Nach der desolaten Kandidatur von Joe Biden wird der 74-jährige demokratische Führer im Senat zum neuen Buhmann der Demokraten. Viele möchten ihn loswerden.
Es ist, also ob sich die ganze aufgestaute Frustration der Demokraten über Chuck Schumer ergösse. Seit der Minderheitsführer zusammen mit 9 anderen Demokraten das Finanzierungsgesetz der Republikaner im Senat durchwinkte, statt einen Shutdown der Regierung zu riskieren, ist er für viele Kollegen zur Inkarnation ihrer Machtlosigkeit geworden.
Die Reaktionen unter den Demokraten insbesondere im Repräsentantenhaus waren gepfeffert. Chuck Schumers Beliebtheit «bewege sich irgendwo zwischen Elon Musk und dem Ebola Virus», zitiert die Nachrichtenplattform «Axios» einen enervierten Abgeordneten. Von einem «Verrat» sprach die prominente Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez. Es sind nur zwei Stimmen von einer Flut der Empörung in der demokratischen Fraktion auf dem Capitol Hill.
Schumer sagt Lesungen ab
Ebenso heftig fiel die Reaktion an der Basis aus: In den Social Media wurde Schumer «Trumps liebster Demokrat» geschimpft; es werden Unterschriften gesammelt, um seinen sofortigen Rücktritt zu fordern. Vor seinem Büro in der Nähe des Capitols kam es zu Verhaftungen von linken, jugendlichen Demonstranten, und Schumer hat diese Woche Lesungen seines neuen Buchs «Antisemitism in America: A Warning» abgesagt, nachdem die Aktivistengruppe Indivisible einen Protest organisiert hatte.
Für die Demokraten in Washington ist es unerträglich, dass Schumer die Partei zum Erfüllungsgehilfen von Trumps Politik gemacht hat. Aber hinter dem Streit schwelt auch ein erbitterter Generationenkonflikt. Besonders jüngere Demokraten haben das Gefühl, dass die politischen Urgesteine, die das Sagen haben, die Partei ins Verderben führen. Das Trauma der Kandidatur des greisen Joe Biden sitzt tief.
Nun ist Chuck Schumer keineswegs der einzige Betagte im Senat. Die kleine Kammer hat ein Durchschnittsalter von 65 Jahren; der älteste Senator ist ein 91-jähriger Republikaner. Da wirkt das Alter des 74-jährigen Chuck Schumer nicht spektakulär. Und obwohl sein Gang langsamer geworden ist, die Schultern oft nach vorne gebeugt sind und das linke Augenlid immer tiefer hängt: In Interviews und Ansprachen wirkt Schumer präsent und schlagfertig. Trotzdem verkörpert er nun eine sklerotische Parteispitze, die unfähig ist, Donald Trump die Stirn zu bieten.
Altersschwache Proteste
Nicht geholfen hat ihm ein Auftritt während einer Protestaktion gegen Elon Musks Sparmassnahmen. Zusammen mit der 86-jährigen Abgeordneten Maxime Waters skandierte er «We will win! We will not rest!» auf so tattrig wirkende Weise, dass er selbst im linksliberalen Sender CNN zum Gespött wurde. Sieht so die Zukunft der Demokraten aus? – fragten sich das Panel und wohl auch das Publikum. Die ersten Stimmen, die einen Führungswechsel im Senat verlangten, wurden laut – und kamen von links aussen.
Dem linken Flügel der Demokraten war Schumer schon immer suspekt. Er galt als «Champion für die Wall Street», der sich für die Deregulierung der Banken einsetzte. Während der Finanzkrise 2008 wurde ihm das vorgeworfen. Der Senator aus New York pflegt gute Verbindungen zur Finanzmetropole, was ihn zu einem effizienten Fundraiser für die Demokraten macht.
Schumer stammt aus einer jüdischen Familie in Brooklyn, sein Vater war ein Weltkriegsveteran und übernahm später das Familienunternehmen Acme Pest Control, das Kakerlaken und Bettwanzen in Manhattan den Garaus macht. Schumer stieg nach dem Jurastudium an der Harvard Universität in die Politik ein und wurde 1980 als Abgeordneter in den Kongress gewählt, 1999 wechselte er in den Senat; 2017 übernahm er die Führung der Demokraten im Senat – zu Beginn der ersten Amtszeit von Donald Trump.
Ein alter Erzfeind von Trump
Damals trat Schumer kämpferisch auf. Zusammen mit der Speakerin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, führte er die Opposition gegen Trump an. Legendär war der Besuch des Duos im Oval Office im Dezember 2018: Es ging auch da um einen Überbrückungshaushalt, um einen Shutdown der Regierungstätigkeiten abzuwenden. Schumer und Pelosi sassen links und rechts des Präsidenten und nahmen ihn in die Mangel. Sie schulmeisterten den Präsidenten so lange, bis dieser rot anlief und sagte: «Ich übernehme die ganze Verantwortung.»
