Donnerstag, Oktober 3

Zwischen zerbombten Häusern in Beirut schwört die Schiitenmiliz, weiterzukämpfen. Tatsächlich könnte der Bodenkrieg in Libanon für Israel blutig werden – und eine weitere Flüchtlingswelle auslösen.

Rauch steigt aus einem tiefen Krater, daneben erhebt sich ein gewaltiger Trümmerberg. Die Einschlagstelle im Süden von Beirut sei noch frisch, sagen zwei libanesische Soldaten, die die apokalyptische Szenerie betrachten und dabei Zigaretten rauchen. Am frühen Morgen habe Israels Luftwaffe hier Bomben abgeworfen. Wie viele Tote es gegeben hat, wissen sie nicht.

Dann erklimmen mit einem Mal ein paar Männer in schwarzen T-Shirts die Trümmer. Wie auf Befehl reissen sie die Fäuste hoch und rufen in den rauchgeschwärzten Himmel: «Labeika ya Hussein, labeika ya Nasrallah!» – «Wir folgen dir Hussein, wir folgen dir Nasrallah!». Sofort werden sie von einer Meute aus Kameraleuten und Fotografen umringt.

Viele Trümmer und ein martialischer Auftritt

Tagelang schien der Hizbullah wie gelähmt von den israelischen Hammerschlägen, die am letzten Freitag in der Tötung seines mächtigen Führers Hassan Nasrallah gipfelten. Nun hat sich die Organisation zumindest an der Medienfront wieder etwas gefangen. Zwar ist die Truppe nach wie vor ohne Chef. Trotzdem lädt sie am Donnerstag zum ersten Mal seit Kriegsbeginn zu einer Presse-Tour durch die unter Dauerbeschuss stehende Vorstadt Dahiye im Süden von Beirut.

Hunderte Journalisten fahren in einer Kolonne durch geisterhaft leere Strassen, angeführt von Hizbullah-Leuten auf Motorrädern, die den Pulk von einer Einschlagstelle zur nächsten lenken. Wie viele Menschen bei den Angriffen jeweils getötet wurden, erfährt man nicht. Dafür bekommt man beklemmende Szenen der Zerstörung zu sehen, frische Nasrallah-Plakate, sowie einen martialischen Auftritt des Hizbullah-Sprechers Mohammed Afif.

Man werde ganz bestimmt nicht aufgeben, ganz im Gegenteil, ruft er inmitten von Trümmern. Tatsächlich scheint der Hizbullah nach zwei für ihn pechschwarzen Wochen wieder etwas Zuversicht gewonnen zu haben. Das liegt einerseits an dem iranischen Raketenangriff auf Israel vom Dienstagabend, der von den Anhängern der Miliz in Beirut mit Gewehrsalven gefeiert wurde. Er gab ihnen offenbar das Gefühl, von Teheran nicht ganz alleingelassen zu werden.

Anhänger des Hizbullah platzieren Bilder ihres verstorbenen Führers und Fahnen auf Trümmerbergen und an Hauswände. Die Miliz schwört, weiterkämpfen zu wollen.

Israel beklagt erste Opfer der Bodenoffensive

Vor allem aber setzt der Hizbullah Hoffnungen in den Kampf am Boden, der jetzt begonnen hat – in der Nacht auf Dienstag waren israelische Soldaten in Südlibanon einmarschiert. Gegen Israels Luftangriffe ist die Miliz machtlos. Auf dem heimischen Terrain in Südlibanon glaubt sie hingegen, Israel endlich etwas entgegensetzen zu können. «Sie können uns bombardieren, wie sie wollen», ruft ein Anwohner vor einem der Krater in Dahiye. «Aber wenn sie einmarschieren, dann machen wir sie fertig.»

Inzwischen hat Israels Bodenoffensive in Südlibanon die ersten Opfer gefordert. Am Mittwoch vermeldete die Armee den Tod von acht israelischen Soldaten auf libanesischem Gebiet. Die Männer im Alter zwischen 21 und 23 Jahren fielen laut der Armee bei einem intensiven Feuergefecht mit Hizbullah-Kämpfern in einem Dorf in Südlibanon.

