Freitag, Oktober 18

Um die Jahrtausendwende zur Trendmarke der weissen «Cool Kids» aufgestiegen, später wegen Sexismus und Diskriminierung geächtet, hat die amerikanische Kleidermarke Abercrombie & Fitch nun erneut einen bemerkenswerten Wandel durchlaufen.

Gefeiert, gefallen – und jetzt wieder gefragt? Die amerikanische Kleidermarke Abercrombie & Fitch hat nach schwierigen Jahren offensichtlich die Kehrtwende geschafft. Die Aktie des amerikanischen Modeunternehmens legte vergangenes Jahr um 285 Prozent zu. Es handelt sich um das beste Ergebnis seit dem Börsengang 1996. Abercrombie & Fitch ist damit – relativ gesehen, weil auf niedrigem Kursniveau – erfolgreicher als der von der Euphorie um künstliche Intelligenz profitierende Chiphersteller Nvidia.

Es ist ein bemerkenswertes Comeback. Abercrombie & Fitch erlebte seine Blütezeit um die Jahrtausendwende. Der CEO Mike Jeffries machte das Unternehmen, das nach der Gründung 1892 zunächst Angelzubehör und später Campingutensilien verkaufte, in den 1990er und den 2000er Jahren zu einer der beliebtesten Marken der jungen Generation. Das Erfolgsrezept: geschicktes Marketing und ein geniales Ladenkonzept.

Der Aufstieg

Abercrombie & Fitch versprach den Kunden nicht einfach Kleider, sondern Zugehörigkeit. Die provokanten Werbebilder zeigten junge, weisse, gutaussehende Menschen, vorwiegend Männer, mit viel Haut. Wer einen Pullover mit dem prominent platzierten Schriftzug der Kultmarke trug, gehörte zu den «Coolen». Das zog bei Teenagern und jungen Erwachsenen. Die Einkaufstüten zeigten Waschbrettbäuche, grosse Grössen gab es gar nicht erst zu kaufen.

Dafür ein besonderes Erlebnis. In den Filialen waren die Lichter gedimmt, die Schaufenster verdeckt, die Verkäufer attraktiv. Es lief Musik wie in einer Disco, und vor allem war da: dieser Duft. Abercrombie & Fitch hatte die Idee, in den Läden das eigene Parfum zu versprühen – und generierte damit einen neuartigen Wiedererkennungswert.

Es war eine Zeit, in der Einkaufszentren noch soziale Treffpunkte waren. Social Media und Onlineshopping kamen erst später. Und ebenso die Debatte um Diversität und Diskriminierung.

Der Fall

2002 kam es erstmals zu Protesten. Das Unternehmen hatte mehrere Shirts mit Aufdrucken asiatischer Stereotype im Sortiment. Ein Jahr später reichten ehemalige Angestellte eine Sammelklage wegen Diskriminierung ein. Sie kritisierten, dass sie aufgrund ihres Aussehens in der Reinigung oder im Lager hätten arbeiten sollen statt im für die Kundschaft sichtbaren Teil des Ladens. Gemäss der 2022 auf Netflix ausgestrahlten Dokumentation «White Hot: The Rise & Fall of Abercrombie & Fitch» musste das Verkaufspersonal äusserlich bestimmte Attribute mitbringen. Es sollte «natürlich», «amerikanisch» und «klassisch» aussehen.

Dass der CEO 2006 in einem Interview offen zugegeben hatte, dass Ausgrenzung zum Geschäftsmodell gehöre, sorgte Jahre später für Aufsehen. Gegen Mike Jeffries, der 2014 als CEO zurücktrat, wird inzwischen wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch von männlichen Models ermittelt.

Die Negativschlagzeilen beschädigten das Image von Abercrombie & Fitch. Dazu kamen der Wandel im Detailhandel und der Niedergang der für die Marke so wichtigen Shoppingmalls, der den Abstieg beschleunigte. Die Coolness hatte sich verflüchtigt.

Die Rückkehr

Das Unternehmen reagierte mit Veränderungen bei Sortiment, Ästhetik und Ladenkonzept. Die prominenten Schriftzüge auf den Kleidungsstücken verschwanden ebenso wie das schummrige Licht und die Männer mit entblösstem Oberkörper in den Filialen. Die neue Chefin Fran Horowitz schloss unrentable Filialen und gestaltete die bleibenden um. 2018 sagte Horowitz: «Wir sind nicht mehr das Abercrombie & Fitch, das Sie einst kannten.»

Profitiert hat das Unternehmen auch von der positiven Konsumentenstimmung in den USA. Experten beobachten weiterhin einen Nachholbedarf nach den Pandemiejahren. Auch andere Kleidermarken im ähnlichen Segment legten erfolgreiche Zahlen vor.

Abercrombie & Fitch gibt sich heute divers und zelebriert Vielfalt. Mit dem Fokus auf klassischere Kleidungsstücke schafft die Marke einen besonderen Spagat. Sie erreicht eine ältere Zielgruppe, namentlich jene, die bereits als Teenager um die Jahrtausendwende ihre Jeans- und T-Shirts kauften. Und sie spricht zugleich die heutige Generation Z an. Dies dank der gezielten Einbindung von Influencern als Werbeträgern auf der Plattform Tiktok.

Ob der Erfolg nachhaltig ist, muss sich noch zeigen. Den Zeitgeist jedenfalls scheint Abercrombie & Fitch rund zwanzig Jahre nach dem grossen Höhenflug erneut getroffen zu haben.

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