Die Lage im Nahen Osten ist düster. Im Gazastreifen gibt es keine Aussicht auf echten Frieden und Wiederaufbau. In Südlibanon droht ein Flächenbrand, der Iran und Amerika in die Konfrontation hineinzieht.

Der Westen fühlt sich anderen Zivilisationen überlegen, doch Anspruch und Wirklichkeit klaffen betrüblich auseinander. Ein besonders nutzloses Monument der Überheblichkeit lässt sich derzeit vor der Küste des Gazastreifens bewundern.

Für 230 Millionen Dollar errichteten die US-Streitkräfte einen temporären Pier, um den für ihre Untätigkeit scharf kritisierten Israeli zu demonstrieren, wie sich die Versorgung der palästinensischen Zivilbevölkerung verbessern lässt. Wenn Amerika etwas will, findet es einen Weg, so die Botschaft.

Vor sechs Wochen ging die Landungsbrücke in Betrieb. Hilfsgüter gelangen aber nur spärlich ins Kriegsgebiet, weil der stählerne Steg ständig repariert werden muss. Schon ist davon die Rede, die Konstruktion vorzeitig abzubauen – und nicht erst im Herbst, wenn Stürme sie ohnehin unbenutzbar machen.

Beste Absichten, Hybris und Scheitern gehören in der westlichen Aussenpolitik untrennbar zusammen. Besonders deutlich ist das im unheiligen Land. Nirgendwo auf der Welt werden so viele Friedenspläne ausgeheckt und nirgendwo werden sie so rasch zuschanden wie hier.

Die Scharfmacher geben den Takt vor

Die Europäer konnten noch nicht einmal die Balkankriege ohne amerikanische Hilfe beenden. Jetzt überbieten sie sich wie zuletzt die deutsche Aussenministerin Baerbock mit Forderungen, was Israel tun muss, um das Blutvergiessen zu stoppen. Die Europäer haben den Vorteil, dass ihre Existenz nicht gefährdet ist, wenn sich ihre Ratschläge als falsch erweisen.

Hätte der jüdische Staat jemals auf die Empfehlungen gehört, wäre er längst untergegangen. Im Nahen Osten gelten härtere Gesetze – und der Konflikt zwischen Israeli und Palästinensern ist das Maximum, was die Region an Ausweglosigkeit zu bieten hat.

Vor 30 Jahren versprach der Handschlag zwischen Rabin und Arafat eine Chance für eine Verständigung. Zwei Staaten sollten beiden Völkern Sicherheit und Frieden bringen. Doch schon bald machten dieselben Kräfte, die auch heute jede Annäherung torpedieren, alle Hoffnungen zunichte: die Hamas und die radikalen Siedler.

Seither sind die Israeli nach rechts gerückt, und die Hamas ist nicht mehr ein Terror-Startup neben der allmächtigen Fatah, sondern die dominierende Kraft. Auf beiden Seiten geben die Scharfmacher den Takt vor.

An zwei Staaten glauben nur noch westliche Politiker. Israel hat das Jordanufer faktisch annektiert. Viele Palästinenser wollen das, was sie schon 1948 wollten: die Juden vertreiben – «from the river to the sea». Frieden, Versöhnung? Ein schöner Traum, aber keine realistische Politik.

Auswärtige Mächte sind noch weniger in der Lage, Frieden zu stiften, als die Konfliktparteien selbst. Mit einigem Getöse hat der amerikanische Präsident eine Roadmap für einen dauerhaften Waffenstillstand und den Wiederaufbau des Gazastreifens vorgestellt.

Doch Bidens Plan ist nicht belastbarer als sein Pier.

Der Hamas-Führer Sinwar ist ein fanatischer Berufsrevolutionär und einem Robespierre oder Pol Pot ebenbürtig. Er hält die vielen toten Zivilisten für eine unvermeidliche Begleiterscheinung seines Kampfes.

Sinwar raunte in einer vom «Wall Street Journal» veröffentlichten Nachricht von einem Opfergang bis zum Äussersten: ein Hauch von Führerbunker inklusive Endsieg-Phantasien, nur eben in der islamistischen und nicht der faschistischen Variante. Bei Fanatikern verschmelzen die Extreme.

Sein Gegenspieler Netanyahu wird den seit acht Monaten andauernden Krieg ebenfalls so schnell nicht stoppen. Zwar erklärte er, die «Phase der intensiven Kämpfe» neige sich dem Ende zu. Allerdings bleibt die Vernichtung der Hamas oberstes Ziel, und vom Abzug aus dem Gazastreifen ist nicht die Rede.

Die israelischen Verluste liegen schon wesentlich höher als beim letzten Bodenkrieg (2006 in Libanon). Allgemeine Kriegsmüdigkeit breitet sich indes keine aus – trotz einem unbeliebten Regierungschef und einer toxischen Koalition. Der 7. Oktober hat das Land aus seiner postheroischen Selbstzufriedenheit gerissen. Israel ist wieder ein belagerter Frontstaat.