Gleichzeitig hat Israel seine Operation im nördlichen Nachbarland weiter ausgeweitet: Am Mittwoch kündigte die israelische Armee an, eine weitere Division für die «begrenzten und gezielten Angriffe» an die Nordfront zu verlegen. Am Donnerstag forderte sie die Bewohner von weiteren 25 Dörfern in Südlibanon zur Evakuierung auf. Wie «begrenzt» diese Offensive am Ende bleibt, ist noch nicht abzusehen.

Wie weit wird Israel gehen?

Am Dienstag, wenige Stunden vor dem iranischen Angriff, steht der israelische Militärsprecher Arye Shalicar auf einem Aussichtspunkt in Mizpe Hila, wenige Kilometer von der libanesischen Grenze entfernt. Die Mauer, die beide Länder trennt, zieht sich wie eine Zickzacklinie durch die grünen Berge. «Der Druck wird jetzt immer weiter aufgebaut», sagt Shalicar entschlossen. «Die israelischen Bürgerinnen und Bürger fordern, dass wir keine halben Sachen mehr machen.»

Sollte der Hizbullah seinen Beschuss nicht einstellen und die mehr als 60 000 Israeli nicht sicher in ihre Häuser zurückkehren können, werde die israelische Armee ihre Angriffe verstärken, sagt Shalicar: «Heute ist es das Grenzgebiet, morgen ist es dann ein Stück weiter, übermorgen ist es schärferer Beschuss auf Dahiye, überübermorgen wird die Bekaa-Ebene auseinandergenommen.»

Die Berge hier sind mit dichten Bäumen bewachsen, laut Soldaten vor Ort kann man teilweise nicht weiter als fünf Meter sehen. Die Gefahr, in Hinterhalte zu geraten, ist gross. Noch seien die Truppen, die hier stationiert sind, hoch motiviert, sagt ein Offizier vor Ort. Die Kampfmoral sei nach den harten Schlägen gegen den Hizbullah durch die Decke gegangen.

Wie lange das so bleibt, ist fraglich. Denn 70 Prozent der Soldaten, die an der Nordfront im Einsatz stehen, sind Reservisten, die sonst ein ziviles Leben führen und einer Arbeit nachgehen. Sollten viele weitere junge Israeli sterben, könnte sich in Israel mehr Widerstand gegen einen weiteren opferreichen Krieg regen.

In Libanon droht eine zweite Flüchtlingswelle

In Libanon verschärft sich derweil die dramatische humanitäre Lage. Fast täglich gibt Israels Armee neue Evakuierungsbefehle für Dörfer und Städte im Süden bekannt. Selbst die verbliebenen Bewohner der nördlich des Litani-Flusses gelegenen Grossstadt Nabatiyeh müssen jetzt ihre Heimat verlassen. Dem erschöpften Land droht nun eine zweite Flüchtlingswelle, nachdem in den vergangenen Wochen fast 2000 Menschen getötet und 1,2 Millionen vertrieben wurden.

Man sei bereit, sagt Mustafa Hijazi, der Chef des Krisenstabs in der Stadt Sidon, dem ersten Anlaufpunkt jenseits des Kampfgebiets. Um Platz zu schaffen, versuche man bereits angekommene Flüchtlinge möglichst schnell weiter nach Norden zu schicken. Inzwischen laufe auch die internationale Hilfe an, sagt Hijazi. «Die Europäer, aber auch die Golfstaaten haben Geld und Unterstützung versprochen.»

Bei den Flüchtlingen aus dem Süden, die in Sidon in zu Notunterkünften umfunktionierten Schulen untergekommen sind, schwankt die Stimmung zwischen Erleichterung und Angst. Die Leute hier würden sich gut um sie kümmern, sagt Kamal Hassan Ali, der mit seiner Familie aus Maarakeh, einem Dorf bei Tyros, hierher geflohen ist. «Sie tun wirklich alles, um uns zu helfen.»

Gleichzeitig fürchtet er um sein Land. «Wenn die Israeli einmarschieren, werden sie auch Maarakeh einnehmen», sagt er. Viele Libanesen nehmen den Israeli ihre Ankündigung, nur kurzfristig in Südlibanon operieren zu wollen, nicht ab. Zu frisch sind die Erinnerungen an 1982, als die Israeli trotz anderweitiger Ankündigung 20 Jahre blieben. Ali will wie so viele, dass der Krieg sofort aufhört. «Sollten die Israeli aber weiter vorrücken», sagt er, «dann wird es blutig für sie».

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