Montag, September 30

In weniger als einer Woche hat Israel der Schiitenmiliz schwere Schläge versetzt. Doch die Strategie des jüdischen Staates ist riskant – für Euphorie ist es zu früh.

Israel macht Ernst, bitteren Ernst. Die schweren Bombardements von Hunderten Hizbullah-Stellungen in Libanon am Montag sind der jüngste Beleg dafür, dass der lange vor sich hin köchelnde Grenzkrieg zwischen der Schiitenmiliz und dem jüdischen Staat eine neue Dimension erreicht hat. Die vielbeschworene Schwelle zu einem offenen Krieg ist womöglich bereits überschritten. Israel scheint gewillt, militärische Fakten zu schaffen, um endlich für Ruhe in seinem Norden zu sorgen.

Am Montag hat Libanon seinen blutigsten Tag seit Jahrzehnten erlebt. Während der 34-tägige Krieg von 2006 insgesamt 1200 Todesopfer forderte, wurden nun an einem einzigen Tag rund 500 Personen getötet und weit über tausend verletzt. Wie viele davon Kämpfer der islamistischen Miliz Hizbullah waren, ist bislang unklar. Israel hatte vor den Luftangriffen die Zivilbevölkerung in den betroffenen Gebieten gezielt zur Flucht aufgefordert.

Aus israelischer Sicht ist die jüngst angekündigte «neue Phase des Krieges» – die Priorisierung der Nordfront gegenüber dem Gazastreifen – ein Erfolg. In weniger als einer Woche hat Israel Teile der internen Hizbullah-Kommunikation lahmgelegt, die Militärführung der Miliz arg dezimiert und Teile ihres riesigen Raketenarsenals zerstört. Im jüdischen Staat scheint derzeit so etwas wie Euphorie aufzukommen – doch ist diese wirklich angezeigt?

Der Hizbullah fürchtet um seinen Ruf

Israels Kalkül scheint klar: Es will das Libanon-Problem vom Gaza-Problem entkoppeln. Durch militärischen Druck soll der Hizbullah-Chef Hassan Nasrallah dazu gezwungen werden, den Beschuss Israels einzustellen, ohne dass zuvor ein Waffenstillstand im Gazastreifen ausgehandelt wird. An dieser Bedingung hält Nasrallah bisher eisern fest.

Es wäre jedoch verfrüht, den geschwächten Hizbullah bereits abzuschreiben. Sein Raketenarsenal ist mobil einsetzbar und gut versteckt. Die Miliz verfügt über ein breites Netz an kampferprobten Kommandanten und hat militärische Fähigkeiten, die manch eine staatliche Armee in den Schatten stellen. Nicht zuletzt ist der Hizbullah die Speerspitze der iranisch geführten «Achse des Widerstands» und bildet gemeinsam mit zahlreichen proiranischen Milizen eine Einheitsfront des Terrors gegen Israel.

Nun, da die Miliz und ihr Ansehen empfindliche Rückschläge erlitten haben, wird sie sich umso mehr bemühen, Stärke und Entschlossenheit zu demonstrieren. Es ist nicht davon auszugehen, dass sie das nahöstliche Credo von «Auge um Auge, Zahn um Zahn» einfach aufgibt. Je stärker sich der gegenseitige Beschuss intensiviert und je mehr Zivilisten dabei zu Schaden kommen, desto grösser ist das Risiko, dass der Konflikt aus dem Ruder läuft und sich im schlimmsten Fall zu einem regionalen Flächenbrand ausweitet.

Was tut Iran?

Auch für Iran, wo die Fäden der anti-israelischen Terrorstrategie zusammenlaufen, stellen die jüngsten Entwicklungen ein Dilemma dar. Der Hizbullah ist der wichtigste strategische Aktivposten des Regimes in Teheran, das 150 000 Geschosse fassende Raketenarsenal der Miliz ist ein zentrales Element der iranischen Abschreckung. Tut Iran nun nichts, droht es diese Trumpfkarte zu verspielen. Greift es aber aktiv gegen Israel ein, wird es diesen Krieg wohl nicht mehr vom eigenen Staatsgebiet fernhalten können. So könnte sich Teheran gezwungen sehen, den Hizbullah zur Deeskalation anzuhalten und auf diplomatischem Wege für Ruhe zu sorgen.

Eine solche Ruhe wäre aber nur von vorübergehender Natur. Die langfristige Bedrohung Israels durch die «Achse des Widerstands» bliebe auch nach einem Waffenstillstand bestehen.

Doch lässt sie sich überhaupt aus der Welt schaffen? Das ist zweifelhaft. Selbst wenn Israel eine Bodenoffensive in Südlibanon lancieren sollte – worauf es derzeit kaum Anzeichen gibt –, wäre ein Sieg über die Schiitenmiliz keineswegs garantiert, während die Belastung für den Staat und seine kriegsmüde Bevölkerung weiter steigen würde.

Womöglich ist deshalb eine vorübergehende Ruhe, ermöglicht durch die kurzfristige militärische Schwächung des Hizbullah, genau das, was Israel jetzt braucht. Sie würde dem jüdischen Staat Zeit verschaffen, um sich neu aufzustellen und gemeinsam mit seinen internationalen Partnern eine Strategie auszuarbeiten, wie man die «Achse des Widerstands» nachhaltig eindämmen kann.

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