Dienstag, Oktober 1

Israel hat schlechte Erfahrungen mit Bodenoffensiven in Libanon gemacht. Aus taktischer Sicht ist der jetzige Einmarsch berechtigt – doch ist er auch Teil einer Strategie?

Fast ein Jahr lang hat Israel zugeschaut. Es liess zu, dass der Hizbullah jeden Tag Raketen abfeuerte und damit Zehntausende Israeli aus ihren Häusern vertrieb. Damit ist seit einigen Tagen Schluss: Mit explodierenden Pagern, massiven Luftangriffen sowie der Tötung von Hassan Nasrallah und einem grossen Teil der Hizbullah-Führung hat Israel die Schiitenmiliz in atemberaubendem Tempo in die Enge getrieben. Nun zieht es den Schraubstock weiter an: Seit Montagnacht sind auch Bodentruppen im südlichen Libanon im Einsatz.

Es handle sich um eine «begrenzte» Operation, so heisst es aus Israel, eine Besetzung des südlichen Libanon sei nicht geplant. So soll in erster Linie Hizbullah-Infrastruktur in Grenznähe unschädlich gemacht werden, um die Rückkehr der Bewohner Nordisraels in ihre Häuser zu ermöglichen und der Schiitenmiliz die Möglichkeit zu nehmen, Überfälle auf Israel durchzuführen.

Wie weit muss Israel vorstossen?

Tatsächlich ist der Hizbullah in den vergangenen Jahren unmittelbar an die israelische Grenze herangerückt. In den Monaten nach dem Hamas-Massaker feuerten die libanesischen Islamisten etwa immer wieder Panzerabwehrwaffen aus libanesischen Dörfern auf israelische Wohnhäuser ennet der Grenze. Schon lange wurde in Israel zudem davon ausgegangen, dass sich der Hizbullah seit 2006 auf eine grosse Invasion in israelisches Staatsgebiet vorbereitet hat, begleitet von schwerem Raketenbeschuss.

Insofern ist es ein völlig legitimes Ziel, den Hizbullah aus dem Grenzgebiet zu vertreiben. Dennoch drängen sich mehrere Fragen auf: Wie weit muss Israel vorstossen, um dieses Ziel zu erreichen? Wie lässt sich verhindern, dass der Hizbullah nicht umgehend zurückkehrt, wenn die Bodenoffensive abgeschlossen ist? Wer wird danach die Kontrolle über diese Gebiete ausüben? Es sind dieselben Fragen, die sich auch im Gazastreifen stellen.

Israel hat schlechte Erfahrungen mit Bodenoffensiven in Libanon gemacht. Der Vormarsch von 1982 begann ebenfalls als «begrenzte Operation» und endete in einer fast zwei Jahrzehnte dauernden Besetzung einer Pufferzone. Im Krieg von 2006 konnte Israel keinen Sieg erringen und zog sich im Rahmen einer Uno-Resolution zurück, die sich als wirkungslos herausstellte. Der Hizbullah wurde danach stärker als je zuvor.

Der Hizbullah hat den Heimvorteil

Zwar brauchte Israel diesmal nur wenige Tage, um die Schiitenmiliz mit List und Luftangriffen an den Rand des Kollapses zu drängen. Doch im Nahkampf gelten andere Regeln. Es wird zwangsläufig zu Feuergefechten kommen, die israelische Soldaten das Leben kosten werden. Der Hizbullah verfügt nach wie vor über Tausende Kämpfer, die überaus motiviert sind, ihre Heimat zu verteidigen. In den Hügeln des südlichen Libanons, die von Tunneln und Bunkern durchsetzt sind, haben sie den Heimvorteil.

Nicht wenige im Hizbullah blicken deshalb fast schon mit Vorfreude auf die bevorstehenden Gefechte. Der Kampf gegen Israel ist der Gründungsmythos und die Existenzberechtigung der Miliz. Wenn sie sich nun wieder als Verteidigerin des Zedernstaats aufspielen kann, bietet sich die Gelegenheit, ihr durch die jüngsten Niederlagen ramponiertes Image wieder aufzubessern.

So ist die Gefahr durchaus real, dass sich Israels «begrenzte Operation» erneut in eine zähe und kostspielige Kampagne verwandelt. Diese würde die israelische Bevölkerung und die angeschlagene Wirtschaft zusätzlich belasten. Selbst wenn der Hizbullah erfolgreich aus dem Grenzgebiet zurückgedrängt werden kann, könnte er den Raketenbeschuss von weiter nördlich fortsetzen. Die Bewohner von Israels Norden müssten weiterhin in ständiger Gefahr leben.

Israel muss also beweisen, dass es aus den Fehlern der vergangenen Jahre die richtigen Lehren gezogen hat. Es gilt, die taktischen Erfolge des Militärs in langfristige strategische Errungenschaften umzumünzen. Dafür wird es neben militärischem Druck auch diplomatisches Geschick brauchen. Aus einer Position der Stärke lassen sich die eigenen Interessen am besten durchsetzen. Israel wird nicht nur eine klare Exit-Strategie für seine Truppen aus Libanon brauchen, sondern auch die diplomatische Unterstützung von seinen internationalen Partnern, die ebenfalls an einer Schwächung des Hizbullah interessiert sind.

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