Freitag, Dezember 27

Was macht der Krieg mit den Soldaten, die gekämpft haben? Zu Besuch bei jenen, die verwundet wurden – und jenen, die bereits die nächste grosse Schlacht vorbereiten.

In den Sekunden, in denen seine Liebsten an seinem inneren Auge vorbeizogen, lag Menachem auf einer freien Fläche im nördlichen Gazastreifen. Im Körper des jungen Israeli steckten unzählige Schrapnell-Splitter, sein tödlich verletzter Freund Huruyayakov lag nur wenige Meter entfernt. «Wir wurden von der Panzerfaust eines Terroristen erwischt», sagt der 21-Jährige mit ruhiger Stimme.

Menachem sitzt auf der Dachterrasse des Sheba-Spitals in Ramat Gan, östlich von Tel Aviv. Dass er hier ist, wieder laufen und ohne fremde Hilfe essen kann, ist nicht selbstverständlich. Der 21-Jährige gehört zu den über 3000 israelischen Soldaten, die verletzt wurden, seitdem der Krieg ausbrach. Laut der israelischen Armee wurde die Hälfte von ihnen seit Beginn der Bodenoffensive verwundet. 246 Soldaten sind gefallen.

Seit dem Libanonkrieg 1982 musste der jüdische Staat nicht mehr so viele Opfer beklagen. In Gaza sind derweil laut Angaben des von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministeriums über 30 000 Menschen getötet worden. Israels Armee gibt an, dass sie bereits 13 000 Hamas-Terroristen in dem Küstenstreifen getötet habe. Die Zahlen lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Der Gaza-Krieg geht in den sechsten Monat, und ein nahes Ende der Kämpfe ist nicht in Sicht. Die Hamas und Israel verhandeln zwar über eine neue Feuerpause und die Freilassung verbleibender israelischer Geiseln. Doch Israels Ministerpräsident Benjamin Netanyahu hat bereits angekündigt, dass ein neues Abkommen mit der Terrororganisation den Angriff auf Rafah zwar verzögern, aber nicht verhindern würde. Die Stadt im Süden Gazas ist laut israelischen Angaben die letzte Bastion der Hamas, in der sich noch vier Bataillone der Islamisten befinden sollen. Sie ist auch ein Zufluchtsort für rund 1,4 Millionen palästinensische Zivilisten.

Die Vorbereitungen auf diese Schlacht laufen bereits, ebenso wie die Verarbeitung der vergangenen. Ein Besuch in einer Militärbasis und einem Spital für verwundete Soldaten zeugt von den israelischen Anstrengungen.

«Es ist ein Wunder, dass ich heute hier sitze»

Menachem war im letzten Monat seines verpflichtenden Militärdiensts, als die Bodenoffensive begann. «Meine Freunde kämpften schon in Gaza – ich wollte ein Teil davon sein.» Der junge Mann mit den blonden Haaren nimmt seine Zigarettenschachtel und geht einige Schritte zu einem Tisch auf der Terrasse, fort von seinen versammelten Freunden, die ihn heute besuchen.

Schon nach wenigen Wochen wurde sein Wunsch erfüllt. Nach Abschluss seines Militärdiensts rückte er als Teil der Genietruppen in den Küstenstreifen ein. Am 12. Dezember fand sein Einsatz allerdings ein jähes Ende. «Unsere Mission war es, ein paar Häuser zu säubern», erzählt er. Seine beiden Kameraden überquerten die offene Fläche, die zwischen ihnen und den Häusern lag. Als Menachem losgehen wollte, hörte er eine grosse Explosion. «Eine Sekunde später bin ich ein paar Meter nach hinten geflogen. Dann lag ich da mit Schrapnell-Stücken in meinem gesamten Körper.»

Etwa zehn Minuten dauerte es, bis seine Kameraden kamen, ihn in ein Fahrzeug verfrachteten, das ihn zum nächsten Helikopter auf dem Weg zum Spital brachte. «Mein Freund Huruyayakov wurde direkt von der Panzerfaust getroffen. Ohne ihn hätte ich nicht überlebt.» Menachem trägt ein Foto seines getöteten Kameraden an einer Kette um den Hals.

Nach vielen Operationen, Reha und Psychotherapie ist Menachem auf dem Weg der Besserung. Seine linke Hand kann er immer noch nicht vollständig bewegen, sein Gang sieht noch etwas ungelenk aus. Die Ärzte gehen davon aus, dass er sich vollständig erholt. «Es ist ein Wunder, dass ich heute hier sitze», sagt er. So wie ihm geht es vielen, die sich im Sheba-Spital befinden. Auf den Gängen sieht man Männer auf Krücken, mit verbundenen Armen oder im Rollstuhl.

