Montag, November 25

Die Abneigung der Israeli gegenüber dem Palästinenserhilfswerk ist nachvollziehbar. Doch ein überhastetes Verbot der Organisation ohne Alternativlösung birgt grosse Risiken und verschärft die humanitäre Lage.

Harmonisch war das Verhältnis zwischen Israel und dem Palästinenserhilfswerk UNRWA nie. Doch am Montagabend wurde ein neuer Tiefpunkt erreicht: Das israelische Parlament entschied mit grosser Mehrheit, die Organisation einerseits aus Israel zu verbannen und andererseits israelischen Behörden jeden Kontakt zur UNRWA zu verbieten. Noch ist unklar, wie die beiden Gesetze genau umgesetzt werden. Doch sie zielen eindeutig darauf ab, die Arbeit des umstrittenen Hilfswerks in Israel zu verunmöglichen und im besetzten Westjordanland und im Gazastreifen massiv zu erschweren.

Der drastische Schritt hat eine lange Vorgeschichte. Schon seit Jahren wirft Israel der UNRWA vor, in Schulbüchern antisemitische Inhalte zu verbreiten und von der Hamas unterwandert zu sein. In den Augen vieler Israeli ist die Organisation eine Brutstätte des Judenhasses, die es abzuschaffen gilt. Als am 7. Oktober 2023 Hamas-Terroristen in Israel einfielen und wahllos mordeten, waren mehrere Mitarbeiter der UNRWA beteiligt – zu diesem Schluss kam auch eine interne Untersuchung der Uno. Erst vergangene Woche wurde zudem bekannt, dass ein Hamas-Kommandant, der an der Tötung und Entführung mehrerer Israeli beteiligt gewesen war, seit mehr als zwei Jahren für das Hilfswerk gearbeitet hatte.

Eine Stelle bei der UNRWA, die im Gazastreifen faktisch staatliche Aufgaben übernimmt, bedeutet für Hamas-Mitglieder Zugang zu Informationen, Geld und Macht. Die Islamisten missbrauchen die Organisation seit Jahren für ihre Zwecke. Das Hilfswerk und die Vereinten Nationen waren und sind entweder nicht fähig oder nicht willens, die offenkundigen Missstände zu korrigieren – stattdessen spielen sie diese bis heute mit Worthülsen herunter.

Israel will Änderungen erzwingen

Dennoch ist der Entscheid der Knesset, das Hilfswerk faktisch zu verbieten, unüberlegt und überhastet – Israel schafft damit mehr Probleme, als es löst. Das humanitäre Engagement der UNRWA im verwüsteten Gazastreifen ist für Hunderttausende Palästinenser lebensnotwendig. Keine andere Organisation verfügt derzeit über die personellen Ressourcen, um diese Aufgabe zu stemmen. Werden der UNRWA, die auf die Kooperation mit den Israeli angewiesen ist, die Hände gebunden, dürfte das die katastrophale Lage weiter verschärfen.

Israel hat zwar gelobt, die Versorgung der palästinensischen Bevölkerung mit Hilfsgütern weiterhin mithilfe von internationalen Partnern sicherstellen zu wollen. Doch eine Antwort darauf, wie das innerhalb von drei Monaten bewerkstelligt werden soll, bleibt der jüdische Staat bis jetzt schuldig. Dies scheint schlicht unrealistisch, zumal Israel im vergangenen Jahr eindeutig zu wenig unternommen hat, um eine angemessene Versorgung mit Hilfsgütern zu ermöglichen. Mitte Oktober drohten die USA gar mit einem Stopp der Waffenlieferungen, sollte sich die Lage nicht innerhalb von 30 Tagen bessern.

Die gravierenden Probleme sind allerdings von der Hamas mitverursacht. Die Islamisten kapern regelmässig Hilfslieferungen, um diese selbst zu verteilen und damit ihre Macht zu festigen. Hilfsorganisationen beklagen sich, dass unter diesen Umständen eine wirksame Verteilung nicht möglich sei. Die UNRWA scheint dagegen machtlos zu sein – sie prangert das Problem aber auch nicht an. Gleichzeitig haben die Vereinten Nationen keine nennenswerten Schritte unternommen, um mit alternativen Organisationen wie dem Flüchtlingshilfswerk UNHCR oder dem Welternährungsprogramm die Versorgung zu verbessern.

Das UNRWA-Verbot ist offenkundig ein Versuch Israels, eine Veränderung zu erzwingen. Dieses Vorgehen mit dem Vorschlaghammer ist jedoch falsch – es dürfte weder bei der Uno noch bei den Partnern des jüdischen Staates für Verständnis oder Hilfsbereitschaft sorgen. Laut Medienberichten hatte Israels Sicherheitsapparat die Parlamentarier noch vor den potenziell gravierenden Konsequenzen auf internationaler und humanitärer Ebene gewarnt – allerdings wollte sich niemand, auch nicht Ministerpräsident Netanyahu, als Verteidiger der UNRWA aufspielen und sich gegen das Gesetz stellen.

Sechs Millionen Menschen sind von der UNRWA abhängig

Gleichzeitig geht es bei Israels Anti-UNRWA-Kampagne um sehr viel mehr als nur um Hilfsgüter. Die UNRWA, geschaffen im Jahr 1949 als temporäre Lösung für damals 700 000 geflüchtete Palästinenser, versorgt aufgrund der Vererbbarkeit des Flüchtlingsstatus heute sechs Millionen Menschen in der ganzen Region, denen die Uno das Recht auf eine Rückkehr in die alte Heimat versprochen hat. So hat die UNRWA die Palästinenser in eine scheinbar ewige Abhängigkeit gedrängt, während sich die palästinensische Führung, aber auch Israel und seine arabischen Nachbarstaaten bequem aus der Verantwortung für diese Menschen ziehen konnten.

Israel scheint darauf zu hoffen, mit der UNRWA auch die Flüchtlingsproblematik verschwinden lassen zu können und damit unilateral eine Änderung der bisher geltenden Spielregeln herbeizuführen. Doch damit werden sich weder die grundlegenden Probleme des Nahostkonflikts noch die Bedürfnisse der von der UNRWA versorgten Menschen in Luft auflösen. Israel, aber auch die Vereinten Nationen sind gefordert, gemeinsam realistische Lösungen auszuarbeiten. Hüftschuss-Aktionen wie das UNRWA-Verbot helfen jedoch niemandem, sondern drohen noch grösseres Leid über die palästinensische Bevölkerung zu bringen.

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