommandanten der iranischen Revolutionswächter, der im Januar 2020 durch eine amerikanische Drohne in Bagdad getötet wurde.

Der Garten symbolisierte die enge Zusammenarbeit zwischen Iran und dem libanesischen Hizbullah – zudem konnte die Schiitenmiliz von diesem erhöhten Punkt aus israelisches Gebiet observieren. Die Anlage befindet sich nur rund 700 Meter von der Grenze entfernt. Nun weht dort statt der iranischen Flagge die israelische, die Al-Aksa-Kopie und die Soleimani-Statue wurden dem Erdboden gleichgemacht. Dies zeigen Bilder und Videos, die in den sozialen Netzwerken verbreitet wurden.

Seit rund zehn Tagen operieren die israelischen Streitkräfte (IDF) im Rahmen einer laut eigenen Angaben «begrenzten Bodenoffensive» im südlichen Libanon. Zuletzt verlegten die IDF eine vierte Division an die israelische Nordgrenze, wo nunmehr 15 ooo Soldaten im Einsatz sind. So weit bekannt, beschränken sich ihre Vorstösse auf das unmittelbare Grenzgebiet. Gemäss den IDF sind die Truppen damit beauftragt, Infrastruktur des Hizbullah ausfindig zu machen und zu zerstören.

Unifil-Basis wird beschossen

Dabei kommt aber offenbar nicht nur der Hizbullah unter Beschuss. Laut der Uno haben israelische Truppen am Donnerstag das Feuer auf das Hauptquartier der Unifil-Friedenstruppe im Küstenort Naqoura eröffnet, wobei angeblich zwei Blauhelm-Soldaten verletzt wurden. Jeder vorsätzliche Angriff auf Friedenstruppen stelle einen schweren Verstoss gegen das «humanitäre Völkerrecht» dar, liess die Uno verlauten. Die israelische Armee hat den Vorfall bislang nicht kommentiert.

Zuvor hatte der Hizbullah mitgeteilt, er habe einen israelischen Panzer im Grenzgebiet von Naqoura mit Lenkflugkörpern angegriffen. Wie es genau zum Beschuss der Unifil-Basis kam, bleibt weiterhin unklar. Zuletzt hatte die israelische Armee die internationale Friedenstruppe aufgefordert, ihre Einrichtungen im Grenzgebiet zu verlassen, diese hat sich der Anweisung allerdings widersetzt. So befinden sich weiterhin zahlreiche Blauhelme in der Kampfzone, während sich Israel und der Hizbullah gegenseitig heftig beschiessen.

Während israelische Bodentruppen vielerorts nur wenige hundert Meter auf libanesisches Gebiet vorgestossen sind, operiert Israels Luftwaffe in ganz Südlibanon. In den vergangenen Tagen hat sie nach eigenen Angaben mehr als 1100 Luftangriffe gegen Hizbullah-Kämpfer, Waffenlager und Tunnel durchgeführt. Für mehrere Dutzend Dörfer in Südlibanon haben die IDF Evakuierungsbefehle herausgegeben. Rund 1,2 Millionen Menschen sind infolge der intensivierten Kämpfe in Libanon auf der Flucht.

Auch der Hizbullah hat zuletzt seinen Raketenbeschuss gegen Israel verstärkt. Jeden Tag feuert er Dutzende Geschosse auf israelische Dörfer und Städte. Am Mittwoch wurden dabei zwei israelische Zivilisten getötet und mehrere weitere verletzt. Zudem sind im Rahmen der Bodenoffensive bisher zwölf Soldaten gefallen. Derweil geben die IDF an, bereits Hunderte Hizbullah-Kämpfer getötet zu haben. Laut libanesischen Angaben wurden durch den israelischen Beschuss in den vergangenen Wochen mehr als 2000 Menschen getötet. Es ist unklar, wie viele davon dem Hizbullah angehörten.

Sinneswandel beim Hizbullah?

Eine Entspannung der Situation ist derzeit nicht in Sicht. Dennoch sorgte am Dienstag ein Auftritt von Naim Kassem, dem stellvertretenden Vorsitzenden des Hizbullah, für Aufsehen. Seine Miliz unterstütze die Bemühungen der libanesischen Regierung, einen Waffenstillstand auszuhandeln, sagte Kassem – ohne dabei eine Waffenruhe für den Gazastreifen zu fordern. Bisher hatte der Hizbullah stets gelobt, seinen Beschuss erst dann einzustellen, wenn auch in Gaza die Waffen schweigen.

Es ist jedoch unklar, ob im Hizbullah tatsächlich ein Sinneswandel stattgefunden hat. Jedenfalls bemüht sich die libanesische Regierung um Ministerpräsident Najib Mikati händeringend um ein Ende der Feindseligkeiten. Die diplomatischen Kontakte zu den USA und Frankreich mit dem Ziel, einen Waffenstillstand zu erreichen, hätten sich zuletzt intensiviert, sagte Mikati am Donnerstag.

Die USA allerdings, die noch vor kurzem eine Initiative für einen 21-tägigen Waffenstillstand vorangetrieben hatten, haben sich inzwischen wieder unmissverständlich an die Seite Israels gestellt. Washington unterstütze die israelische Bodenoffensive und habe seine Pläne für einen Waffenstillstand fallengelassen, sagte ein Sprecher des Weissen Hauses am Dienstag.

Joe Bidens Frustration

Gleichzeitig scheinen sich die amerikanisch-israelischen Beziehungen zuletzt stark abgekühlt zu haben. Laut einem Bericht des «Wall Street Journal» ist die Biden-Regierung zunehmend frustriert darüber, dass sie von Israel in Bezug auf den angekündigten Vergeltungsschlag gegen Iran völlig im Dunkeln gelassen wird. Zwar haben Joe Biden und Benjamin Netanyahu am Mittwoch zum ersten Mal seit rund zwei Monaten wieder miteinander gesprochen. Gleichzeitig wurde eine geplante Reise des israelischen Verteidigungsministers Yoav Gallant in die USA auf unbestimmte Zeit verschoben.

Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass Israel tatsächlich einen grösseren Angriff auf Iran plant und verhindern will, dass seine Pläne über «Leaks» in Washington an die Öffentlichkeit gelangen. Zuletzt hatte Gallant am Mittwoch verkündet, die israelische Reaktion auf den iranischen Angriff mit 180 ballistischen Raketen am 1. Oktober werde «überraschend und tödlich» sein. «Iran wird nicht verstehen, was passiert ist und wie», sagte Gallant. Für Donnerstagabend wurde ein Treffen des Sicherheitskabinetts angesetzt, um die mögliche Vergeltung gegen Iran zu beraten.

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