Samstag, November 2

Der Einsatz in Jenin richtete sich gegen drei Palästinenser, die angeblich einen Terroranschlag planten. Einer von ihnen lag seit Wochen gelähmt im Bett. Das Vorgehen wirft ernste Fragen auf.

Sie kamen verkleidet als Ärzte, Pfleger und Zivilistinnen, ihre Gewehre unter Arztkitteln und langen Mänteln versteckt. Im dritten Stock des Spitals stürmten sie ein Krankenzimmer und töteten einen Patienten und zwei seiner Besucher mit Kopfschüssen. So schildern es Ärzte des Ibn-Sina-Spitals in Jenin, und so ist es in Ausschnitten auf einem Überwachungsvideo zu sehen. Der Einsatz im nördlichen Westjordanland am Dienstag dauerte nur fünfzehn Minuten, doch die Art des Vorgehens dürfte noch länger zu reden geben.

Laut der Mitteilung der israelischen Sicherheitskräfte galt die Aktion des Inlandgeheimdiensts und der Grenzpolizei dem Hamas-Mitglied Mohammed Jalamnah und den Brüdern Basel und Mohammed Ghazawi. Sie hätten in dem Spital einen Terrorangriff geplant. Die Hamas bestätigte, dass Jalamnah Mitglied der Kassam-Brigaden war, des militärischen Flügels der Hamas. Der Islamische Jihad meldete, die Ghazawi-Brüder hätten zu seiner Jenin-Zelle gehört.

Jalamnah und Mohammed Ghazawi hätten sich in dem Spital versteckt, hiess es von israelischer Seite. Der Direktor des Ibn-Sina-Spitals, Niji Nazzal, sagte aber gegenüber Medien, die Männer hätten lediglich Basel Ghazawi besucht. Dieser sei in dem Spital in Behandlung gewesen, seitdem er am 25. Oktober bei einem israelischen Drohnenangriff am Rückgrat verletzt worden sei. Wegen der Verletzung sei er teilweise gelähmt gewesen und habe das Bett nicht verlassen können.

Heimtücke ist ein Kriegsverbrechen

Ein Sprecher des Spitals sagte gegenüber den Medien, es habe bei dem Einsatz zur Tötung der Männer keinen Schusswechsel gegeben. Sollte Basel Ghazawi tatsächlich wehrlos im Bett gelegen haben, wirft dies ernste Fragen auf. Die Kriegsrechtsexpertin Janina Dill von der Universität Oxford erklärte, die Tötung von verletzten Kämpfern sei ein Verstoss gegen das Völkerrecht. Zudem habe die Verkleidung als Pfleger und Ärzte womöglich gegen das gesetzliche Verbot der Heimtücke in bewaffneten Konflikten verstossen.

Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz mahnte, gemäss dem humanitären Völkerrecht müssten Spitäler und Patienten zu allen Zeiten geschützt werden. Das Spital in Jenin war im vergangenen Jahr schon wiederholt Ziel von israelischen Razzien. Es liegt am Rande des Flüchtlingslagers von Jenin, das eine Hochburg palästinensischer Extremisten ist. Es ist regelmässig Schauplatz von Militäreinsätzen, bei denen es oft zu heftigen Schusswechseln kommt.

Schon vor dem Hamas-Massaker in Israel am 7. Oktober, das der Auslöser für den jüngsten Krieg im Gazastreifen war, war die Lage im Westjordanland höchst angespannt. Seit Beginn des Gaza-Krieges hat die israelische Armee auch in Städten wie Jenin, Tulkarem und Nablus ihre Razzien verstärkt. Allein in Jenin gab es 23 Militäreinsätze, in Tulkarem im Schnitt eine Razzia pro Woche. Ziel ist meist die Festnahme gesuchter Extremisten oder die Zerstörung von Waffenlagern.

Tausende Palästinenser in israelischer Haft

Bei den Militäreinsätzen werden oft auch Häuser zerstört. Teils handelt es sich um gezielte Strafaktionen, teils sind die Zerstörungen Folge von Kämpfen. Laut dem palästinensischen Gesundheitsministerium wurden seit dem 7. Oktober im Westjordanland insgesamt rund hundert Gebäude zerstört, über 600 Einwohner hätten dadurch ihr Zuhause verloren. In diesem Zeitraum seien zudem 381 Palästinenser getötet worden. Die Uno und die israelische Menschenrechtsorganisation B’tselem nennen ähnliche, aber etwas niedrigere Zahlen.

Seit dem 7. Oktober haben die israelischen Sicherheitskräfte nach eigenen Angaben knapp 3000 Palästinenser festgenommen, darunter 1350 Hamas-Mitglieder. Laut der Palestinian Prisoners Society liegt die Zahl der Festnahmen im Westjordanland über 6400. Insgesamt sässen heute 8800 Palästinenser in israelischen Gefängnissen, davon rund 3300 in Administrativhaft. Diese kann ohne Urteil beliebig oft verlängert werden. Auch palästinensische Häftlinge, die im November im Zuge des Abkommens mit der Hamas im Tausch gegen Geiseln freigekommen waren, sollen wieder inhaftiert worden sein.

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