Trump hätte eigentlich die Stimmen der Demokraten gebraucht, die in den Midterms die Mehrheit im Repräsentantenhaus zurückgewonnen hatten. Doch Schumer und Pelosi verlangten eine Gegenleistung; dass Trump auf die Finanzierung des Mauerbaus an der Südgrenze verzichtete, was Trump strikt ablehnte. Schliesslich kam es zum längsten Shutdown der amerikanischen Geschichte, 35 Tage lang wurden alle Regierungstätigkeiten eingestellt, die nicht essenziell waren. Den Demokraten gelang es, Trump die Schuld dafür zuzuschieben.
Diese Zeiten der Stärke sind vorüber. Trump gewann alle sieben Swing States und das Volksmehr. Die Demokraten befinden sich in beiden Häusern in der Minderheit. Die 84-jährige Nancy Pelosi hat sich aus der Führungsriege der Demokraten zurückgezogen; und Schumer – nun acht Jahre älter – praktiziert Appeasement statt Konfrontation. Dafür erhält er das Lob von Trump: Ein «ein guter und kluger Zug», so quittierte der Präsident Schumers «Ja» zum Überbrückungshaushalt. Für einen Demokraten im Jahr 2025 ist das die ultimative Kränkung.
Schumers Spitzkehre
Schumer begründete seinen Entscheid in einer Ansprache sowie in mehreren Interviews ausführlich. Ein Shutdown wäre eine Ablenkung von wichtigeren politischen Themen, etwa den grosszügigen Steuererleichterungen für Reiche, so argumentierte er. Zudem hätte ein Shutdown bloss Trump in die Hände gespielt und zur Entlassung weiterer Beamter geführt. In den Augen der Wähler wären letztlich die Demokraten schuld gewesen am Chaos, so Schumer. Ihm war klar, dass er sich unbeliebt machen würde, doch er nahm es in Kauf: «Mein innerer Bewegungsmelder gibt mir recht», sagte er.
Schumers Wendemanöver überrumpelte nicht nur seine Fraktion im Senat, sondern auch die Demokraten im Repräsentantenhaus. Denn sie hatten zuvor nahezu geschlossen mit 212 Stimmen gegen die Vorlage gestimmt; die Vorlage kam nur durch, weil die Republikaner ebenso geschlossen dafür stimmten – und sie in der Mehrheit sind. Doch die Demokraten rechneten damit, dass Schumer die Vorlage im Senat schliesslich blockieren würde. Dem war nicht so, vielleicht weil die Fraktion doch gespaltener war als Schumer es zugegeben hatte.
Während die Wähler über den Mangel an Kampfgeist staunten, rätselte das Politik-Establishment in Washington, weshalb der als gewiefter Taktiker geltende Schumer von den Republikanern nicht wenigstens Gegenleistung für die Unterstützung gefordert hatte – etwa dass Elon Musks Sparprogramm gebremst wird. Schumers ehemalige Weggefährtin Nancy Pelosi kommentierte süffisant: «Ich selbst verschenke nichts einfach so. Ich denke, genau das ist passiert.» Am Ende blieb Schumer eine Antwort schuldig, weshalb ihm keine Forderungen an die Adresse der Republikaner eingefallen sind.
Wer führt die Demokraten in die Zukunft?
Trotz massiver Kritik: Chuck Schumer macht keine Anstalten, seinen Job als Minderheitsführer im Senat aufzugeben. In einem stündigen Podcast der «New York Times» wich er Fragen nach seinem Alter und seiner Eignung als Führungsfigur der Demokraten aus. Auch das Altersproblem von Joe Biden wollte er partout nicht anerkennen: Er habe nie irgendwelche Zeichen eines kognitiven Zerfalls bemerkt. Genau diese Blindheit führte zum peinlichen Scheitern der Kandidatur Bidens und brachte den Demokraten eine Niederlage an der Urne ein.
Derweil tobt unter den Demokraten eine Debatte über die künftige Ausrichtung der Partei. Was ist falsch gelaufen? Wie gewinnen sie jene Arbeiter, Jungen und Latinos zurück, die zu Donald Trump abgewandert sind? Welche Kandidaten sind dafür notwendig? Ein klarer Plan, wie die Partei aus diesem Tief herausfinden will, zeichnet sich bislang nicht ab. Dafür ist sie noch zu sehr im Modus der Selbstzerfleischung,
Für den Moment scheint sich Schumer als Minderheitsführer im Senat zu halten. Der Chef der Demokraten im Repräsentantenhaus, der dreissig Jahre jüngere Hakeem Jeffries, kam Schumer schliesslich zu Hilfe, obwohl er zunächst irritiert reagiert hatte. Offenbar versuchen die Demokraten, einen grossen Streit um die Führung der Opposition zu vermeiden. Damit schieben sie auch die Frage hinaus, mit wem sie künftig Wahlen gewinnen wollen. Chuck Schumer wird es vermutlich nicht sein.