Menachem glaubt an diesen Krieg – obwohl er dem Tod nur knapp entkommen ist. «Weisst du, als ich in Gaza war, haben wir Abschussrampen auf Spielplätzen und Panzerfäuste in Familienhäusern gefunden.» Die Armee geht davon aus, dass sich vor Kriegsbeginn in Gaza etwa 30 000 Hamas-Kämpfer befanden. «Aber das ist noch nicht alles», sagt er. «Die Menschen dort haben grosse Familien, sagen wir mindestens vierköpfig. Dann haben wir also schon 120 000 Menschen, die mit Terroristen verbunden sind, die haben wieder Freunde und Helfer.» Natürlich müsse Israel den Krieg fortsetzen, auch dort, wo Hunderttausende Palästinenser Zuflucht gefunden hätten. Viele der Zivilisten in Gaza unterstützten den Massenmord an den Juden, ist sich der 21-Jährige sicher.

Israel wird Rafah mit Sicherheit angreifen

Auf den höheren Ebenen der israelischen Streitkräfte wird das anders gesehen. Oberstleutnant David empfängt auf der Bilu-Militärbasis südöstlich von Tel Aviv. So wie alle israelischen Soldaten nennt er nur seinen Vornamen. Hier, hinter Mauern und Checkpoints, befinden sich einige unscheinbare Container, in denen etwa zehn Menschen Platz haben. «Das ist das Herz der 98. Division», sagt der 55-Jährige.

Aus diesen Containern werden Geheimdienstinformationen in Echtzeit an die Infanteristen und Spezialkräfte weitergegeben, die momentan in der umkämpften Stadt Khan Yunis im südlichen Gazastreifen operieren. In einem der Container sitzen sieben junge Soldaten, Männer und Frauen, vor siebzehn Bildschirmen, darüber flimmern Luftaufnahmen aus Gaza. Sie sind die Augen und Ohren der Bodentruppen im Küstenstreifen. Auch alle humanitären Operationen in Khan Yunis werden hier geplant und koordiniert.

Eine der grössten Herausforderungen in Khan Yunis sei der Kampf in einem dichtbesiedelten Gebiet. «Die Hamas nutzt die Zivilbevölkerung als menschliche Schutzschilde, und wir tun unser Bestes, um Kollateralschäden zu vermeiden», sagt David. Dennoch sterben Tausende Zivilisten in Gaza. Selbst die USA setzen ihren engsten Verbündeten deswegen massiv unter Druck.

Der Oberstleutnant mit dem schmalen Gesicht kann das nicht verstehen. Er, der die Verantwortung für viele humanitäre Operationen im südlichen Gazastreifen trägt, ist mit seinem Job zufrieden. «Wenn die Zahlen der Hamas zutreffen, dann liegt das Verhältnis von getöteten Terroristen und Zivilisten bei 1 zu 1,5», sagt er. «In den Kriegen im Irak, in Afghanistan oder auch im Kosovokrieg sahen wir eine höhere Rate von zivilen Opfern.» David ist überzeugt, dass Israel die geflüchteten Palästinenser sicher aus Rafah evakuieren wird – und dann eine Offensive beginnt.

«Wenn wir die Hamas zerstören wollen und sich vier Bataillone noch in Rafah befinden, dann müssen wir dort einmarschieren», sagt der Oberstleutnant. «Wir werden Rafah also mit Sicherheit angreifen.»

Die Vorbereitungen laufen

Als sich David verabschiedet, fliegen F-16-Kampfjets über die Bilu-Basis. Das Sturmgewehr des Oberstleutnants wippt im Takt seines Ganges, als er sich auf den Weg zu einem der Container macht.

Wenige hundert Meter entfernt laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Dort schraubt Ariel an einem Geländewagen. Es ist eines von rund fünfzehn Fahrzeugen, die der 28-Jährige hier schon repariert hat, nachdem sie in Gaza im Einsatz waren. Der kräftige junge Mann mit dem Vollbart war vor dem Krieg ein Physikstudent, jetzt montiert er Kommunikationssysteme in die Fahrzeuge mit leichter Panzerung.

«Dieser hier kann bald wieder zurück», sagt er und klopft auf das Blech des braunen Wagens. Ariels letzter Einsatz als Fernmelder in Gaza liegt vier Wochen zurück. «Ich weiss noch nicht, wann ich wieder hineinmuss – der Befehl kommt immer sehr kurzfristig.» Nach allem, was man in Israel hört, dürfte es nicht mehr allzu lange dauern.

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