Dienstag, November 26

Mit dem Krieg sieht die Siedlerbewegung ihre Gelegenheit gekommen. Ihre Vertreter sind im Freudentaumel, aber ihre radikale Rhetorik sorgt weltweit für Empörung.

Die Szenen, die sich am Sonntag im Kongresszentrum von Jerusalem abgespielt haben, hat man in Israel seit Kriegsbeginn nicht mehr gesehen: Tausende von Menschen tanzten fröhlich, lachten und lagen sich glückselig singend in den Armen. Der Grund für ihre Euphorie: die Hoffnung, dass im Gazastreifen nach dem Sieg über die Hamas wieder jüdische Siedlungen errichtet werden und die Palästinenser «emigrieren».

In dem Saal kam das Who’s who der nationalreligiösen Siedlerbewegung zusammen, leicht zu erkennen an den gehäkelten Kippot der Männer und den kunstvoll gebundenen Kopftüchern der Frauen. An der von der Siedlervereinigung Nachala organisierten Konferenz waren auch hochrangige Mitglieder der rechts-religiösen Regierung zugegen, etwa Finanzminister Bezalel Smotrich oder der rechtsextreme Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir.

Insgesamt nahmen fünfzehn Knesset-Parlamentarier sowie zwölf Minister teil, unter ihnen auch Mitglieder von Benjamin Netanyahus Likud-Partei. Manche von ihnen unterschrieben einen «Pakt des Sieges und der Erneuerung der Siedlungen», in dem versprochen wird, «jüdische Siedlungen voller Leben» im Gazastreifen wachsen zu lassen.

«Wir müssen nach Hause zurückkehren»

Während sich Ministerpräsident Netanyahu bis jetzt nicht konkret dazu geäussert hat, was mit dem Gazastreifen nach dem Ende des Krieges geschehen soll, hat die Siedlerbewegung ihre Pläne längst festgelegt. Schon seit Jahren fordern ihre Vertreter, dass der Gazastreifen – analog zum Westjordanland – erneut besiedelt werde. Zwar ist die Bewegung nach wie vor eine Randgruppe in Israel. Doch als Teil der Netanyahu-Regierung hat sie ihr politisches Gewicht vervielfacht. Nun, da Israels Armee grosse Teile der Küstenenklave besetzt und im Begriff ist, entlang der Grenze eine Pufferzone einzurichten, sehen die radikalen Siedler ihre Gelegenheit gekommen.

Einst existierten 21 israelische Siedlungen im Gazastreifen. Doch im Jahr 2005 zog die israelische Regierung von Ariel Sharon die Armee aus dem Gebiet ab und räumte die Siedlungen. 8000 Siedler mussten ihre Häuser verlassen. Zwei Jahre später übernahm die islamistische Hamas die Macht im Gazastreifen. Der israelischen Rechten gilt der Abzug aus Gaza als Ursünde, die den jetzigen Krieg erst möglich gemacht hat.

Es gelte, den Fehler von damals zu korrigieren, argumentierte auch Sicherheitsminister Ben-Gvir in seiner Rede an der Konferenz in Jerusalem: «Wir müssen nach Hause zurückkehren, das Gebiet beherrschen und, ja, auch eine moralische und logische Lösung für das humanitäre Problem anbieten: die Emigration fördern und ein Gesetz zur Todesstrafe (für Terroristen, Anm. d. Red.) verabschieden.»

Kommunikationsminister Shlomo Karhi von Netanyahus Likud-Partei ging gar noch weiter. Es sei ihre Pflicht, eine «freiwillige Emigration» der palästinensischen Zivilbevölkerung herbeizuführen, «auch wenn dieser Krieg, der uns aufgezwungen wurde, diese freiwillige Emigration in eine Situation verwandelt, in der es heisst: ‹Zwingt ihn, bis er sagt: ‹Ich will das tun.›»

Eine Siedlung mitten in Gaza

Nach internationalem Recht ist das Errichten von Siedlungen in besetztem Gebiet illegal. Das hält die Siedlerbewegung aber nicht davon ab, bereits konkrete Pläne zu wälzen. Laut der Siedlervereinigung Nachala haben sich schon 400 Familien bereit erklärt, im Gazastreifen zu leben. Geplant sind sechs Siedlungen, zwei davon sollen mitten in den Städten Gaza und Khan Yunis entstehen.

Kaum überraschend hat die Siedlerkonferenz vom Wochenende für scharfe internationale Kritik gesorgt. Die USA zeigten sich besorgt und sprachen von «aufwieglerischer und unverantwortlicher» Rhetorik. Es dürfe keine Zwangsumsiedlung von Palästinensern geben.

Das französische Aussenministerium forderte seinerseits die israelische Regierung auf, die Äusserungen klar zurückzuweisen. «Frankreich erinnert daran, dass der Internationale Gerichtshof kürzlich die Verpflichtung Israels festgestellt hat, alle in seiner Macht stehenden Massnahmen zu ergreifen, um diese Art von Rhetorik zu verhindern und zu bestrafen.» Auch in Israel nahmen viele Anstoss daran, dass Tausende derart ausgelassen feierten, während die Kämpfe andauern.

Netanyahu, der selbst nicht an der Konferenz teilnahm, hatte schon am Samstag abgewiegelt. Es sei zwar das Recht der Parlamentarier und Minister, ihre Meinung zu äussern, aber die Nachkriegspläne würden vom Sicherheitskabinett festgelegt. An seiner Ablehnung einer Wiederbesiedlung habe sich nichts geändert. In Netanyahus Sicherheitskabinett sitzen auch die beiden Minister Smotrich und Ben-Gvir.

Laut einem Bericht des Nachrichtenportals Axios hatte der israelische Verteidigungsminister Yoav Gallant schon vergangene Woche gegenüber amerikanischen Beamten erklärt, er werde den Bau von Siedlungen in Gaza nicht zulassen. Die Teilnehmer der Konferenz vom Sonntag dürfte dies allerdings kaum beeindrucken.

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