Herzl Halevis Verhältnis zu Ministerpräsident Netanyahu war seit langem gespannt. Bis zu seinem Rücktritt am 6. März wird er allerdings noch viel zu tun haben: Im besetzten Westjordanland brodelt es. Die Armee hat einen Grosseinsatz in Jenin gestartet.
Im Gazastreifen schweigen die Waffen, in Südlibanon ebenso: Nun hat Israels Armeechef Herzl Halevi in diesem fragilen Moment der Ruhe seinen Rücktritt per 6. März verkündet. Der 57-Jährige, der das Amt des Generalstabschefs seit rund zwei Jahren ausübt, begründete den Schritt am Dienstag mit dem Versagen der israelischen Streitkräfte während des Hamas-Massakers am 7. Oktober 2023. «Die Verantwortung dafür wird mich für den Rest meines Lebens begleiten», schrieb Halevi in einer Mitteilung.
Er verlasse die Armee jedoch zu einem Zeitpunkt, an dem Israel an allen Fronten seine Abschreckung und seine Stärke wiederhergestellt habe: «Die militärischen Erfolge der israelischen Streitkräfte haben den Nahen Osten verändert.» Halevi gilt als äusserst loyaler und pflichtbewusster Armeechef und wird von vielen Israeli geschätzt, nicht zuletzt wegen seiner stoischen, humorlosen Art. Ohnehin ist die Armee die einzige Institution in Israel, die seit Kriegsbeginn über ungebrochen hohe Beliebtheitswerte verfügt. In einer Umfrage im Dezember gaben 47 Prozent der Befragten an, sie hätten Vertrauen in Halevi – Ministerpräsident Benjamin Netanyahu kam auf lediglich 29 Prozent.
Israels Armee dringt in Jenin ein
Halevi, der seit vierzig Jahren in der Armee dient, gibt zwar an, er habe sich schon vor langer Zeit zu diesem Schritt entschlossen. Dennoch dürften die Ereignisse der jüngsten Vergangenheit seinen Entscheid beschleunigt haben. Sein Verhältnis zu Netanyahu war schon seit längerem angespannt. Im Mai etwa hatte Halevi den Ministerpräsidenten dafür kritisiert, keine Strategie für den Tag nach dem Krieg im Gazastreifen zu haben. Ausserdem betonte der Armeechef wiederholt, dass auch Ultraorthodoxe Militärdienst leisten müssten, was Teile der Regierung zu verhindern versuchen.
Nachdem Netanyahu im vergangenen Oktober den Verteidigungsminister Yoav Gallant entlassen hatte, gingen viele Beobachter deshalb davon aus, dass Halevi der Nächste sein würde. Wohl nicht ganz zu Unrecht: So behauptete der rechtsextreme Politiker Itamar Ben-Gvir am Samstag, dass Netanyahu versucht habe, ihn von seinem Rücktritt aus der Regierung abzuhalten, indem er ihm die Entlassung von Halevi in Aussicht gestellt habe. Ben-Gvir, der den Armeechef zwar stets mit Leidenschaft verunglimpft, liess sich jedoch nicht umstimmen: Am Sonntag trat der Polizeiminister aus Protest gegen die Waffenruhe im Gazastreifen mit seiner Partei aus der Regierung aus.
Nun scheint Halevi seiner Entlassung zuvorgekommen zu sein. Vor dem 6. März dürfte er allerdings kaum zur Ruhe kommen: Am Dienstagnachmittag, zwei Tage nach Beginn der Waffenruhe im Gazastreifen, hat die israelische Armee zum wiederholten Mal eine grosse Militäroperation in der Stadt Jenin im besetzten Westjordanland gestartet. Sie drang mit Bodentruppen in die Stadt ein, setzte aber auch Kampfhelikopter und Drohnen ein. Laut palästinensischen Behörden wurden bei den Kämpfen bisher neun Personen getötet und 35 weitere verletzt. Die Zahlen lassen sich nicht überprüfen.
Angespannte Lage im Westjordanland
Jenin gilt als Hochburg militanter Palästinenser, in der nicht nur die Hamas, sondern auch weitere islamistische Gruppierungen stark präsent sind. Benjamin Netanyahu sagte am Dienstag, es gehe darum, die Sicherheit im Westjordanland zu verbessern. Israel scheint nicht zuletzt zu befürchten, dass die Freilassung von mehreren verurteilten Terroristen im Rahmen der Waffenruhe die Position der Hamas stärkt. In Jenin brodelt es allerdings schon seit Monaten. Mitte Dezember hatten auch die Sicherheitskräfte der Palästinensischen Autonomiebehörde eine Operation gegen militante Gruppierungen in der Stadt begonnen.
Doch auch andernorts im Westjordanland droht die Lage ausser Kontrolle zu geraten. In der Nacht auf Dienstag waren gewaltbereite jüdische Siedler in zwei palästinensische Dörfer eingedrungen und hatten dort Häuser und Autos in Brand gesetzt. Schon am Sonntagabend war es zu ähnlichen Szenen gekommen. Die mutmasslich rechtsextremen Täter demonstrieren mit diesen Angriffen wohl ihren Unmut über das Abkommen mit der Hamas.
Ohnehin hat die Gewalt durch jüdische Siedler im Westjordanland seit dem Hamas-Massaker am 7. Oktober stark zugenommen. Im vergangenen Jahr hatte die Regierung von US-Präsident Joe Biden deshalb Sanktionen gegen mehrere gewaltbereite Israeli sowie Siedlerorganisationen verhängt. Seit Montag gelten diese allerdings nicht mehr: An seinem ersten Tag im Amt hat Donald Trump sämtliche Sanktionen aufgehoben.