Zunächst hatte Israel behauptet, die Ambulanzen hätten ihre Lichter ausgeschaltet gehabt. Die letzten Aufnahmen eines der Todesopfer zeigen: Die Getöteten waren klar als medizinisches Personal zu erkennen.

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Auf dem Smartphone eines getöteten Sanitäters wurde ein Video gefunden, das die israelische Armee in Bedrängnis bringt. Offenbar haben israelische Soldaten am 23. März im südlichen Gazastreifen das Feuer auf Ambulanzen eröffnet, obwohl sie als solche zu erkennen waren. Das zeigen Aufnahmen, die die «New York Times» am Samstag zuerst veröffentlichte. Medizinisches Personal geniesst völkerrechtlich einen besonderen Schutz – Angriffe auf Sanitäter stellen ein Kriegsverbrechen dar.

Ein Feuerwehrauto und mehrere Ambulanzen fahren kurz vor der Morgendämmerung über eine schmale Strasse im südlichen Gazastreifen. Nach rund einer Minute sind Männer am Strassenrand zu sehen. Sie tragen reflektierende Kleidung, die sie als Sanitäter ausweist. Der filmende Mann steigt aus dem Fahrzeug mit der gesplitterten Windschutzscheibe, und nahezu im selben Moment sind ohne vorherige Warnung Schüsse zu hören.

Am vergangenen Montag wurden laut Uno-Angaben die Leichen von acht Sanitätern des Palästinensischen Roten Halbmondes, sechs Zivilschützern sowie einem UNRWA-Mitarbeiter geborgen. Es handelt sich um die Männer, die eine Woche zuvor von israelischen Soldaten erschossen wurden, ein Mitarbeiter des Roten Halbmonds wird bis heute vermisst.

Leichen mit Uniform verscharrt

Nach dem Angriff verscharrten die israelischen Soldaten die Todesopfer sowie die Fahrzeuge am Strassenrand. Die Helfer hätten noch ihre Uniformen und Handschuhe getragen, sagte Jonathan Whittall, Leiter des Palästina-Büros der Uno-Nothilfekoordination, der bei der Ausgrabung der Leichen vor Ort war.

Zunächst hatte die israelische Armee wenige Tage nach dem schaurigen Fund behauptet, die Ambulanzen hätten sich auf verdächtige Art israelischen Soldaten genährt, ihre Warnlichter seien ausgestellt und die Fahrt zuvor nicht mit den Truppen koordiniert gewesen. Das Video, das der NZZ vorliegt, zeigt den Konvoi mit eingeschalteten Lichtern.

Sobald die Schüsse fallen, fleht der Filmende Gott um Gnade an, während die Soldaten für fünf weitere Minuten feuern. «Mutter, vergib mir. Dies ist der Weg, den ich gewählt habe – Menschen zu helfen», ruft der Mann. «Gott ist gross.» Es sind seine letzten Worte. Als das Video schliesslich abbricht, sind unverständliche Rufe auf Hebräisch zu hören.

Israel gesteht Falschaussage ein

Ein Beamter des israelischen Militärs sagte Journalisten am Samstagabend, dass Soldaten kurz zuvor auf ein Gefährt am selben Ort geschossen hätten, in welchem drei Hamas-Mitglieder gefahren sein sollen. Nebal Farsakh, die Sprecherin des Palästinensischen Roten Halbmonds, sagte der BBC, dass die Männer in dem Video unterwegs zu einer Ambulanz gewesen seien, zu der sie den Kontakt verloren hätten.

Laut den israelischen Streitkräften seien die Soldaten vorher von der Luftüberwachung über einen Konvoi informiert worden, der sich dem mutmasslichen Hamas-Auto «verdächtig» nähere. Als die Ambulanzen neben dem Auto angehalten hätten, seien die Soldaten davon ausgegangen, dass sie bedroht würden und hätten das Feuer eröffnet, hiess es von dem israelischen Militärbeamten.

Die ursprüngliche Aussage über die ausgeschalteten Lichter der Fahrzeuge war laut der Armee falsch gewesen. Dies hätten Soldaten vor Ort berichtet. Die Leichen der fünfzehn Männer seien im Sand begraben worden, damit wilde Tiere die Körper nicht abfrässen. Laut den israelischen Streitkräften (IDF) ist das eine Routinepraxis bei Einsätzen im Gazastreifen.

Gegend erst später als Kampfzone ausgewiesen

Aus palästinensischen Quellen ist zu hören, dass eine der Leichen gefesselt gefunden wurde. Die israelische Armee bestreitet das, bestätigt jedoch, dass die Sanitäter unbewaffnet waren, als die Soldaten das Feuer eröffneten. Bei einer Pressekonferenz am Freitag sagte der Präsident des Roten Halbmonds, Yunis al-Khatib, die Männer seien aus sehr kurzer Distanz erschossen worden.

Zunächst hatte es seitens des israelischen Militärs geheissen, dass der Konvoi seine Route nicht mit den IDF koordiniert habe. Eine Mitarbeiterin einer Hilfsorganisation, die anonym bleiben möchte, widerspricht dieser Aussage im Gespräch. Der Ort sei zum betreffenden Zeitpunkt keine offiziell ausgewiesene Kampfzone gewesen, die Sanitäter hätten ihre Fahrt daher nicht anmelden müssen. Tatsächlich hat ein israelischer Armeesprecher die Gegend erst um 8 Uhr 31 an dem Tag als Kampfgebiet ausgewiesen – Stunden nach den Schüssen auf die Sanitäter.

Laut den IDF sollen sechs der getöteten Männer Hamas-Mitglieder gewesen sein. Die Armee hat dafür bislang keine Beweise vorgelegt. Derzeit beschäftige sich eine Untersuchungseinheit im Generalstab mit der Aufklärung des Vorfalls. In der Vergangenheit hatte die Hamas medizinische Infrastruktur benutzt, um sich dahinter zu verstecken. So hatten die IDF Waffen in Spitälern gefunden und gezeigt, wie sich die Hamas in Tunneln unter Gesundheitseinrichtungen verschanzt.

Für humanitäre Helfer wird es immer schwieriger

Seit dem Bruch der Waffenruhe am 18. März hat sich die humanitäre Lage im Gazastreifen massiv verschlechtert. Die Arbeit für humanitäre Helfer wird durch die neuerlichen israelischen Angriffe und die Blockade von Hilfslieferungen erschwert. Von Hilfsorganisationen im Gazastreifen ist zu hören, dass die Koordinierung von Einsätzen mit der israelischen Armee seit der Wiederaufnahme der Kämpfe schwieriger geworden sei.

«Medizinisches Personal und Fahrzeuge stehen unter dem Schutz des Völkerrechts», sagt Sarah Davies, Sprecherin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz, in Jerusalem im Gespräch. «Sie sind Ersthelfer, die Lebensader für Zivilisten, vor allem bei den sich jetzt häufenden Vorfällen mit einer Vielzahl von Verletzten.» Alle Konfliktparteien müssten medizinisches Personal besonders schützen.

Der Angriff vom 23. März ist besonders gravierend. Dylan Winder, der Repräsentant der Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften bei der Uno, nannte den Vorfall in Tar al-Sultan den «tödlichsten Angriff» auf Mitarbeiter des Roten Kreuzes oder Roten Halbmonds weltweit seit 2017.

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