Auch Biden findet keinen Ausweg aus dem levantinischen Labyrinth, dabei wollte sich Washington doch auf Asien konzentrieren. Mögen die Demokraten toben, der Präsident kann Israel nicht fallenlassen. Der Judenstaat ist ein verlässlicher Verbündeter in der Region. Ihn zu verlieren, wäre der grösste anzunehmende Unfall der amerikanischen Nahostpolitik. Das ist kein hypothetisches Szenario mehr, denn Israel ist existenziell bedroht. Im Gazastreifen und in Südlibanon hat es nur die Wahl zwischen schlechten und sehr schlechten Optionen. Die Konflikte hinterlassen zudem tiefe Spuren in der Wirtschaft.

In Gaza muss Israel die Grenze zu Ägypten und die Güterströme überwachen. Das setzt eine permanente Präsenz voraus. Sonst ist ein Wiederaufbau undenkbar. Nach dem Krieg 2014 zweigte die Hamas so viel Material ab, dass sie stärker war als je zuvor. Die Uno versagte damals bei der Aufgabe, die Verteilung zu kontrollieren. Aber das ist nichts Neues. Ausser salbungsvollen Worten hat die «Völkergemeinschaft» nichts zu bieten.

Anderseits haben die israelischen Streitkräfte zu wenig Soldaten, um den Gazastreifen zu befrieden. Sie können ein Gebiet erobern und den Gegner vertreiben, aber sie können es nicht halten. Die Hamas sickert dann wieder ein. Auch wenn diese nur noch wenige Bataillone besitzt, vermag sie einen Partisanenkampf zu führen.

Wer übernimmt ausser Israel Verantwortung für Gaza? Die arabischen Staaten, allen voran Saudiarabien, haben abgewinkt. Sie zahlen zwar gerne, aber sie stellen keine Truppen. Die Palästinenserbehörde in Ramallah ist zu schwach. Die Vereinten Nationen fallen aus, die Araber auch, und die Europäer sind so zuverlässig wie ein Sack Flöhe.

Bleibt wieder nur Amerika. Es sollte seine Energie nicht auf abstrakte Friedenspläne verschwenden und stattdessen die Ägypter dazu bewegen, mit Israel die Grenze abzuschotten. Nur so lässt sich verhindern, dass die Islamisten zur alten Kampfkraft zurückfinden.

Das Ziel muss eine minimale israelische Präsenz bei maximaler Kontrolle sein. Das ist keine kohärente Exit-Strategie, aber die ist ohnehin eine nahöstliche Fata Morgana. Der Gazastreifen wird eine Trümmerwüste bleiben, wo Hoffnungslosigkeit und Gewalt gedeihen.

Muss Israel in Südlibanon einmarschieren?

Nicht viel besser sieht es an der Grenze zu Libanon aus. War es hier zuvor ruhig, haben sich seit Oktober über 4000 Zwischenfälle ereignet. Nordisrael ist schon jetzt Kampfgebiet, auch ohne formelle Kriegserklärung. Auf Dauer ist der Zustand unhaltbar. Der Druck auf die Regierung in Jerusalem wächst, endlich durchzugreifen.

Doch der Hizbullah ist um einiges schlagkräftiger als die Hamas. Die schiitische Armee besitzt 150 000 Raketen und Drohnen, die dem israelischen Abwehrschirm Iron Dome gefährlich werden können. Hinzu kommen eine leidlich moderne Flugabwehr sowie eine gut gedrillte Truppe. Diese wechselt zwischen regulärer Infanterietaktik und Guerilla und hat ein ideales Umfeld: Bunker, Tunnel, Stellungen in Wohngebieten und obendrein unwegsames Terrain. Reines Gift für Israels mechanisierte Armee, die Verluste möglichst vermeidet.

Kommt es zum Krieg, hat Israel noch weniger zu gewinnen als in Gaza. Es steht dann nicht nur dem Hizbullah gegenüber, sondern Iran. Ein lokaler Konflikt könnte zu einem Flächenbrand eskalieren, der auch die US-Streitkräfte zum Eingreifen zwingt.

Zudem fehlt ein plausibles Kriegsziel. Um seinem Norden Ruhe vor den Angriffen zu verschaffen, müsste Israel entlang der Grenze eine Pufferzone errichten. Israel würde wieder als Besatzungsmacht in Libanon enden. Dabei hatte es sich aus guten Gründen aus dem Sumpf des gescheiterten Staates zurückgezogen. Es ist schon verheerend genug, dass sich Israel gezwungen sah, den Gazastreifen wieder zu besetzen.

Die Gespenster der Vergangenheit holen den jüdischen Staat ein. Obwohl Israel längst Technologie-Grossmacht ist und sich von der Kibbuz-Folklore emanzipiert hat, kämpft es wieder um seine Existenz. Nicht mehr gegen Staaten, sondern gegen die neue Geissel des Nahen Ostens: den schiitischen und den sunnitischen Islamismus.

Fällt das Bollwerk Israel, erreichen die Islamisten ihre wichtigste Zwischenetappe in ihrem hundertjährigen Krieg gegen den Westen. Sie triumphieren dann bald auch in Berlin oder Paris. Mit Ägypten, Jordanien, sogar mit Saudiarabien hat Israel zu einer Koexistenz gefunden. Mit Islam-Faschisten aber gibt es keinen Frieden.

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