Der Asylminister will die 10-Millionen-Initiative der SVP mit Kinderzulagen und anderen Sozialleistungen bekämpfen. Im Bundesrat lief er auf, in Bern reibt man sich die Augen.
Warum läuft Beat Jans offenbar freiwillig ins offene Messer? Diese Frage stellen sich dieser Tage viele Kenner im Bundesberner Politbetrieb. Im Bundesrat scheint er mit seinem linken Kurs isoliert, in der Bundesverwaltung exponiert. Zumindest wenn man der medialen Berichterstattung der letzten Tage Glauben schenkt. Der Basler SP-Bundesrat wurde diese Woche Opfer von gleich zwei Leaks.
Zuerst liessen die Tamedia-Zeitungen am Dienstag den Verdacht aufkommen, der selbsterklärte Feminist Jans habe sich bei der Wahl der designierten Fedpol-Chefin Eva Wildi-Cortés mehr von der Geschlechterfrage als von der Qualifikation leiten lassen. Ein Gerücht, zu dem Jans aus persönlichkeitsrechtlichen Gründen nicht Stellung nehmen kann und mit dem sich im hochkompetitiven Politumfeld nicht bei allen Respekt gewinnen lässt.
Am Tag darauf folgte gleich die zweite Indiskretion in Richtung Tamedia. Beat Jans stosse mit einem «Umverteilungspaket» auf «heftigen Widerstand», schrieb die Zeitung. Um die Initiative «Keine 10-Millionen-Schweiz» der SVP zu bekämpfen, hat Beat Jans dem Vernehmen nach tief in die gewerkschaftliche Schatzkiste gegriffen. Auf dem Zettel sollen unter anderem höhere Kinderzulagen, strengerer Mieterschutz und ein Kündigungsschutz für ältere Angestellte stehen.
Was hat das mit Zuwanderung zu tun?
Mit diesen Beruhigungspillen will Jans die Ängste der Bevölkerung vor der Zuwanderung besänftigen und der SVP-Initiative den Wind aus den Segeln nehmen. Doch im Bundesrat stossen die Ideen auf wenig Gegenliebe, gleich fünf Bundesräte sollen Mitberichte zum Massnahmenpaket verfasst haben, vier davon waren recht kritisch. Nur Viola Amherd hat dem Vernehmen nach verzichtet.
An der Mittwochsitzung konnte sich der Bundesrat dann auch nicht zu einem Beschluss durchringen und musste eine zweite Lesung verkünden. Das Zitat von Urs Furrer, Direktor des Gewerbeverbands, dürfte die Haltung der Mehrheit des Bundesrats ziemlich gut spiegeln: Familienzulagen und Kündigungsschutz hätten «nichts mit der Zuwanderung zu tun». In der SVP-Initiative sei vom Asylbereich und vom Familiennachzug die Rede, dort müsse man primär ansetzen.
Was mag sich Jans nur dabei gedacht haben, ein gewerkschaftlich geprägtes Paket in den Bundesrat zu bringen?
Bereits im Frühling hatte sich abgezeichnet, dass Jans es mit sozialen Vorschlägen schwer haben würde. Damals setzte sich die Landesregierung ein erstes Mal mit der Nachhaltigkeitsinitiative auseinander, die NZZ konnte danach gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz die Dokumente aus der Ämterkonsultation einsehen.
In ihnen zeigte sich, dass es Mehrausgaben für günstigen Wohnraum schwer haben würden. Die SVP-Bundesräte Albert Rösti und Guy Parmelin hätten am liebsten einen Gegenvorschlag mit einseitiger Schutzklausel bei der Zuwanderung aus der EU gehabt, Ignazio Cassis wollte Gegenmassnahmen, ohne diese zu spezifizieren, und Karin Keller-Sutter forderte unter anderem eine Erhöhung der Studiengebühren für ausländische Studenten. Gemeinsame, klar definierte Vorschläge mit Wirkungsnachweis fehlten. Am Schluss verzichtete der Bundesrat auf einen Gegenvorschlag. Er einigte sich auf schwammige Eckwerte und gab Jans den Auftrag, die Gegenmassnahmen zu spezifizieren.
Vorbild Karin Keller-Sutter?
Und jetzt kommt dieser mit einem Sozialausbau. Natürlich, Jans ist nicht der Erste, der die Bevölkerung so zu einen versucht. Keller-Sutter, einst selbst Asylministerin, heute eiserne Schutzmacht der Schuldenbremse, hat vor vier Jahren selbst einmal ein ähnliches Geschäft eingefädelt. Die Begrenzungsinitiative der SVP wollte die Personenfreizügigkeit aufkündigen. Um das zu verhindern, führte der Bund unter anderem die Überbrückungsrente für ausgesteuerte Arbeitnehmer über 60 Jahre ein. Die Bevölkerung lehnte die Begrenzungsinitiative im Jahr 2020 mit 62 Prozent Nein-Stimmen klar ab.
Jans mag sich daran orientiert haben. Doch ihm fehlt eine der Grundzutaten für erfolgreiche Politik: eine überparteiliche Allianz. Ein Bundesrat muss im entscheidenden Moment den kleineren Gegner überzeugen (in diesem Fall die FDP), um den grösseren Gegner zu besiegen (die SVP und ihre Initiative). Genau so ging die Freisinnige Keller-Sutter damals offenbar vor: Sie holte den damaligen SP-Ständerat und Gewerkschaftsboss Paul Rechsteiner und damit die Linke auf ihre Seite und brachte das Gegengeschäft ins Trockene. Die Medien sahen sich sogar bemüssigt, zu spekulieren, ob Karin Keller-Sutter den Gewerkschaften näherstehe als der SVP.
Von dieser Nähe ist nicht mehr viel übrig. Die SVP- und die FDP-Bundesräte bilden derzeit eine undurchdringliche Wand, linke Anliegen dringen kaum durch. Das hat mit anderen Zeiten und Krisen zu tun, welche zu sachpolitischen Verhärtungen auf beiden Seiten führen.
Der Schweiz droht ein Milliardendefizit, die Armee braucht Geld, und der Bund ringt um die Finanzierung der 13. AHV. Aus bürgerlicher Sicht gibt es keinen finanziellen Spielraum für weitere sozialpolitische Anliegen. Und die Bedenken gegenüber der EU scheinen auch in wirtschaftsnahen Kreisen zuzunehmen, wie sich etwa in den Diskussionen um ein neues EU-Paket zeigt.
Auf der anderen Seite stehen ein Mittelstand mit Abstiegsängsten und ein neu erstarkter Gewerkschaftsbund im Referendumsfuror, der ihm noch so gerne Hilfe verspricht. Ohne sozialpolitische Zugeständnisse werden sich die Gewerkschaften bei der Personenfreizügigkeit kein Jota bewegen. Doch ohne Engagement der Gewerkschaften wird es eng bei der Nachhaltigkeitsinitiative.
Auf diesem Terrain muss Jans manövrieren, und das aus einer Minderheitsposition. Laut Angaben aus seinem Umfeld möchte Jans einen Kompromiss einfädeln, zu dem nicht nur soziale Massnahmen, sondern auch asylpolitische Verschärfungen gehören. Doch sein Bewegungsspielraum ist klein. Vielleicht ist dem Sozialdemokraten das Leak zu seinen vertraulichen Gegenmassnahmen daher gar nicht so unwillkommen. Immerhin steht er als Bundesrat da, der unter schwierigen Umständen Lösungen präsentiert. Nun stehen seine Regierungskollegen in der Verantwortung, selbst Vorschläge zu bringen.